Von: ka
Varese – Die waldreichen Berge im Hinterland von Varese in der Lombardei sind Schauplatz einer schönen Geschichte. Nachdem sie sich beim Pilzesuchen verirrt und sich durch einen Sturz verletzt hatte, überlebte die 88 Jahre alte Giuseppina Bardelli vier Tage und Nächte allein im Wald.
Um nicht Durst zu leiden, trank sie aus Pfützen Regenwasser, und um sich zu schützen und nachts weich zu liegen, schnitt sie von den Büschen und Bäumen Zweige ab. Jeden Abend betete sie einen Rosenkranz und als sie ein Fuchs besuchte, sprach sie mit ihm. Nach ihrer Rettung geht es Giuseppina Bardelli den Umständen entsprechend gut. “Sie hat ein paar gebrochene Rippen, aber sie wird nicht lockerlassen”, so einer ihrer Söhne.
Giuseppina Bardelli liebt es seit jeher, in den Wäldern ihrer Heimat nach Pilzen zu suchen. Deshalb war es für die 88 Jahre alte Frau am Mittwoch nichts Ungewöhnliches, mit ihrem Sohn Sergio in den Wäldern des Forcora-Passes, einem Berg an der Schweizer Grenze im Hinterland von Varese, auf die “Jagd” nach diesen Kostbarkeiten des Waldes zu gehen. Die beiden waren nur für ein paar Minuten getrennt, aber die kurze Zeit reichte offenbar aus, dass der Sohn seine betagte Mutter nicht mehr finden konnte. Der 88-Jährigen wurde vermutlich schwindlig. Sie stand zwar kurz darauf wieder auf, verlor aber vielleicht für einen Moment erneut die Orientierung. Sie kam vom Steig ab, rutschte aus und stürzte zwischen den bis zu anderthalb Meter hohen Farnen rund sieben Meter einen Abhang hinunter.
Als er seine Mutter nicht mehr sah, schlug ihr Sohn Sergio sofort Alarm. Suchmannschaften der Feuerwehr und des Zivilschutzes machten sich sofort auf, im abschüssigen und unwegsamen Gelände nach Giuseppina Bardelli zu suchen, aber trotz der intensiven Suche, bei der auch Drohnen, ein Hubschrauber und auch eine Hundestaffel zum Einsatz kamen, konnte die 88-Jährige vier Tage lang nicht gefunden werden. Trotz ihres hohen Alters und obwohl sie sich beim Sturz einige Verletzungen zugezogen hatte, wusste sich Giuseppina Bardelli aber zu helfen.
Um nicht Durst zu leiden, trank sie aus Pfützen Regenwasser. Jedes Mal, wenn es Nacht wurde, suchte sie unter den Bäumen Zuflucht. Um sich zu schützen und weich zu liegen, schnitt sie von den Büschen und Bäumen ihrer Umgebung Zweige ab und richtete sich mit ihnen ein “Nachtlager” her. Wie sie später erzählen sollte, hörte sie aus der Entfernung das Kreisen des Hubschraubers und das Summen der Drohnen.
In den langen Nächten des Wartens und Hoffens ließ sich die tiefgläubige Frau von nichts erschrecken. Selbst vor wilden Tieren hatte sie keine Angst. “Sie erhielt mehrmals Besuch von einem Fuchs. Sie wurden fast Freunde. Meine Mutter sprach zu ihm: ‘Tu mir nichts, ich bin brav, sei ruhig'”, berichtet ihr Sohn. Um ihre Hoffnung gefunden zu werden, zu stärken, bat sie oft um himmlischen Beistand. “Jeden Abend betete sie den Rosenkranz. Sie wusste, dass es ihr letzter Tag sein könnte”, fährt ihr Sohn fort.
Am späten Sonntagvormittag kurz vor 11.00 Uhr wurden ihre Gebete erhört. Ein Mitglied einer Suchmannschaft fand die inzwischen entkräftete Frau, die trotz ihres hohen Alters und mehrerer gebrochener Rippen vier Tage im Wald überlebt hatte. “Ho fatto un disaster” (“Ich habe einen Blödsinn gemacht”, lauteten die ersten Worte, die die 88-jährige Giuseppina Bardelli nach ihrer Rettung zu ihren Kindern in ihrem lombardischen Dialekt sagte. Giuseppina Bardelli wurde nach der Erstversorgung ins Krankenhaus von Varese gebracht.
Die Frage, die sich viele Menschen in den Tagen der Suche stellten, war, warum in aller Welt eine Frau in ihrem Alter in einem steilen Wald nach Pilzen suchte. “Unsere Mutter ist so und sie lässt sich nicht aufhalten. Besonders als junge Frau hat sie viele Jahre ihres Lebens in den Bergen verbracht. In den Bergen des Trentino und am Monte Rosa hat sie sich wie zu Hause gefühlt. Dabei hat sie als Teil von Seilschaften auch an Gipfeltouren teilgenommen. In dieser Zeit hat sie sich auch eine entsprechende körperliche Verfassung angeeignet”, erklärt ihr zweiter Sohn Roberto.
Der erste Gedanke ihrer Familie ist nun, sich um Giuseppina zu kümmern und ihr bei der Rückkehr in die Berge beizustehen, denn wie ihre beiden Söhne Sergio und Roberto betonen, wird ihre Mutter auch weiterhin “nicht lockerlassen können”. Das bedeutet, dass sich die 88 Jahre alte Frau nach ihrer Genesung auch in Zukunft nicht nehmen lassen wird, im Spätsommer und im Frühherbst in den Wäldern ihrer Heimat nach Pilzen zu suchen.
“Es ist einfach ein Wunder. Unserer Mutter geht es den Umständen entsprechend gut. Sie hat viel Glück gehabt, denn sie hätte sich viel schwerer verletzen können. Unser Dank gilt den vielen Menschen, die uns nahegestanden sind und uns geholfen haben”, bedanken sich die Brüder bei den Suchmannschaften und den Einwohnern ihrer Gemeinde.
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