Von: ka
Cisterna di Latina/Latium – Am Tag nach der Tragödie von Cisterna di Latina, bei der ein Carabiniere mit seiner Dienstwaffe zuerst seine Frau schwer verletzt, dann seine beiden sieben und 13 Jahre alten Töchter getötet und zuletzt sich selbst gerichtet hatte, kamen immer mehr Details aus der Vorgeschichte der Bluttat zutage.
Die Vorgeschichte der Tragödie, welche am frühen Mittwoch in einer schrecklichen Bluttat gipfelte, begann bereits bald nach Hochzeit. Der 43-jährige Appuntato der Carabinieri Luigi Capasso, der als sehr eifersüchtig und gewalttätig beschrieben wird, und seine Frau, die 39-jährige Antonietta Gargiulo stritten sich sehr oft, wobei der 43-Jährige nicht davor zurückschreckte, seine Ehefrau auch vor seinen eigenen Kindern, den beiden Töchtern Alessia und Martina, zu schlagen.
Eine besonders gravierende Gewalttat ereignete sich am 4. September letzten Jahres, als Luigi Capasso seiner Frau am Eingang ihres Arbeitsortes auflauerte. Er wollte wissen, wer der 39-Jährigen eine SMS geschickt hatte, und wurde vor ihren Arbeitskollegen seiner Frau gegenüber handgreiflich. Die zutiefst verängstigte Antonietta Gargiulo wollte an diesem Abend nicht nach Hause gehen und zog es vor, die Nacht zusammen mit ihren beiden Töchtern bei einer Freundin zu verbringen. Nachdem er seine Frau vor Zeugen ein weiteres Mal geschlagen hatte, zog Luigi Capasso aus der gemeinsamen Wohnung aus.
In der Folge wendete sich die 39-Jährige, welche wegen der Gewalttätigkeit ihres Mannes auch große Angst um ihre Töchter hatte, an die Frauenhilfsvereinigung „Valore Donna“ von Latina, wo man Antonietta Gargiulo beriet und ihr einen Rechtsanwalt zur Seite stellte. Antonietta Gargiulo wollte schon allein ihrer Töchter wegen nicht mehr bei diesem Mann bleiben und fasste den Entschluss, sich von ihm zu trennen.
Am 7. September suchte die 39-Jährige die Quästur von Latina auf und reichte dort eine gerichtliche Eingabe, der sie einen handgeschriebenen Bericht aller Vorfälle und Gewalttätigkeiten beifügte, ein. Sie verzichtete aber darauf, formell Anzeige zu erstatten, weil sie – so Antonietta Gargiulo – nicht wolle, dass ihr Mann die Arbeit verliere. Luigi Capasso war in der Vergangenheit für fünf Jahre vom Dienst suspendiert worden, weil gegen ihn in einem Fall von Versicherungsbetrug ermittelt worden war. Bei einem weiteren Verfahren hätte er seine Arbeit verloren. Im Oktober verständigte Antonietta Gargiulo die Sozialdienste, weil sie nicht wollte, dass ihre beiden Töchter ihren gewalttätigen Mann alleine sehen.
Luigi Capasso, der die gemeinsame Wohnung verlassen hatte, suchte im November 2017 bei den Carabinieri um eine Dienstwohnung an. In diesem Rahmen informierte er seine Vorgesetzten darüber, dass er sich mit seiner Frau in Trennung befinde, er selbst „eine schlechte Zeit“ durchlaufe und psychologische Hilfe in Anspruch nehme. Vonseiten der Carabinieri wurde er zuerst in einen achttägigen Krankenstand versetzt und dann einer ärztlichen Visite unterzogen. Die Ärzte der Carabinieri erklärten Luigi Capasso daraufhin dennoch für diensttauglich. Auch seine Dienstwaffe, mit der er später seine Frau schwer verletzten und seine Kinder töten sollte, durfte er behalten.
Im Jänner ging Capasso selbst zur Quästur von Latina und beschwerte sich dort über seine Frau, die ihm angeblich den Zugang zu seiner Wohnung und zu seinen Töchtern verwehre. Am 30. Jänner wurde er von der Quästur vorgeladen. Dort zeigte er sich vor den Augen der Justiz reuig und bekundete seine angebliche Hoffnung, dass seine Frau ihn wieder in die Wohnung lasse. In Wirklichkeit fuhr der 43-jährige Carabiniere aber fort, seiner Frau nachzustellen, ihr aufzulauern und sie mit einer Vielzahl von Anrufen und SMS zu quälen. Zweimal suchte Antonietta Gargiulo seinen Arbeitsplatz – die Carabinierikaserne von Velletri – auf und unterrichtete seine Kollegen vom „Stalking“ ihres Mannes. Aber es half nichts. Niemand dachte daran, dem 43-Jährigen, der vor drei Monaten offiziell für tauglich befunden worden war, die Dienstwaffe zu abzunehmen.
Gerichtlich wurde für den 29. März die erste Anhörung für die gesetzliche Trennung angesetzt. Aber dazu kam es nicht mehr. Kurz nach fünf Uhr in der Früh lauerte der 43-Jährige in der Garage seiner Frau auf und feuerte auf sie fünf Schüsse ab, von denen drei Antonietta Gargiulo schwer verletzten. Aus ihrer Handtasche entwendete er die Haustürschlüssel, ging in die Wohnung und erschoss zuerst seine siebenjährige Tochter Martina und dann seine 13-jährige Tochter Alessia. Nach mehrstündigen „Verhandlungen“, bei denen er vortäuschte, dass seine beiden Töchter noch leben, richtete er sich gegen 13.45 Uhr selbst.
Der zuständige Innenminister Marco Minniti sprach von „zu vielen Unterschätzungen“ und kündigte eine scharfe Untersuchung an.
„Das Geschehene ist unannehmbar, es gab zu viele unterschätzte Sachverhalte. Wir müssen eine ehrenvolle Pflicht erfüllen: Wir dürfen nicht über solche Tragödien diskutieren und dabei denken, dass sie hätten vermieden werden können“, so der italienische Innenminister.
Für Antonietta Gargiulo und ihre Töchter Alessia und Martina kommt diese Erkenntnis leider zu spät. Die Ängste der Frau um sich und ihre Töchter wurden unterschätzt und blieben ungehört.
Am Tag nach der Tragödie liegt über Cisterna di Latina eine unwirkliche, traurige Stille. Unbekannte haben weiße Blumen am Hauseingang hingelegt. An der Schule der beiden Mädchen herrscht große Trauer. Bilder und Blumen wurden auf den Klassenbänken, wo Alessia und Martina saßen, gestellt.
Es muss sich etwas ändern.