Von: ka
Castelfranco Emilia – Das Schwurgericht von Modena, das über einen Doppelmord zu befinden hatte, fällte ein Urteil, das weit über die Stadt in der Emilia-Romagna hinaus für Entsetzen sorgt.
Anstatt dem Plädoyer des Staatsanwalts zu folgen, der für Salvatore Montefusco eine lebenslängliche Haftstrafe gefordert hatte, entschieden die Richter von Modena, den 69-jährigen Doppelmörder, der vor zweieinhalb Jahren seine Frau und seine Stieftochter erschossen hatte, „nur“ zu 30 Jahren Haft zu verurteilen.
Das Schwurgericht kam zum Schluss, dass Salvatore Montefusco für seine Tat „menschlich nachvollziehbare Gründe“ gehabt habe, woraus folgt, dass er es verdiene, „in den Genuss der allgemeinen mildernden Umstände“ zu kommen. Das Urteil von Modena löste einen Sturm der Entrüstung aus. Neben Journalisten und Parlamentsabgeordneten ging auch Familienministerin Eugenia Roccella mit dem Urteil hart ins Gericht.
Der Doppelmord geschah am Montag, den 13. Juni des Jahres 2022. Es war kurz vor Mittag, als die Nachbarn einer großen Mehrfamilienvilla in Castelfranco Emilia bei Modena zuerst einige schrille Schreie und dann mehrere Schüsse hörten. Bei den Carabinieri von Castelfranco gingen sofort mehrere Anrufe ein. Kurz darauf erreichte sie auch ein Anruf aus einer Bar des Ortes. Der Mann am Telefon, der 69-jährige Salvatore Montefusco, gestand, dass er etwas Fürchterliches getan hatte und er sich den Carabinieri stellen wolle. Salvatore Montefusco wurde von den Carabinieri sofort zur Kaserne gebracht. Dort gestand er die Ermordung seiner Ehefrau – die 47-jährige, ursprünglich aus Rumänien stammende Gabriela Trandafir – und deren 22-jähriger Tochter Renata. Während des langen Verhörs gab Montefusco zu, wiederholt zuerst auf Renata und dann auf Gabriela geschossen und dabei beide getötet zu haben.
Als die Carabinieri in die Villa eindrangen, fanden sie die Leichen der beiden Frauen. Von den Schüssen aus einer Schrotflinte mit abgesägtem Lauf getroffen waren die 47-Jährige und die 22-Jährige sofort tot gewesen.
Für den Dienstag war der Termin der Verkündigung des gerichtlichen Trennungsurteils angesetzt. Gabriela und Renata sahen diesem Tag mit großer Furcht entgegen. Renata hatte einer Freundin anvertraut, dass sie vor dem Stiefvater, der von ihr als „böser Mann“ beschrieben worden war, große Angst gehabt habe. Der Gedanke, dass er am Tag des entscheidenden Gerichtstermins ihrer Mutter etwas Schlimmes antun könnte, soll sie sehr beunruhigt haben. „Sie hat gesagt, dass er zu allem fähig sei“, so die Freundin unter Tränen.
Salvatore Montefusco fürchtete, von der Frau und deren Tochter aus dem Haus geworfen zu werden. „Ich überlasse ihr nicht die Villa“, beklagte sich der 69-Jährige in der Bar über seine Frau. Ohne das Trennungsurteil abwarten zu wollen, dürfte in Salvatore Montefusco der fürchterliche Entschluss gereift sein, zum Gewehr zu greifen. „Sie haben zu mir ‚Hau jetzt ab‘, gesagt und ich habe das Gewehr genommen und geschossen“, so der 69-Jährige während des Verhörs gegenüber den Carabinieri.
Zwei Jahre später wurde ihm der Prozess gemacht. Im Gegensatz zum Staatsanwalt, der in seinem Plädoyer für den Doppelmörder die Höchststrafe, nämlich lebenslängliche Haft, gefordert hatte, kam am 9. Oktober des vergangenen Jahres das Schwurgericht von Modena jedoch zum Schluss, dass der 69-Jährige sehr wohl mildernde Umstände geltend machen kann.
