Von: apa
In Cerenova, einem beliebten Badeort 40 Kilometer nordwestlich von Rom, tummeln sich sonnenhungrige Hauptstädter an dem langen Sandstrand mit geordneten Reihen bunter Sonnenschirme. Im Juli herrscht Hochbetrieb in den “Stabilimenti balneari”. Die kostenpflichtigen Badestellen sind typisch für Italiens Strandkultur. Doch für die Regierung um Giorgia Meloni ist das Sonnenbaden zu einem heiklen Zankapfel mit Brüssel und zu einem Politikum erster Güte geworden.
Über 30.000 Betreiber von Strandbädern wehren sich schon seit 18 Jahren erfolgreich gegen eine EU-Direktive, die seit 2006 eine europaweite Ausschreibung der Lizenzen vorschreibt. Oft sind die Strandbäder seit Jahren oder gar Jahrzehnten in der Hand der gleichen Betreiber – für teils sehr niedrige Gebühren, die den Gemeinden gezahlt werden. Die Schwierigkeiten der italienischen Regierungen, diese Angelegenheit endgültig zu regeln, brachte Rom schon zwei Strafverfahren in Brüssel ein.
Melonis Vorgänger Mario Draghi hatte kurz vor seinem Sturz im Juli 2022 das Auslaufen der Strandbäder-Lizenzen durchgesetzt. Diese sollten 2024 erstmals neu ausgeschrieben werden. Die EU-Kommission setzte Italien daraufhin eine Frist bis 16. Jänner 2024, um sich den seit 2006 gültigen Vorschriften anzupassen. Regierungschefin Meloni ringt jetzt um mehr Zeit. Sollte ihr Kabinett die Angelegenheit nicht regeln, käme Italien vor den Europäischen Gerichtshof.
Die hartnäckig von Brüssel verlangten Marktöffnungen scheiterten bisher am Widerstand der Strandbad-Betreiber, einer gut organisierten Lobby, für die Brüssel ein rotes Tuch ist. Immer wieder kommt es zu Protesten der “Balneari”, wie die Strandbad-Betreiber in Italien heißen. Inzwischen geraten sie zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik wegen der hohen Preise, die sie einheimischen und ausländischen Urlaubern aufzwingen. Ein Sonnenschirm und zwei Liegen in guter Lage am Strand von Santa Marinella nördlich von Rom kosten pro Tag bis zu 80 Euro. Für viele Italiener sind dies unerschwingliche Preise.
Der Staatsrat in Rom, letzte Instanz bei administrativen Angelegenheiten, hat mit einem Urteil die Gemeinden zuletzt aufgerufen, alle Ausnahmeregelungen zu verwerfen und unverzüglich das Ausschreibungsverfahren für die Vergabe der Strandkonzession unter “echten Wettbewerbsbedingungen einzuleiten”. In dem Urteil wird betont, dass die Ressource Strand “knapp” ist, im Gegensatz zu dem, was die Regierung Meloni in einem an Brüssel übermittelten Schreiben behauptet und als Grund für die Nichtanwendung der Bolkenstein-Richtlinie angeführt hat. Daher sei Liberalisierung im Sektor wichtig.
In den letzten Jahren ist die Zahl der “Stabilimenti” entlang der 7.458 Kilometer langen Küste regelrecht explodiert. Waren es 2001 noch 5.000, sind es heute über 30.000, die saisonal bis zu 300.000 Personen beschäftigen. Über 90 Prozent davon sind kleine Familienbetriebe. Eine transparente öffentliche Ausschreibung für die Konzession der Strandanlagen hat bisher nicht stattgefunden. Oft sollen auch Korruption bei der Vergabe eine Rolle gespielt haben. Umweltschutzverbände beklagten, dass mehrere Anlagen auch in die Hände der lokalen Mafia geraten seien. Der Staat profitiert kaum von den Badeanlagen. Die Konzessionen bringen Italien etwas über 100 Mio. Euro im Jahr ein, ein Pappenstiel verglichen mit dem Umsatz, den die Anlagen machen und der auf 2 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt wird.
Die betroffenen Strandbadbetreiber sehen die Lage anders und sind empört. Sie beklagen, dass internationale Multis bereits ein Auge auf das rentable Geschäft mit den Badeanlagen geworfen haben und in dem Sektor bald die traditionellen Familienbetriebe ablösen wollen. Tausende Familien würden somit ihre finanzielle Lebensgrundlage verlieren.
Regierungschefin Meloni steckt in einer Zwickmühle. Einerseits wächst der Druck aus Brüssel, damit sie die Angelegenheit endlich regelt, andererseits sind die Balneari seit jeher ein Wählerreservoir für die Rechtsparteien, das die Postfaschistin nicht verlieren will. Sie erwägt jetzt Entschädigungen für die Strandbad-Betreiber, die die Konzessionen im Zuge der Liberalisierung verlieren könnten. Die Lobby der “Balneari” bleibt aber hart und will nicht verhandeln. Der Regierungschefin steht ein besonders heißer Sommer bevor.