Von: ka
Turin – Enrico Murdocco gehört in der piemontesischen Metropole Turin zu jenen wenigen Bäckern, die das Brot und andere Backwaren wie Grissini und Panettoni nach althergebrachter Tradition backen.
Der junge Bäcker, dessen Handwerk bereits mehrmals von der angesehenen Organisation Gambero Rosso preisgekrönt wurde, experimentiert aber auch gerne mit neuen Brotzutaten. So kündigte er an, ab Ende März seinen Kunden Brot, das einen Anteil von Grillenmehl – es handelt sich um Mehl aus getrockneten Grillen – enthält, anbieten wird. Enrico Murdocco, der bereits einige geschmacklich vielversprechende „Versuchsbrote“ gebacken hatte, teilte mit, dass er Ende des nächsten Monats zunächst mit dem Verkauf traditioneller Brotlaibe aus Grillenmehl beginnen wird. Wenig später werden sich zum Brot auch Grissini sowie süße und gesalzene Muffins, die einen Anteil Grillenmehl enthalten, gesellen.
„Im Moment können wir nur Grillenmehl verwenden, das von der Firma Italian Cricket Farm aus Vietnam importiert wird. Das Unternehmen aus Scalenghe südlich von Turin züchtet Grillen, die bisher nur für Tiere bestimmt sind. Sobald die Testphase mit demselben Unternehmen abgeschlossen ist und alle Genehmigungen vorliegen, werden wir anstatt des importierten Mehls ein rein heimisches Mehl verwenden können“, blickt der Turiner Bäcker zuversichtlich in die Zukunft.
Italian Cricket Farm ist auch der erste italienische Hersteller, der Nudeln, die einen Anteil von Grillenmehl enthalten, anbieten wird. Dem Unternehmen zufolge sollen in einigen Wochen die ersten Spaghetti aus Grillenmehl, denen ein nussiger Geschmack nachgesagt wird, auf dem Markt kommen.
Wie hoch der Anteil an Grillenmehl in seinem „Grillenbrot“ ist, will der Turiner Bäcker nicht verraten. „Da ich der Einzige in Italien bin, der das richtige Gleichgewicht zwischen Grillen- und Weizenmehl gefunden hat, behalte ich das Rezept lieber für mich“, so Enrico Murdocco, der bei diesem Satz lachen muss. „Ich kann nur sagen, dass es aus Grillenmehl, Weizenmehl, Sauerteig und zur Auflockerung auch aus einer Mischung aromatischer Körner bestehen wird. Das Brot, dessen Geschmack leicht an Haselnüsse erinnert und das die gleiche Haltbarkeit wie das herkömmliche Brot aufweist, passt gut als Begleiter von Trockenobst und rohem Fleisch“, erklärt der Turiner Bäcker.
Enrico Murdocco ist es jedoch wichtig, noch auf eine wichtige Charakteristik des Brots hinzuweisen. „Laut ersten Expertenschätzungen enthält ein Brot aus Grillenmehl so viel Eiweiß wie ein Kalbsrückensteak. Ein Brotlaib reicht für eine vollständige Ernährung vollkommen aus“, meint der Turiner Bäckermeister.
Enrico Murdocco fügt hinzu, dass er die Entscheidung, Brot aus Grillenmehl zu backen, nicht aus Umweltgründen getroffen habe, sondern dass es für ihn eine kulturelle und geschmackliche Erfahrung sei. „Um ein bisschen zu experimentieren, habe ich einfach einen Sack Grillenmehl bestellt“, so der experimentierfreudige Bäcker.
Aber nicht alle freuen sich über Brot aus Grillenmehl. Im Netz schlägt dem Turiner Bäcker nicht nur Kritik, sondern regelrecht Wut und Hass entgegen. Einige Nutzer werfen Enrico Murdocco vor, die italienische Kultur und insbesondere die italienische Küche zu schmähen. Andere fordern ihn dazu auf, Italien zu verlassen und nach Afrika, Südamerika oder Asien auszuwandern.
Enrico Murdocco kann die Gegner nicht verstehen. „Ehrlich gesagt, verstehe ich diese ganze Kritik nicht. Es handelt sich nur um eine kulturelle Frage. In anderen Kulturen ist man beispielsweise darüber entsetzt, dass wir Fleisch von Kühen oder Schweinen essen. Dort gibt es aber nicht diese ganze Aufregung“, entgegnet der Turiner Bäcker seinen Kritikern. Da Grillenmehl sehr teuer sei – so Enrico Murdocco – bestehe auch nicht das Risiko, dass ahnungslosen Brotkunden Grillenmehl „untergejubelt“ werde. Mit 20 Euro pro Kilogramm handelt es sich beim „Grillenbrot“ in der Tat um ein wahres Luxusbrot.
Bald wird der Kunde das Wort haben. Brot und Nudeln, die einen Anteil Grillenmehl enthalten, werden in wenigen Wochen und Monaten im Onlinehandel und im Supermarktregal zu finden sein. Werden auch die Südtiroler zugreifen?