„Aufgrund der fehlenden Vorstrafen, seines Geständnisses, seines Verhaltens während der Gerichtsverhandlung und der konfliktreichen Lage, die sich in seiner Familie ergeben und die ihn zweifellos zu der tragischen Tat veranlasst hat, verdient er es, in den Genuss der allgemeinen mildernden Umstände zu gelangen“, so die Richter in ihrer nun vorliegenden 213 Seiten starken Urteilsbegründung.
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Posted by Chi l'ha visto? on Monday, January 13, 2025
Kritikern zufolge scheinen bestimmte Passagen der Urteilsbegründung die Tat des Mannes fast zu rechtfertigen. „Der Angeklagte, der bis zum Alter von 70 Jahren nie straffällig geworden ist, hätte niemals ein so schweres Verbrechen begangen, wenn er nicht von einer solch unheilvollen familiären Lage, die sich im Laufe der Zeit entwickelt hatte, dazu angetrieben worden wäre“, schreiben die Richter des Schwurgerichts von Modena.
„Die Lage, die sich im familiären Umfeld ergeben hatte, hat ihn zu einer tragischen Tat veranlasst, die aus menschlich verständlichen Gründen begangen worden ist“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Das Schwurgericht erkennt zwar einige erschwerende Umstände, zu denen die eheliche Beziehung zwischen dem Täter und dem Opfer sowie die Begehung der Bluttat vor dem minderjährigen Sohn des Paares gehören, an, schließt jedoch andere wie Vorsatz, abscheuliche und nichtige Motive sowie Grausamkeit aus. Die Richter weisen dabei darauf hin, dass das Verbrechen im Rahmen starker Auseinandersetzungen zwischen Montefusco und den beiden Frauen stattgefunden hat und sich vorher beide Seiten gegenseitig angezeigt hatten.
Nach Ansicht der Richter kann das Tatmotiv daher „nicht auf den ‚rein finanziellen Wert‘ des Hauses, in dem sie gelebt haben, zurückgeführt und beschränkt werden“. Vielmehr seien „der psychologische Zustand des tiefen Unbehagens, der Demütigung und der enormen Frustration, die der Angeklagte aufgrund des konfliktreichen Klimas, das innerhalb der Ehe entstanden war, erdulden musste, sowie die tatsächliche Möglichkeit, das eigene Haus verlassen zu müssen“, zu berücksichtigen. In diesen Zusammenhang lässt das Gericht auch den Verlust der Betreuung seines kleinen Sohnes mit in seine Bewertung einfließen.
Das Urteil von Modena löste einen Sturm der Entrüstung aus. „Wir sprechen von einem Mord, der vor den Augen eines Minderjährigen und während eines Telefonats mit Mitarbeitern der Notrufzentrale begangen wurde. Es bedurfte keiner Unterstützung des Angeklagten, um seine Täterschaft festzustellen. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, ihn nicht zu einer lebenslänglichen Haftstrafe zu verurteilen. Wir können es nicht glauben. ‚Männer, wenn ihr in einer Konfliktsituation seid, könnt ihr euer Problem mit einem Schuss aus der Schrotflinte beseitigen, und der Staat wird euch verstehen‘, lautet die Botschaft, die von diesem Urteil ausgeht“, übt die Anwältin der Familie des Opfers, Barbara Iannuccelli, heftige Kritik am Urteil und seiner Begründung.
Neben Journalisten und Parlamentsabgeordneten ging auch die Familienministerin Eugenia Roccella mit dem Urteil hart ins Gericht. Während die Senatorin der Demokratischen Partei Valeria Valente von einem Schuldspruch wie „aus dem Handbuch des Patriarchats“ spricht, glaubt Eugenia Roccella, dass vom Urteil von Modena die Gefahr eines Rückschritts im Kampf gegen Frauenmorde ausgeht.
„Wir werden natürlich den vollständigen Text des Urteils lesen, aber wenn das, was aus den veröffentlichten Auszügen hervorgeht, bestätigt wird, enthält das Urteil des Schwurgerichts höchst fragwürdige und sicherlich beunruhigende Aspekte, die nicht nur einen Rückschlag im langjährigen Kampf gegen Frauenmorde und männliche Gewalt gegen Frauen bedeuten, sondern auch einen Riss in die Grundlagen unseres Rechtssystems schlagen“, erklärt die italienische Familienministerin Eugenia Roccella.
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