Femizid an Lorena Quaranta: Kassationsgerichtshof hebt lebenslange Haftstrafe auf – VIDEO

“Lockdown- und Covid-Stress sind Strafmilderungsgründe”

Montag, 22. Juli 2024 | 08:04 Uhr

Von: ka

Furci Siculo/Rom – Die Aufhebung einer lebenslangen Haftstrafe durch den römischen Kassationsgerichtshof sorgt italienweit für heftige Diskussionen. Nachdem die ersten beiden Instanzen Antonio De Pace für den im März 2020 verübten Mord an Lorena Quaranta zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt hatten, hob das Oberste Gericht das Urteil des Berufungsgerichts auf.

Nach Ansicht des Höchstgerichts „haben die Richter nicht geprüft, ob die besonderen Umstände der Covid-Zeit und die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten Kriterien darstellen, die das Ausmaß der strafrechtlichen Verantwortung beeinflussen“. Mit dieser Begründung ordneten die Höchstrichter die Wiederaufnahme des Verfahrens an.

Facebook/Lorena Quaranta

Lorena Quaranta hatte den Traum, Kinderärztin zu werden. Die 27-jährige Sizilianerin aus Favara bei Agrigento stand kurz vor dem Abschluss ihres Medizinstudiums an der Universität Messina. Während des Studiums hatte sie auch ihren Freund Antonio De Pace kennengelernt. Der ursprünglich aus Dasà in Kalabrien stammende gleichaltrige Krankenpfleger, der im ersten Jahr des Studiums der Zahnmedizin eingeschrieben war, und die junge Sizilianerin lebten in einer Wohnung in Furci Siculo in der Nähe von Messina zusammen.

Der Beginn der Pandemie stellte die junge Paarbeziehung bald auf eine harte Probe. Zwischen Antonio De Pace, der vor dem Virus panische Angst hatte und sich sehr vor einer Ansteckung fürchtete, und Lorena Quaranta brach immer wieder Streit aus. Der Husten, an den Lorena Quaranta seit einigen Tagen litt, verstärkte seine Angst so sehr, dass er sich einredete, er sei bereits positiv, was jedoch jeglicher Grundlage entbehrte.

Facebook/Lorena Quaranta

Am Abend des 30. März 2020 mündete ein an sich banaler Streit in eine Tragödie. Nach einer kurzen Auseinandersetzung prügelte Antonio De Pace zuerst auf Lorena Quaranta ein und erwürgte sie dann mit bloßen Händen. Anschließend verständigte er die Carabinieri. Indem er sich selbst Schnittwunden zufügte, versuchte der 27-Jährige sich vor dem Eintreffen der Carabinieri das Leben zu nehmen.

Erst nach langem Schweigen erklärte Antonio De Pace den Carabinieri das Motiv für die Bluttat. „Ich habe sie getötet, weil sie mich mit dem Coronavirus angesteckt hat“, so der junge Mann. Das war aber eine Lüge. Den entnommenen Abstrichen zufolge waren sowohl das Opfer als auch der Täter negativ auf SARS-CoV-2.

Facebook/Antonio De Pace

Die Verteidiger von Antonio De Pace plädierten zwar auf eine eingeschränkte Urteils- und Zurechnungsfähigkeit ihres geständigen Mandanten, aber sowohl das Gericht erster Instanz als auch das Schwurgericht von Messina gelangten zur Ansicht, dass der 27-Jährige zum Zeitpunkt der Bluttat im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen war. Das hatte zur Folge, dass Antonio De Pace in beiden Fällen zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde.

Die Richter des römischen Kassationsgerichtshofs hoben jedoch das Urteil des Berufungsgerichts auf. „Die Richter haben nicht geprüft, ob die besonderen Umstände der Covid-Zeit und die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten Kriterien darstellen, die das Ausmaß der strafrechtlichen Verantwortung beeinflussen“, schreiben die Richter des Kassationsgerichtshofs in ihrer Urteilsbegründung.

Facebook/Lorena Quaranta

„Angesichts der Besonderheit des Sachverhalts hätte geprüft werden müssen, ob dem Angeklagten angerechnet werden kann, dass er nicht wirksam versucht hat, seinen Angstzuständen entgegenzuwirken, und ob die Pandemie mit all ihren Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen und damit auch auf den Angeklagten Kriterien darstellen, die das Ausmaß der strafrechtlichen Verantwortung beeinflussen“, fügt das Höchstgericht hinzu.

Mit dieser Begründung ordnete das Höchstgericht die Wiederaufnahme des Verfahrens an. Das kommende Urteil des Berufungsgerichts wird dieser Begründung Rechnung tragen und das Strafmaß daher – vermutlich erheblich – herabsetzen müssen. Angesichts der auch in diesem Jahr nicht enden wollenden Serie von Femiziden sorgt die Aufhebung der lebenslangen Haftstrafe durch den römischen Kassationsgerichtshof in ganz Italien für heftige Diskussionen. „Lockdown- und Covid-Stress dürfen keine Strafmilderungsgründe sein“, meinen viele Italiener.

Facebook/Lorena Quaranta

Lorena Quarantas Familie hingegen bleibt nur der schwache Trost der post mortem verliehenen Ehrendoktorwürde der Universität Messina, die der jungen Frau sieben Monate nach ihrer Ermordung verliehen wurde.