Von: ka
Mailand – Ein vom nationalen italienischen Tumorforschungsinstitut IRCCS durchgeführte Untersuchung bestätigte den Verdacht, dass das Coronavirus schon lange vor dem Ausbruch der Epidemie im Februar in Italien im Umlauf war. Die spätere serologische Untersuchung von Blutproben, die eigentlich Teil eines Screenings für Lungenkrebs waren, ergab, dass bereits im September und Oktober abgenommenes Blut SARS-Cov-2-Antikörper enthielt. Laut der Meinung angesehener Forscher könnte das Coronavirus bereits im Sommer Italien erreicht und sich in Windeseile ausgebreitet haben.
Den führenden Wissenschaftlern, die den Verlauf der Coronaepidemie erforschen, war bereits bekannt, dass das Virus nicht erst Anfang dieses Jahres aufgetaucht war. Bereits vor der bahnbrechenden Erkenntnis, dass sich das Virus in Italien schon im Sommer letzten Jahres ausgebreitet hatte, hatten verschiedene Indizien und Berichte von Ärzten – SüdtirolNews berichtete – die Vermutung zugelassen, dass das Virus spätestens im November den Sprung von China nach Europa bewältigt hatte.
Die Untersuchungsergebnisse des angesehenen nationalen italienischen Tumorforschungsinstituts IRCCS scheinen nun die letzten Zweifel aus dem Weg zu räumen, dass SARS-Cov-2 schon viele Monate vor dem Ausbruch der eigentlichen Epidemie im Umlauf war.
Die Untersuchungen begannen im Umfeld eines Screenings, das eigentlich der Erforschung von Lungentumoren galt. Im Rahmen dieses Screenings wurden zwischen September 2019 und März 2020 insgesamt 959 gesunde Freiwillige einer Spiralen Computertomografie der Lungen sowie einer Blutuntersuchung unterzogen. Die Nachricht vom Ausbruch der Coronaepidemie in Wuhan und dem späteren Auftreten der ersten italienischen SARS-Cov-2-Fälle ließen den Tumorforschern des Mailänder IRCCS ein Licht aufgehen. Zusammen mit ihren Kollegen der Universitäten von Mailand und Siena kamen sie auf die Idee, alle Blutproben, die für Forschungszwecke aufbewahrt worden waren, serologisch auf SARS-Cov-2-Antikörper zu untersuchen.
Die Ergebnisse waren verblüffend. Unter den 959 Blutproben entdeckten sie nicht weniger als 111 Proben, die SARS-Cov-2-Antikörper enthielten. In 97 Fällen gehörten die Antikörper der Klasse der IGM (Immunglobulin M) und in 16 jener der IGG (Immunglobulin G) an. Zur Überraschung der Forscher entfielen 23 der 111 Corona-positiven Blutproben auf den September. Jeweils 24, 26, 11, 30 und 21 der SARS-Cov-2-positiven Blutproben stammten vom Oktober, November und Dezember des letzten und vom Januar und Februar dieses Jahres.
Zudem wurden sechs der 111 SARS-Cov-2-positiven Proben positiv auf Neutralisierende Antikörper getestet. Vier dieser sechs Blutproben waren den gesunden Freiwilligen bereits Anfang Oktober abgenommen worden. Dieser Befund ist sehr bedeutend. Eine Prävalenz von mehr als zehn Prozent scheint eigentlich nicht mit späteren Studien – wie unter anderem jener des Istat in Zusammenarbeit mit dem ISS durchgeführten Untersuchung, die eine Prävalenz von „nur“ 2,5 Prozent ergab – übereinzustimmen. Wie der leitende Direktor des IRCCS, Giovanni Apolone, erklärt, werde dieses Bild von diesen sechs Neutralisierende Antikörper enthaltenden Blutproben zurechtgerückt.
„Die Prävalenz reduziert sich, wenn man sich die validierten Fälle des Neutralisationstests ansieht. Es sind sechs Positive, wovon vier vom Oktober letzten Jahres stammen. Diese sind die eigentlich wichtigen Zahlen und nicht der Anteil der Positiven, auch wenn es sich bei Letzterem angesichts der Übereinstimmung mit den bekannten regionalen Prävalenzen um aufsehenerregende Daten handelt“, so die Erklärung von Giovanni Apolone.
In jedem Fall deckt sich der Befund der Forscher des IRCCS mit den vielen Verdachtsmomenten, dass das Virus bereits Monate vor dem eigentlichen Ausbruch der Coronaepidemie im Umlauf war. Bereits im November des letzten Jahres – so die Autoren der am 11. November im „Tumori Journal“ veröffentlichten Studie „Unexpected detection of SARS-Cove2 antibodies in the pre-pandemic period in Italy“ – begannen viele Allgemeinmediziner, auf gravierende Symptome der Atemwege, die ältere und schwächere Patienten mit beidseitiger, atypischer Bronchitis betrafen, hinzuweisen. Da es noch keine Nachrichten über das neue Virus gab, wurden diese Fälle einer besonders aggressiven Form der saisonalen Grippe zugeschrieben.
Die Mailänder Forscher des IRCCS und ihre Kollegen fanden heraus, dass es sich nicht um eine besonders schwere Grippe, sondern um die ersten Zeichen der vom Coronavirus SARS-Cov-2 verursachten Krankheit Covid-19 gehandelt hatte. Eine Krankheit, die bis zur erst spät erfolgten Warnung aus China nicht als solche erkannt worden war.