Von: ka
Palermo/Castelvetrano – 30 Jahre lang – seit dem Jahr 1993 – hatten die italienische Justiz und die Ordnungskräfte des Stiefelstaats Matteo Messina Denaro gejagt, aber dem „letzten Paten“, der nach der Verhaftung von Totò Riina und Bernardo Provenzano das Ruder der sizilianischen Cosa Nostra übernommen hatte, war es immer wieder gelungen, seiner Verhaftung zu entkommen.
Nach Jahrzehnten vergeblicher Versuche des Capo di tutti i capi habhaft zu werden, konnte der 60-Jährige am Montag in Palermo festgenommen werden. Es war eine minutiöse Ermittlungsarbeit – das Zusammenfügen vieler kleiner Puzzleteile – und insbesondere die schwere Erkrankung des Paten, die die Carabinieri zu Matteo Messina Denaro führten. Die Carabinieri waren im wahrsten Sinne des Wortes „einem Tumor gefolgt“.
Matteo Messina Denaro kann auf eine jahrzehntelange kriminelle Karriere zurückblicken. Der heute 60-Jährige, dem unter anderem Dutzende von Morden zur Last gelegt werden, lebte seit drei Jahrzehnten im Untergrund. Über seine Verwandten und die Mitglieder seiner ursprünglichen Mafiafamilie – vor seinem Aufstieg zum „letzten Paten“ war Matteo Messina Denaro jahrelang Boss der Mafiafamilie von Castelvetrano bei Trapani gewesen – versuchten Polizei und Carabinieri immer wieder an ihn heranzukommen.
Trent'anni sulle tracce del boss
Trent'anni sulle tracce del bossPer trent'anni, gli inquirenti hanno seguito le poche tracce lasciate da Messina Denaro durante la latitanza, convincendosi che gestisse da vicino il patrimonio multimiliardario di Cosa Nostra.Jacopo Cecconi per il Tg3 delle 14:20 del 16 gennaio 2023
Posted by Tg3 on Monday, January 16, 2023
Um den Paten zu fassen, wurden im Laufe der Jahre Dutzende seiner engeren und weiteren Verwandten sowie Mafiosi, die zu seiner „Familie“ gezählt werden, verhaftet. Dem Capo di tutti i capi, der über Strohmänner und verschachtelten Unternehmensbeteiligungen über ein Milliardenvermögen verfügen soll, gelang es aber mehrmals, sich seiner Festnahme zu entziehen. In einem Fall waren die Ermittler ganz nah an ihm dran, aber das Versteck war leer. Offenbar hatte der 1962 geborene Boss aus seinem Netzwerk im letzten Moment einen Wink bekommen. Sogar über einen Mafia-Abtrünnigen, der dem Boss aller Bosse die Aussicht auf ein angebliches Millionengeschäft mit öffentlichen Aufträgen angeboten hatte, wurde versucht, ihn aus der Deckung zu locken, aber der dickste aller Fische wollte nicht anbeißen.
Seine Unterstützer und insbesondere sein Vermögen ermöglichten es Matteo Messina Denaro auch nicht nur auf Sizilien, sondern in ganz Italien und sogar ins Ausland zu reisen. Zur Besprechung „gemeinsamer Geschäftsinteressen“ soll er sich dabei mehrmals mit anderen Bossen getroffen haben. Infolgedessen wurde Matteo Messina Denaro in die Liste der weltweit zehn gefährlichsten flüchtigen Kriminellen aufgenommen.
"Una latitanza connotata da qualificatissime connivenze ad ogni livello".
"Una latitanza connotata da qualificatissime connivenze ad ogni livello".Maria Teresa Principato, ex procuratore aggiunto di Palermo, ha indagato per decine di anni sulla latitanza di Matteo Messina Denaro iniziata dopo le stragi nel 1993. Cristiana Palazzoni per il Tg3 delle 14:20 del 16 gennaio 2023
Posted by Tg3 on Monday, January 16, 2023
Die wiederholten Verhaftungen der letzten Jahre konnten die Polizei und die Carabinieri zwar nicht zum „letzten Paten“ führen, trugen aber entscheidend dazu bei, sein Unterstützernetzwerk zu schwächen. Abgehörte Telefongespräche und die Einvernahme der verhafteten Verwandten ergaben zudem, dass es um die Gesundheit des Bosses aller Bosse nicht zum Besten stand.
