Von: ka
Gabicce – Kurz vor Beginn der Hauptsaison werden die Urlaubsorte an der Adria von einer heftigen Polemik erschüttert. Der Bürgermeister sowie der Präsident des Tourismusvereins von Gabicce beklagen einen Mangel an Saisonkräften und behaupten, dass das von der Regierung eingeführte Bürgergeld Schuld an dieser Misere sei. Die früheren Arbeitskräfte würden heute lieber zu Hause bleiben, den „Reddito di cittadinanza“ kassieren und nebenher ein bisschen „schwarz“ arbeiten, als eine Saisonstelle anzutreten. Der M5S und die Gewerkschaften wehren sich heftig gegen die Anschuldigungen. Schuld an der Misere seien die Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe. Die Arbeitnehmer ließen sich nicht mehr mit Hungerlöhnen und unbezahlten Überstunden abspeisen – so die Grillini.
Die Polemik begann, als der Bürgermeister von Gabicce, Domenico Pascuzzi (PD), den Finger in eine offene Wunde legte. „Viele junge Süditaliener, die letztes Jahr in unseren Hotels gearbeitet hatten, haben uns heuer geantwortet, nicht nach Gabicce zurückzukehren, weil sie das Bürgergeld bekommen. Kehrten sie zurück, würden sie die Beihilfe von mehr als 700 Euro, die ihnen zum Leben reicht, verlieren“, so Domenico Pascuzzi.
Der Präsident der Tourismusvereinigung, Angelo Serra, pflichtete ihm bei. Angelo Serra berichtete, dass in den rund 90 Beherbergungsbetrieben des bekannten Adria-Urlaubsortes derzeit zwischen Kellnern, Zimmermädchen und Küchenpersonal rund 250 Saisonarbeitsstellen unbesetzt seien. Die Hoteliere bekämen auf ihre Mails immer wieder Antworten, dass die früheren Angestellten das Bürgergeld, das sie mit etwas Schwarzarbeit aufbessern, einer Saison im Norden vorziehen würden, so Serra.
Le località di mare faticano a trovare addetti per fare la stagione, spiega oggi il sindaco di Gabicce. Perché? Perché…
Pubblicato da Matteo Renzi su Sabato 8 giugno 2019
Der frühere Ministerpräsident Matteo Renzi blies ins gleiche Horn. „Sie haben uns eine wirtschaftlich falsche und besonders eine in erzieherischer Hinsicht verderbliche Maßnahme aufs Auge gedrückt. Die Grillini bezahlen die Leute dafür, zu Hause zu bleiben, anstatt zu arbeiten. Was für ein Eigentor“, so Matteo Renzi auf seiner Facebook-Seite.
Die Worte des Bürgermeisters von Gabicce und seiner Unterstützer schlugen ein wie eine Bombe und lösten vor allem im Netz heftige Reaktionen aus. Viele Nutzer und Kommentatoren meinten, dass die Hoteliere an dieser Misere selbst schuld seien. Angesichts der niedrigen Löhne und der unbezahlten Überstunden, fänden sich immer weniger junge Menschen dazu bereit, im Gastgewerbe zu arbeiten. Ähnlich reagierte die Fünf-Sterne-Bewegung, die maßgeblich das „Reddito di cittadinanza“ genannte Bürgergeld vorangetrieben hatte. „Die Ära der Ausbeutung ist vorbei, die Zukunft gehört der Würde“, so der M5S auf Twitter.
L’era dello sfruttamento è finita, il futuro è la dignità.
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— Movimento 5 Stelle (@Mov5Stelle) June 8, 2019
Loredana Longhin – in der Gewerkschaft Filcams Cgil von Pesaro Urbino für den Bereich Tourismus verantwortlich – äußerte sich ähnlich. „Das Problem liegt weniger am Bürgergeld, sondern vielmehr an den Löhnen und an der Einhaltung der Arbeitszeiten. In unserem Gebiet kommt es immer wieder vor, dass vertraglich festgelegte Arbeitszeiten von acht Stunden, sich in der Praxis als zwölf Stunden entpuppen. Jedes Jahr behandeln wir als Gewerkschaft Dutzende von solchen Fällen“, meint Loredana Longhin.
„Ich wollte nie und nimmer sagen, dass die jungen Süditaliener keine Lust zu arbeiten hätten. Ich wurde missverstanden. Ich bin in Catanzaro geboren und lebe seit dem Jahr 2005 in Gabicce. Ich kenne die dortigen Gegebenheiten sehr gut und glaube, dass die jungen Leute aus dem Süden mehr als andere dazu bereit seien, Opfer zu bringen. Ich bin aber weiterhin der Ansicht, dass das Bürgergeld eine reine Gewährung staatlicher Hilfen als Klientelpolitik sei und solche Zustände hervorrufe“, so der Bürgermeister von Gabicce.
Die Polemik um das Bürgergeld führt in der italienischen Politik und Gesellschaft weiterhin zu heftigen Kontroversen. Und was meinen unsere Leserinnen und Leser?