Von: ka
Mailand – Walter Ricciardi, der an der römischen „Università Cattolica“ Hygiene lehrt und das Gesundheitsministerium berät, hegt kaum Hoffnung, dass Italien der Epidemie noch mit herkömmlichen Methoden Herr werden kann. Gleich wie sein Expertenkollege Andrea Crisanti ist auch er der Ansicht, dass die Schlacht um „Testen und Kontaktpersonen nachverfolgen“ bereits verloren ist.
„Einige Metropolen wie Mailand, Neapel und wahrscheinlich auch Rom sind aus Sicht der Pandemie bereits außer Kontrolle geraten. Ihre Zahlen der Neuansteckungen sind zu hoch, um sie mit herkömmlichen Methoden, die das Testen und die Nachverfolgung der Kontaktpersonen beinhalten, noch eindämmen zu können. Wie die Geschichte vergangener Epidemien zeigt, muss im Falle einer fehlgeschlagenen Eindämmung die freie Beweglichkeit der Personen eingeschränkt oder ganz blockiert werden. Trotz der modernen Technologien, über die wir verfügen, befinden wir uns heute in der gleichen Lage wie Venedig im 14. Jahrhundert“, so die deutlichen Worte von Walter Ricciardi.
Die nach oben zeigende Kurve der Neuansteckungen – mit 15.199 Neuinfektionen und 127 Todesopfern innerhalb von 24 Stunden wurde am Mittwoch ein neuer Höchststand erreicht – scheint die pessimistische Meinung von Walter Ricciardi zu bestätigen.
Aufgrund der verheerenden Entwicklung der Neuansteckungszahlen in der Lombardei – am Mittwoch wurden in Mailand mehr als doppelt so viele neue Ansteckungen mit dem Coronavirus als am Vortag gemeldet – sahen sich die Gesundheitsbehörden und die politisch Verantwortlichen gezwungen, die Notbremse zu ziehen. Am Donnerstag tritt die bereits angekündigte Sperrstunde in Kraft. Vorerst bis zum 13. November dürfen von 23.00 Uhr bis 5.00 Uhr des nächsten Tages alle Personen nur aus „nachgewiesenen Arbeitsanforderungen, absoluter Dringlichkeit oder aus gesundheitlichen Gründen“ unterwegs sein. Gleich wie während des Lockdowns im Frühjahr müssen alle Personen, die sich während dieser Stunden von ihrem Wohnort entfernen, eine Eigenerklärung mitführen. Für Verstöße gegen diese Verordnung sind Bußgelder von 400 bis 3.000 Euro vorgesehen.
Unterdes bereitet sich die lombardische Gesundheitsfürsorge auf die bevorstehende Covid-19-Notlage vor. Wie der Präsident der Region Lombardei, Attilio Fontana, mitteilte, werden in den nächsten Tagen die in den Messehallen von Mailand und Bergamo im Frühjahr eingerichteten und später wieder geschlossenen provisorischen Covid-19-Abteilungen erneut geöffnet werden.
Aber nicht nur in der Lombardei, sondern in ganz Italien geraten die Krankenhäuser immer stärker unter Druck. Besonders im Mittelpunkt stehen dabei die Plätze, die in den Abteilungen für Anästhesie und Intensivtherapie zur Verfügung stehen. Nachdem die Coronaepidemie gezeigt hatte, dass die bisher zur Verfügung gestandenen Betten – Ende letzten Jahres waren in Italien 5.179 Intensivbetten gezählt worden – nicht ausgereicht hatten, wurde beschlossen, weitere 3.553 Intensivplätze zu schaffen. Bisher konnte das Vorhaben aber nicht ganz verwirklicht werden. Laut letzten Informationen stehen in Italiens Krankenhäusern derzeit 6.628 Intensivbetten bereit.
Die eigentliche Frage aber ist, ob diese im Falle einer galoppierenden Coronaepidemie – in der Zwischenzeit müssen täglich Dutzende von schwerkranken Covid-19-Patienten in den Abteilungen für Anästhesie und Intensivtherapie stationär aufgenommen werden – ausreichen werden. Auch wenn viele Patienten heute die Intensivmedizin wieder verlassen, auf einer der „normalen“ Covid-19-Abteilung verlegt oder im besten Fall als Genesene aus dem Krankenhaus entlassen werden, äußern einige Experten Zweifel, ob alle Bemühungen, Bettenkapazitäten auszuweiten, genügen werden.
Einige Optimisten unter den Epidemiologen und Virologen merken aber an, dass die Mediziner heute mehr über das Virus und die Krankheit wissen und daher über bessere Therapiemöglichkeiten verfügen. Zudem – so diese Stimmen – entwickelt nur ein sehr kleiner Anteil der Neuinfizierten die Krankheit, von denen wiederum nur ein winziger Teil ins Krankenhaus aufgenommen und wirklich intensivmedizinisch betreut werden muss.
Ob die Pessimisten oder die Optimisten recht behalten werden, werden die nächsten Wochen zeigen.