Von: ka
Rom – Das Ansinnen des Regionalministers Francesco Boccia, 60.000 sogenannte „Bürgergehilfen“ anzuwerben, sorgt sowohl in der Regierung selbst, als auch in der italienischen Öffentlichkeit für heftige Polemiken. Im Sinne des Ministers sollen die Freiwilligen eigentlich die Ordnungskräfte bei der Kontrolle der Einhaltung der Corona-Einschränkungen unterstützen, aber viele Gegner merken an, dass die „Bürgergehilfen“ bei Verstößen nur sehr bedingt eingreifen können, und dabei selbst Gefahr laufen, tätlich angegriffen zu werden.
Trotz der Aufrufe, die Corona-Bestimmungen einzuhalten, und der Androhung hoher Strafen, brachte auch das zweite Ausgehwochenende das gewohnte Bild der italienischen „Movida“. Bis tief in die Nacht hinein feierten in vielen Städten junge Leute und Erwachsene die zurückgewonnene Freiheit, wobei sie meist weder auf die soziale Distanzierung noch auf das Gebot des Tragens einer Gesichtsmaske achteten.
#Assistenticivici, chi sono e cosa fanno – #coronavirus #fase2 https://t.co/CzKELu8WdT pic.twitter.com/Y8gCLebOpS
— Adnkronos (@Adnkronos) May 24, 2020
Vor allem um dem „Movida-Problem“ abzuhelfen und eine Rücknahme der Lockerungen zu vermeiden, möchte Regionalminister Francesco Boccia rund 60.000 sogenannte „Bürgergehilfen“ anwerben. Die „Bürgergehilfen“, die ausnahmslos aus Freiwilligen bestünden, sollen laut dem Ansinnen des Ministers die Ordnungskräfte bei der Kontrolle der Einhaltung der Corona-Einschränkungen unterstützen. Da sie aber keine Amtspersonen wären und daher selbst keine Strafmandate ausstellen könnten, müssten sie bei Verstößen gegen die Corona-Bestimmungen die Carabinieri, die Polizei oder die Lokalpolizei verständigen. Ihr Einsatz, der von den zuständigen Stadtgemeinden koordiniert würde, bestünde allerdings in erster Linie daraus, die Bürger, bei denen vor allem die Feiernden der „Movida“ gemeint sind, zu informieren und zur Einhaltung der Corona-Einschränkungen „einzuladen“. Zu den Aufgaben der „Bürgergehilfen“ soll auch der Transport von Mahlzeiten oder Medikamenten zu älteren Mitbürgern gehören.
⭕️ IN ARRIVO 60.000 ‘ASSISTENTI CIVICI’60.000 'assistenti civici' aiuteranno i nostri sindaci nel rammentare a tutti…
Pubblicato da Francesco Boccia su Domenica 24 maggio 2020
Kaum wurde der Plan des Regionalministers in der italienischen Öffentlichkeit bekannt, regte sich sofort Widerstand. Da ihr Ministerium weder vorab informiert noch konsultiert worden war, ärgerte die Innenministerin Luciana Lamorgese ganz besonders. Laut dem römischen Innenministerium wirft die Anwerbung von „Bürgergehilfen“ viele Fragen auf. Diese betreffen sowohl die Anwerbung selbst – die Freiwilligen müssen unbescholtene Bürger sein und dürfen selbst keiner Quarantäne unterliegen – als auch die Frage, wer die „Bürgergehilfen“ für diese heikle Aufgabe ausbilden soll. Das Innenministerium gibt auch zu verstehen, dass die „Bürgergehilfen“ weder die Ordnungskräfte ersetzen können noch sie im Falle von „Problemen“ verständigen dürfen.
Der ehemalige Quästor, Präfekt und Politiker Achille Serra sieht das ähnlich. „Die ‚Bürgerwächter‘, die unter anderem dazu beauftragt werden sollen, das Nachtleben zu überwachen, wären nichts anderes als gefährdete Amateure, die überhaupt keine Erfahrung besitzen und letztendlich riskieren, beschimpft zu werden oder Prügel zu beziehen. Man bringt diese Personen in Gefahr. Sie besitzen keine Macht, sie tragen nur eine Erkennungsweste und begeben sich mitten in die „Movida“, wo viele angetrunkene junge Leute zu finden sind. Wenn sie Glück haben, werden sie nur beschimpft und wenn sie Pech haben, beziehen sie eine Menge Prügel“, meint Achille Serra.
Se apri i locali nei luoghi dove ci sono i locali le persone ci vanno. Se non vuoi che ci vadano o vuoi che ci vadano…
Pubblicato da Matteo Orfini su Lunedì 25 maggio 2020
Auch andere Politiker sparten nicht mit Kritik. „Wenn die Lokale an den Ausgehorten öffnen, gehen die Leute dorthin. Wenn man nicht will, dass sie dorthin gehen oder wenn man will, dass sie nur in einer begrenzten Anzahl dorthin gehen, müssen der Zustrom und die Kontrollmechanismen entsprechend organisiert werden. Wir brauchen keine ‚Bürgergehilfen‘, sondern Minister und Verwalter, die ihre Arbeit erledigen“, so der PD-Abgeordnete Matteo Orfini.
Anstatt „Bürgerwächter“ einzuführen – so der O-Ton der italienischen Öffentlichkeit – wäre es besser, den Zugang zu den Ausgehvierteln auf ein vernünftiges Maß zu beschränken. Weil in einer Sache sind sich Befürworter und Gegner der Idee des Regionalministers einig: Will man den Kampf gegen das Virus gewinnen und erfolgreich die Phasen 2 und 3 durchlaufen, darf es mit der italienischen „Movida“ so nicht weitergehen.