Von: ka
Imola/Lugo/Patras(GR) – Der inszenierte Suizid, der es Adamo Guerra ermöglichte, zumindest für zehn Jahre ein neues Leben zu leben, dürfte ihm teuer zu stehen kommen.
Zum unglaublichen und verstörenden Fall befragt, zählen Rechtsexperten auf, dass durch sein spurloses Verschwinden, das für sich allein nicht strafbar ist, sich der heute 56-jährige Mann sich gleich mehrerer Vergehen schuldig gemacht hat. Insbesondere das Verlassen der beiden Töchter, die zum Zeitpunkt des „Suizids“ ihres Vaters erst zwölf und 16 Jahre alt waren, dürfte ihm insbesondere finanziell teuer zu stehen kommen. Aber auch seine Ex-Frau Raffaella Borghi sowie möglicherweise seine Geschäftspartner könnten gegen ihn Schadenersatzforderungen geltend machen.
Zehn Jahre nachdem der aus der Kleinstadt Lugo stammende Adamo Guerra seinen Suizid inszeniert hatte, flog auf, dass der Mann in Wahrheit nicht „nur“ lebt, sondern sich sogar bester Gesundheit erfreut. Seine „Witwe“, die ihn zehn Jahre lang für tot hielt, konnte ihr Erstaunen und vor allem ihre tiefe Enttäuschung und Verbitterung kaum verbergen, als sie im Studio von „Chi l’ha visto“ ihren Mann sah, wie er in einem Büro saß und arbeitete. Der heute 56-Jährige, der sich durch seine Eintragung in das vom italienischen Außenministerium betreuten Register der Auslandsitaliener – Anagrafe Italiani residenti all’estero (A.I.R.E.) – unvorsichtigerweise selbst verraten hatte, schickte sichtlich erzürnt das Kamerateam der Rai-Sendung „Chi l’ha visto“, das ihn in Patras aufgestöbert hatte, fort.
Dies dürfte ihm aber wenig nützen. Der italienischen Justiz wird Adamo Guerra, der sich mit seinem „Fake-Suizid“ und seiner Flucht ins Ausland gleich mehrerer Straftaten schuldig gemacht hatte, viele Fragen beantworten müssen.
Wie der Staatsanwalt von Ravenna, Daniele Barberini, gegenüber dem Corriere della Sera unterstreicht, wurde gegen den 56-jährigen Mann – noch – kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Zudem – so der Staatsanwalt – verjährt die Straftat der Auslösung eines falschen Alarms bei den Behörden, der sich Adamo Guerra durch seinen „Fake-Suizid“ schuldig gemacht hatte, nach vier Jahren. Das spurlose Verschwinden selbst ist hingegen keine Straftat, aber da Adamo Guerra, zum Zeitpunkt seines „Ausscheidens aus seinem früheren Leben“ Vater zweier damals noch minderjähriger Töchter war, könnte er wegen Verletzung seiner familiären Unterhaltspflichten vor den Richter gezerrt werden. Es handelt sich dabei um eine Straftat, die durch die Artikel 570 und 570 bis strafrechtlich sanktioniert wird.
Die elterliche Fürsorge bleibt laut italienischem Recht so lange bestehen, bis die Kinder selbstständig sind. Die Tatsache, dass die Töchter zum Zeitpunkt des vermeintlichen Suizids ihres Vaters noch minderjährig waren, ermöglicht es der Justiz, von Amts wegen vorzugehen. Die Straftat verjährt nach sechs Jahren ab dem Zeitpunkt des Erlöschens seiner familiären Verpflichtungen. Da seine Töchter erst jeweils 22 und 26 Jahre alt sind und eine der beiden an einer Universität studiert, gilt es als sicher, dass ihr Vater gegenüber ihnen immer noch Fürsorgepflichten hat. Die beiden jungen Frauen könnten sich dem Gerichtsverfahren gegen Adamo Guerra als Zivilklägerinnen anschließen und vor dem Richter gegen ihn nicht nur einen finanziellen, sondern auch einen sogenannten moralischen Schadenersatz geltend machen. Seine Ex-Frau Raffaella Borghi hingegen könnte eine Entschädigung dafür verlangen, dass sie ihre Töchter allein großziehen musste.
Gängiger italienischer Rechtsprechung zufolge, die von Urteilen des römischen Verfassungsgerichtshofs gestützt wird, die Opfern auch einen Schadenersatz für einen „moralischen Schaden“ zusprechen, riskiert Adamo Guerra zu hohen Schadenersatzzahlungen verurteilt zu werden. „Wer sich in Anwesenheit minderjähriger Kinder in Luft auflöst, verletzt mit Sicherheit seine Unterhaltspflicht gegenüber seinen Nachkommen“, betont der Professor für Zivilrecht an der Universität Bologna, Enrico Al Mureden, gegenüber dem Quotidiano Nazionale.
Enrico Al Mureden fügt hinzu, dass diese Fürsorgepflicht auch über die Volljährigkeit der Kinder hinaus fortbestehe, wenn sie in Bezug auf ihr Einkommen noch nicht selbstständig seien. Sollte die Ehefrau zum Zeitpunkt des „Fake-Suizids“ ihres Mannes finanziell nicht selbstständig gewesen sein, bestehe dem anerkannten Rechtsexperten zufolge auch für sie die Möglichkeit, einen ähnlichen Schadenersatzanspruch zu erheben.
Das ist aber noch nicht alles. „Indem er einfach verschwunden ist, hat er seine Töchter ihrer elterlichen Beziehung beraubt. Die Rechtsprechung erkennt in solchen Fällen das Recht des Kindes an, auch für immaterielle Schäden entschädigt zu werden“, unterstreicht der Professor für Zivilrecht an der Universität Bologna.
Was die Verjährung der Auslösung eines falschen Alarms bei den Behörden angeht, ist der Professor skeptischer als der Staatsanwalt von Ravenna. „Sollte er jemandem, beispielsweise seinen Geschäftspartnern, Geld unterschlagen haben, hätte die Verjährung nicht einsetzen können. Da sie einen totgeglaubten Mann nicht verklagen konnten, besaßen seine möglichen Gläubiger tatsächlich keinen gangbaren Weg, zu ihrem Recht zu kommen“, meint Professor Enrico Al Mureden.
Mit Blick auf die italienischen Gesetze dürften auf Adamo Guerra, der als wohlhabend gilt, zumindest vonseiten seiner Familie hohe Schadenersatzforderungen zukommen. Seine Ex-Frau Raffaella hat ihr ganz persönliches Urteil bereits gefällt. „Für mich ist er weder ein Mann noch ein Vater“, so Raffaella.
Der unglaubliche und verstörende Fall des inszenierten Suizids von Adamo Guerra sorgt in der italienischen Öffentlichkeit für großes Aufsehen. Viele Italiener fragen sich, wie es dem heute 56-Jährigen jahrelang gelingen konnte, zuerst seinen Suizid vorzutäuschen und unbehelligt von der Justiz in einem anderen Land ein neues Leben zu beginnen.