Angst vor Protesten sorgt für Empörung

Mailänder Kino verweigert Vorführung eines Holocaust-Films

Samstag, 16. November 2024 | 08:05 Uhr

Von: Ivd

Mailand – Knapp 80 Jahre nach Ende der systematischen Verfolgung von Juden in Europa sind Fälle von Antisemitismus so hoch noch nie. Ein Dokumentarfilm der Holocaust-Überlebenden Liliana Segre die Grausamkeit dieser Zeit verdeutlichen und das Leben der Holocaust-Überlebenden beleuchten, doch der Kinobetreiber weigert sich aus Angst vor Propalästina-Demonstranten, den Film zu zeigen.

Der Betreiber selbst sagte in einem Interview mit La Repubblica: „Ich habe nichts gegen Juden, aber versetzen Sie sich in meine Lage. Das politische Klima ist angespannt. Ich habe keine Lust, ein Risiko einzugehen“. Er wolle angesichts der angespannten Lage im Nahen Osten und der immer wieder aufflammenden Konflikte hierzulande kein „Risiko eingehen“. In Mailand finden wöchentlich propalästinensische Proteste statt.

Meinungsfreiheit und Antisemitismus in Italien

Der Regisseur des Films, Ruggero Gabbai, machte die Entscheidung des Kinobetreibers vor wenigen Tagen öffentlich, was eine landesweite Debatte über Meinungsfreiheit und die wachsende Angst vor Anfeindungen entfachte. Medien und öffentliche Stimmen kritisierten die Entscheidung des Kinos scharf. Viele Italiener sehen die Absage als Symbol für das Versagen, sich klar gegen Antisemitismus zu positionieren.

Zusätzliche Brisanz erhielt der Vorfall durch die jüngsten Angriffe auf Gedenkstätten in Mailand: Erst vor wenigen Tagen wurde das Gesicht Segres auf einem Wandbild mutwillig beschädigt, und der aufgebrachte „Judenstern“ – das Erkennungsmerkmal von Juden im faschistischen Europa während der NS-Zeit – weggekratzt.

Anfeindungen gegen Juden nehmen zu

Der Dokumentarfilm „Liliana“ beleuchtet das Leben der heute 94-jährigen Holocaust-Überlebenden Liliana Segre, die 1930 in einer jüdischen Familie in Mailand geboren wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie im Alter von 13 Jahren nach Auschwitz deportiert und überlebte das Lager durch Zwangsarbeit. Heute ist Segre Senatorin auf Lebenszeit und engagiert sich aktiv gegen Antisemitismus. Doch auch Jahrzehnte nach ihrer Befreiung ist sie weiterhin Zielscheibe antisemitischer Hassnachrichten und Drohungen. Seit Beginn der jüngsten Eskalation des Konflikts nach eigenen Angaben sogar mehr als je zuvor.

Der Fall zeigt, wie die Spannungen des Nahost-Konflikts zunehmend in den Alltag Europas einziehen und das gesellschaftliche Klima beeinflussen. Dass ein Kino aus Angst vor Protesten eine Filmvorführung über eine Holocaust-Überlebende absagt, verdeutlicht, welchen Stellenwert Antisemitismus in Italien nach wie vor hat und zeigt einen beunruhigenden Trend.

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