Da sie wussten, dass sie abgehört werden, benutzen die letzten sich noch in Freiheit befindlichen Familienmitglieder zum Informationsaustausch zwar einen geheimen Code, aber nach und nach gelang es den Experten der Polizei und der Carabinieri, daraus immer mehr nützliche Informationen herauszufiltern. Insbesondere durch das Abhören von halbherzig geflüsterten Sätzen der Schwestern des Mafiabosses von Castelvetrano konnten die Ermittler entscheidende Puzzleteile zusammensetzen, die letztendlich zur Ergreifung des Paten führen sollten. Die abgehörten Familienmitglieder sprachen untereinander von einem Lebertumor, einer Chemotherapie und zwei Operationen, denen er sich unterzogen hatte. Während die erste Operation aufgrund des Tumors unaufschiebbar geworden war, war die andere durch eine Erkrankung an Morbus Chron notwendig geworden.
Es war die entscheidende Spur. Sie wurde vor rund sechs Monaten zum Auslöser für die Ermittlungen der Sonderabteilung Ros der Carabinieri und der Staatsanwaltschaft von Palermo, die der 30-jährigen Flucht von Matteo Messina Denaro vor der Justiz ein Ende setzten. Mithilfe der zentralen Datenbank im römischen Gesundheitsministerium, das italienweit alle Daten über Krebspatienten sammelt, erstellten die Ermittler eine Liste von Patienten, die in Bezug auf Krankheit, Geschlecht, Alter und Herkunft mit dem gesuchten Paten übereinstimmen könnten.
Unter den Namen befand sich einer, der die Carabinieri aufhorchen ließ: Andrea Bonafede aus Campobello di Mazara in der Nähe von Trapani. Andrea ist der Neffe von Angelo, einem alten Unterstützer seines Bosses. „Andrea Bonafede“ wurde laut dem Archiv des Ministeriums vor einem Jahr in der Privatklinik Maddalena von Palermo einer Operation unterzogen, aber die Ermittler fanden heraus, dass der echte Andrea Bonafede zur der Zeit bei sich zu Hause war.
Den Ermittlern ging ein Licht auf. Die gefälschten Papiere von „Andrea Bonafede“ könnten von Matteo Messina Denaro benutzt worden sein, um sich von der Justiz unbehelligt in der Privatklinik operieren zu lassen. Seit einem Jahr benutzte er auch denselben Namen, um ungefährdet sein Versteck verlassen und in der Klinik zur Chemotherapie erscheinen zu können. In Zusammenarbeit mit seinen Ärzten, die keine Ahnung hatten, dass es sich bei ihrem Patienten in Wirklichkeit und den „letzten Paten“ handelte, erfuhren die Ermittler am letzten Freitag, dass am Montag, dem 16. Januar, seine nächste Chemotherapie-Behandlung sein würde.
Bereits am Freitag wurde begonnen, die Privatklinik Maddalena unauffällig zu bewachen. Am Montag umstellten Dutzende von Carabinieri der Sondereinheit Ros die Klinik. In Begleitung seines Helfers, der ebenfalls verhaftet wurde, erschien Matteo Messina Denaro am Montagmorgen zum vereinbarten Termin. Der Pate, der im letzten Moment Verdacht schöpfte, unternahm noch einen letzten Fluchtversuch und verließ die Klinik. Er wurde aber in einer nur wenige Meter entfernten Bar gestellt. Ein Carabiniere sprach ihn an und fragte ihn nach seinen Namen. „Ich bin Matteo Messina Denaro“, so die letzten Worte des „letzten Paten“ in Freiheit.
Cattura del latitante Matteo Messina Denaro: alle 17.00 conferenza stampa dalla caserma "Carlo Alberto dalla Chiesa" di Palermo, sede del Comando Legione Carabinieri "Sicilia". Segui la diretta streaming ➡️ https://youtu.be/pdz3lGxPCtw
Posted by Carabinieri on Monday, January 16, 2023
Italien feiert den Schlag gegen die Cosa Nostra. Kommandanten der Carabinieri ließen mit Freude mitteilen, dass sie „dem Tumor gefolgt“ seien. Mit Matteo Messina Denaro geht der vielleicht letzte Pate der alten Garde um die früheren Bosse aller Bosse Totò Riina und Bernardo Provenzano ins Gefängnis. Wegen seiner Härte, aber auch wegen seiner Intelligenz und Gerissenheit genoss der „letzte Pate“ unter seinesgleichen hohes Ansehen. Wenn schon nicht als Capo di tutti i capi wie Totò Riina einer war, so wurde der heute 60-Jährige von den anderen Capi der Mafiafamilien zumindest als Primus inter Pares anerkannt. Sein Wort besaß großes Gewicht.
Mit Matteo Messina Denaro ist der italienischen Justiz der größte Fisch seit Jahrzehnten ins Netz gegangen, aber der Kampf gegen die Cosa Nostra, die heute zersplitterter denn je, aber immer noch sehr gefährlich ist, ist noch lange nicht beendet.