Herausforderung Familienpolitik

Italien ist das älteste Land Europas: Das ist ein Problem

Dienstag, 27. Februar 2024 | 07:01 Uhr

Von: mk

Rom – Italien hat ein Überalterungsproblem, das Ökonomen die Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Den jüngsten Daten von Eurostat zufolge ist Italien das älteste Land in der EU. „Die Menschen länger leben zu lassen, sollte ein Ziel auf der politischen Agenda jeder Regierung eines Landes sein. Das Problem ist, dass die Fruchtbarkeitsrate in Italien niedrig ist“, erklärt Giovanni Lamura vom Nationalen Institut für Gesundheit und Wissenschaft gegenüber Euronews.

Die Hälfte der italienischen Bevölkerung weist derzeit ein Durchschnittsalter von über 48 Jahren auf. Zusammen mit Portugal hat Italien den höchsten Prozentsatz an Einwohnern, die über 65 Jahre alt sind. Dies entspricht einem europaweiten Trend: Das Durchschnittsalter in der EU ist insgesamt angestiegen – auf 44,5 Jahre. Die Zahl der älteren Menschen beträgt inzwischen mehr als ein Fünftel der Bevölkerung in der EU.

Gleichzeitig ist der Anteil der über 80-Jährigen in Italien – gemessen an der Gesamtbevölkerung – auf 7,7 Prozent gewachsen. Im Vergleich dazu betrug er im Jahr 1991 nur 3,3 Prozent. Das bedeutet: Die Zunahme an Rentnern – und an Sterbefällen – wird nicht annähernd durch die Zahl der Neugeborenen aufgewogen.

Auch die Bemühungen der Mitterechts-Regierung rund um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni haben bislang nicht dazu beigetagen, die Geburtenrate anzukurbeln und den demografischen Niedergang aufzuhalten.

In den letzten 40 Jahren sei die durchschnittliche Anzahl der Kinder pro Familie in Italien unter 1,5 gelegen, wie Alessandro Rosina, Professor für Demografie und Sozialstatistik an der Università Cattolica di Milano, gegenüber Euronews erklärt. “Die jüngsten Daten liegen unter 1,24 pro Frau.” Um eine Bevölkerung stabil zu halten, ist aber eine Rate von zwei Geburten pro Frau notwendig.

Der Trend sinkender Geburtenrate habe bereits in den 1980-er Jahren begonnen, erklärt erklärte Cecilia Tomassini, Professorin für Demografie und Sozialstatistik an der Universität Molise. Auch die Migrationsströme hätten den Alterungsprozess nur geringfügig abgemildert. Der Bevölkerungsrückgang werde in Italien immer ausgeprägter.

Dass ältere Menschen in Italien länger leben, sei eigentlich eine gute Nachricht, sagt Lamura. Begünstigt wurde die Entwicklung von politischen Entscheidungen, großzügigen Renten und einem kostenlosen Gesundheitssystem. Allerdings hat die Medaille auch eine Kehrseite. Italien hat Lamura zufolge nicht so viel in die jüngeren Generationen investiert: „Italien sollte mehr tun, um junge Familien finanziell zu unterstützen” sagt er. Gleichzeitig ist ihm bewusst: Italien hat eine massive BIP-Verschuldung, die im September 2023 bei 140,6 Prozent lag. Offenbar kann es sich das Land nicht leisten, mit einer großzügigen neuen familienfreundlichen Politik noch mehr Schulden zu machen.

Wie andere Europäer träumen auch Italiener davon, Kinder zu haben und eine eigene Familie zu gründen. Doch politische Unterstützung gibt es im Vergleich zu anderen EU-Ländern kaum. Das Durchschnittsalter von Eltern, die ihr erstes Kind bekommen, ist eines der höchsten in Europa. Junge Italienerinnen und Italiener haben Schwierigkeiten, ins Berufsleben einzusteigen und einen festen Arbeitsplatz zu finden. Dasselbe gilt für die Suche nach einer eigenen Wohnung.

Die Herausforderung, Familie und Berufsleben unter einen Hut zu bringen, wird in Italien dadurch verschärft, dass es einerseits an wirtschaftlicher Unterstützung und andererseits an angemessener Infrastruktur für junge Eltern und ihre Kinder fehlt. Die Regierung rund um Girogia Meloni hat zwar die Mehrwertsteuer auf Windeln und Babymilch halbiert, aber die Kinderbetreuung bleibt teuer.

Ökonomen befürchten, dass das ohnehin schon schwache Wirtschaftswachstum weiter zurückgeht und Italien schließlich nicht mehr in der Lage ist, sein Renten- und Sozialsystem zu finanzieren. Wenn Italien in Sachen Familienpolitik nicht den besten Beispielen in Europa folgt, werden die Entwicklung und die soziale Nachhaltigkeit des Landes in den nächsten Jahrzehnten gefährdet sein, rechnen Experten.