Von: ka
Nizza Monferrato – Die piemontesische Kleinstadt Nizza Monferrato war am Freitagabend Schauplatz eines aufsehenerregenden Verbrechens. Nachdem sie und ihre Mutter jahrelang von ihrem Vater geschlagen worden waren, wollte die 18-jährige Makka Sulaev nicht mehr länger zusehen, wie häusliche Gewalt ihr Leben und das ihrer Familie zerstört.
Um ihre Mutter zu beschützen, griff Makka Sulaev auf dem Höhepunkt eines Streits zu einem Messer und stach mehrere Male auf ihren Vater, den 50-jährigen Akhyad Sulaev, ein. Anschließend wartete sie neben seiner Leiche auf die Carabinieri. Über die Frage, ob es Notwehr oder Mord war, wird in der italienischen Öffentlichkeit heftig debattiert. Viele Italiener meinen, dass diese Tat nur als Notwehr eingestuft werden könne.
Nachdem sie ihren Vater, den 50-jährigen Akhyad Sulaev, erstochen hatte, wartete Makka Sulaev auf das Eintreffen der Carabinieri. Die Wut, die die 18-Jährige dazu getrieben hatte, ihren Vater zu ermorden, schockierte sie selbst, aber die Gewalt, die sie und ihre Mutter bis dahin täglich erlitten hatten, wollte sie nicht länger erdulden.
„Ich habe mich eingemischt, um meine Mutter zu schützen. Dann jagte mich Papa durch die Wohnung und schlug mich. Meine Mutter versuchte, mich zu verteidigen. Aber er fing wieder an, sie zu ohrfeigen. Da er Karate- und Kampfsportexperte war, wusste er, wohin er uns schlagen musste, damit man die blauen Flecken nicht sehen konnte. Er hatte uns immer wieder geschlagen. Ich wollte nicht, dass er es weiterhin tut. Ich hatte genug und habe mich gewehrt“, ringt Makka Sulaev um Worte.
A Nizza Monferrato, in provincia di Asti, una ragazza appena diciottenne ha ucciso il padre a coltellate. Dopo il fermo ha raccontato: "Maltrattava me e mia madre". Ora è in una struttura protetta pic.twitter.com/lvV9BjTFxS
— Tg3 (@Tg3web) March 3, 2024
Die junge Frau hat eine sanfte Art und blaue Augen. Unterstützt von ihrem Anwalt Massimiliano Sfolcini beschließt sie, alle Fragen zu beantworten, die ihr der Staatsanwalt Andrea Trucano der zuständigen Staatsanwaltschaft von Alessandria stellt. Ihre Aussagen offenbaren ein Familienszenario, in dem Gewalt und Misshandlungen aller Art an der Tagesordnung waren.
„Am Freitag hat Papa wieder einmal gekündigt. Zum x-ten Mal hatte er seinen Job als Maurer verloren. Dann suchte er das Restaurant auf, in dem meine Mutter als Tellerwäscherin arbeitet und ich am Wochenende als Kellnerin aushelfe. Er forderte meine Mutter auf, ihre Arbeit aufzugeben, aber sie lehnte ab. „Wir haben zu wenig Geld? Wie sollen wir dann über die Runden kommen?“, entgegnete sie ihm. In diesem Moment brach der erste Streit aus. Mutter schickte ihn sogar weg. Aber als er nach Hause kam, fing er wieder an. Das war nichts Neues. Vater hatte uns schon immer geschlagen. Früher in Tschetschenien war es noch schlimmer gewesen. Da er Karate- und Kampfsportexperte war, wusste er, wohin er uns schlagen musste, damit man die blauen Flecken nicht sehen konnte. Meine Brüder hingegen schlug er nur, wenn sie sich einmischten“, erzählt die 18-Jährige.
Die Familie Sulaev war vor neun Jahren aus Tschetschenien ins Piemont gekommen. Neben dem Vater, der Mutter und der 18-jährigen Makka Sulaev bestand die Familie noch aus Makkas 14-jähriger Schwester und ihren beiden Brüdern im Alter von zwölf und elf Jahren. Akhyad Sulaev, dem es ersten Erkenntnissen zufolge nie richtig gelungen war, im Piemont Fuß zu fassen, wollte aber die von seiner Frau und seiner erwachsenen Tochter aufgebaute Unabhängigkeit nicht akzeptieren.
Als er am Freitagabend gegen 18.00 Uhr nach Hause kam, schlug er zunächst seine Frau. Als die junge Frau versuchte, sie zu verteidigen, begann er auch auf sie einzuprügeln. „Ich habe versucht, sie von ihm zu trennen und ihm zu sagen, dass er uns nicht länger so behandeln soll. Aber er ließ seine Wut nun an mir aus. Er jagte mich durch die Wohnung bis in mein Zimmer und verprügelte mich. Meine Mutter ging erneut dazwischen. Um mich zu verteidigen, habe ich ein Messer genommen. Ich stieß zu und ließ ihn am Boden liegen, aber ich wollte ihn nicht umbringen. Dann habe ich auf die Carabinieri gewartet“, versucht Makka Sulaev das Erlebte in Worte zu fassen.
Si svolgerà domani l'interrogatorio di garanzia per la diciottenne che ha confessato di aver ucciso il padre a Nizza Monferrato, nell'Astigiano. La ragazza ha raccontato di aver reagito alle violenze subite in silenzio per anni da lei, dai fratelli e dalla madre pic.twitter.com/yG06h5VHrB
— Tg3 (@Tg3web) March 3, 2024
Laut ersten Erkenntnissen hatten Makka Sulaev und ihre Mutter gegen Akhyad Sulaev, der nicht nur jeden Schritt seiner Frau und seiner Kinder kennen, sondern ihr ganzes Leben beherrschen wollte, nie Anzeige erstattet.
„Niemand, oder fast niemand, hat jemals ihre blauen Flecken gesehen. Auch in ihrer Schule – Makka besucht das wissenschaftliche Lyzeum und hat hervorragende Noten – hat niemand bemerkt, was die erst vor Kurzem volljährig gewordene Oberschülerin erleiden musste. Sie hat sich aber ihrer einzigen Freundin anvertraut“, erklärt ihr Anwalt Massimiliano Sfolcini.
„Sie erklärte, dass sie die Gewalt nicht mehr ertragen konnte. Ihr Vater war sehr religiös, er befolgte die Gebote der muslimischen Religion genauestens. Doch Makka wuchs mit einem anderen und offeneren Bewusstsein auf, vor allem in Bezug auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Sie wollte, dass ihr Vater auch die Frauen respektierte, insbesondere sie und ihre Mutter. Am Freitagabend war sie sehr aufgewühlt. Sie erlebte den anstrengendsten Tag ihres Lebens“, betont Massimiliano Sfolcini.
Über die Frage, ob es Notwehr oder Mord war, wird weit über die Kleinstadt im Piemont hinaus heftig debattiert. Viele Italiener meinen, dass diese Tat nur als Notwehr eingestuft werden könne. In der italienischen Öffentlichkeit herrscht zudem die Meinung, dass zu wenig getan wird, um junge muslimische Frauen, die sich ein unabhängiges Leben schaffen und sich erfolgreich in Italien integrieren wollen, vor religiös motivierten Gewalttätern zu schützen.