Von: ka
Turin/Brig(CH) – Immer mehr italienische Pflegekräfte verabschieden sich von Italien, um in ausländischen Krankenhäusern zu arbeiten. Geringe Gehälter, unzumutbare Arbeitszeiten und Turnusdienste, mangelnde Aufstiegschancen und magere Gehaltsvorrückungen, fehlende Wertschätzung sowie die trübe Aussicht, ein ganzes Berufsleben in maroden Krankenhäusern und Altenheimen verbringen zu müssen, sorgen nicht nur dafür, dass immer weniger junge Menschen die Studiengänge für Krankenpflege belegen, sondern auch, dass bereits berufstätige Pflegekräfte immer öfter ins Ausland abwandern.
Die norditalienischen Regionen sind von dieser Abwanderungswelle gleich doppelt betroffen. Während viele bisher in Norditalien arbeitende süditalienische Pfleger aufgrund der dort viel geringeren Lebenshaltungskosten in ihre Heimatregionen zurückkehren, zieht es andere Pflegekräfte ins Ausland, wo ihnen hohe Gehälter und andere Extras winken.
Nicht zuletzt aufgrund ihrer Nähe zur Schweiz bekommen die norditalienische Regionen Lombardei und Piemont diesen Aderlass ganz besonders stark zu spüren. Letzten Erhebungen zufolge sollen allein im letzten Jahr rund 400 Pflegekräfte Piemont verlassen haben. „Erschöpft von unannehmbaren Arbeitsbedingungen und angezogen von Gehältern, von denen in Italien nur geträumt werden kann“, so die Gewerkschaft NurSind, zieht es viele piemontesische Pfleger in die nahe Schweiz. „Nachdem ich ihnen meinen Lebenslauf geschickt hatte, haben sie mich bereits nach einer Woche angerufen. Schon vor dem ersten Treffen haben sie mir drei Dienstaltersstufen anerkannt“, so eine „geflohene“ Krankenpflegerin zum Turiner Tagblatt La Stampa.
Diese junge Krankenpflegerin arbeitet jetzt in der Schweiz. Anstatt in einem piemontesischen Krankenhaus in Vollzeit zu arbeiten und dabei 1.700 Euro zu verdienen, pendelt sie nun in die Eidgenossenschaft und verdient dort bei einer Wochenarbeitszeit von nur 20 Stunden 2.400 Euro. „Es tut mir leid. Ich bin in Italien hervorragend ausgebildet worden, aber man kann diejenigen, die hart arbeiten, nicht so behandeln“, meint die Krankenpflegerin, die ihre Entscheidung nicht bereut.
Bei den meisten, die sich dafür entscheiden, das Piemont zu verlassen, um in der Schweiz zu arbeiten, handelt es sich um junge Pflegekräfte, die weniger als 30 Jahre alt sind. Besonders ein neues Krankenhaus samt Gesundheitszentrum, das nur 20 Autominuten von der schweizerisch-italienischen Grenze entfernt in Brig im Kanton Wallis errichtet wird, scheint die italienischen Pflegerinnen und Pfleger wie magisch anzuziehen.
Wenn man gezwungen wird, für nur 1.800 Euro im Monat zermürbenden Schichtdienst zu leisten und auf Urlaub und Ruhezeiten zu verzichten, ist es schwierig, den guten Angeboten, die aus der Schweiz kommen, zu widerstehen“, erklärt eine 25-jährige Pflegerin, die aus der Notaufnahme von Domodossola direkt in die Schweiz wechselte.
Diese Lebensentscheidungen junger Pflegerinnen und Pfleger verschärfen den bereits bestehenden Mangel an Pflegekräften, der in den meisten piemontesischen Krankenhäusern herrscht. „Die anstrengenden Schichten führen dazu, dass wir kein normales Leben mehr haben. Es genügt, dass ein Kollege krank wird, und schon ist die Schicht ungedeckt. Für ihn muss dann ein anderer einspringen“, betont eine Krankenpflegerin.
Nach Angaben der Gewerkschaft Nursing Up sind allein im Bereich des piemontesischen Gesundheitsbezirks Verbano-Cusio-Ossola zehn Prozent der 750 für Pflegekräfte vorgesehenen Stellen unbesetzt. Die Generaldirektorin des Gesundheitsbezirks, Chiara Serpieri, rechnet damit, dass sich nach der Eröffnung des derzeit noch in Bau befindlichen Zentrums mit 400 Krankenbetten in Brig der in ihrem Bezirk bereits jetzt spürbare Pflegekräftemangel weiter verschärfen wird. Die geringe Distanz zur Grenze ermöglicht es nämlich den italienischen Pflegekräften, die in die Schweiz pendeln, im Piemont günstig zu wohnen und im Kanton Wallis eine hohes Gehalt zu beziehen.
„Warum sollte eine junge Krankenpflegerin hierbleiben, wenn sie die gleiche Arbeit anderswo mit geringerer Arbeitsbelastung, weniger Zwängen und ein höheres Gehalt machen kann? Die traurige Wahrheit ist, dass wir gegenüber dem Privatsektor, geschweige denn gegenüber dem Ausland, nicht konkurrenzfähig sind“, so das traurige Fazit von Chiara Serpieri.
Um der „Flucht ins Ausland“ Einhalt zu gebieten, wird Italien nichts anderes übrigbleiben, als seinen Pflegekräften höhere Gehälter und bessere Arbeitskonditionen zu bieten.