Von: ka
Pisa – Ein Fall roher Polizeigewalt während einer Pro-Palästina-Kundgebung in Pisa, bei der 13 Personen – darunter zehn Minderjährige – verletzt wurden, erschüttert Italien.
Nachdem Politiker und Intellektuelle den harten Schlagstockeinsatz der Polizei kritisiert hatten und auch Staatspräsident Sergio Mattarella betont hatte, dass „der Einsatz von Schlagstöcken Ausdruck eines Versagens“ sei, leitete die Staatsanwaltschaft von Pisa gegen 15 Polizisten eine Untersuchung ein.
Pesanti cariche della Polizia a Firenze e Pisa contro gli studenti che manifestavano pacificamente contro la guerra e per la Palestina. Le opposizioni attaccano il ministro dell'Interno Piantedosi: "Repressione inaccettabile" pic.twitter.com/R51DOnbMUr
— Tg3 (@Tg3web) February 23, 2024
Wie in anderen italienischen Städten versammelten sich am Freitag auch in Pisa Dutzende von jungen Leuten und Oberschülern, um für einen Waffenstillstand in Palästina zu demonstrieren. Der kleine Protestzug von etwa 100 zumeist minderjährigen Demonstranten, über den die Quästur nicht in Kenntnis gesetzt worden war und den die zuständigen Behörden nicht genehmigt hatten, wollte von der Piazza Dante kommend die Piazza Dei Cavalieri erreichen. Wenige hundert Meter vor dem Platz wurden die Demonstranten von der Polizei von zwei Seiten in die Zange genommen.
Angeblich hörten mehrere Studenten deutlich den Angriffsbefehl, den der Mannschaftsleiter den rund 15 Polizisten gegeben habe. „Angreifen!“, soll der Mannschaftsführer gerufen haben. Die eingesetzten Polizisten begnügten sich nicht damit, ein Vordringen des Demonstrationszuges zum Platz zu verhindern, sondern prügelten mit ihren Schlagstöcken auf die fliehenden Oberschüler ein. Nach einer kurzen Verfolgung, bei der sie massiv von ihren Schlagstöcken Gebrauch machten, bildeten die Polizisten eine Abwehrreihe.
„Um zu zeigen, dass wir vollkommen friedlich waren, hielten wir die Hände hoch. Sie schrien ‚Angriff‘. Einige von uns wurden von hinten geschlagen. Eine 16-Jährige erlitt eine Platzwunde am Kopf. Sie ließen nicht einmal den Krankenwagen durch“, berichtet eine Oberschülerin. Insgesamt mussten 13 Personen, darunter zehn Minderjährige, ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Die Bilder und Videos, die zeigen, wie Polizisten auf friedlich demonstrierende Oberschüler einprügeln, fanden im Netz fast sofort weite Verbreitung. In der italienischen Öffentlichkeit ist die Empörung groß. Viele Politiker, Journalisten und Intellektuelle brandmarken den übermäßigen Gebrauch der Schlagstöcke als brutale Polizeigewalt. Mehrere Stimmen meinen sogar, dass angesichts dieser Bilder in Italien die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit in Gefahr sei.
Auch der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella meldete sich zu Wort. „Die Autorität der Ordnungskräfte wird nicht an den Schlagstöcken, sondern an ihrer Fähigkeit gemessen, die Sicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig die Freiheit der öffentlichen Meinungsäußerung zu schützen. Gegen Schüler Schlagstöcke einzusetzen, ist Ausdruck eines Versagens“, so der Staatspräsident, dessen Worte deutlicher nicht sein könnten. Um eine Klarstellung zu erhalten, wandte sich Sergio Mattarella an den Innenminister Matteo Piantedosi.
Matteo Piantedosi versicherte, dass die geltenden Einsatzregeln immer noch dieselben seien und dass sein Ministerium den Polizeieinsatz prüfen werde. Auf Grundlage der Zeugenaussagen der Jugendlichen und der vielen ins Netz gestellten und von Fernsehanstalten ausgestrahlten Bilder und Videos eröffnete die Staatsanwaltschaft von Pisa ein Ermittlungsverfahren. Da Polizisten nicht gegen ihre Kollegen vorgehen können, wurden die Ermittlungen den Carabinieri anvertraut. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht eine Mannschaft von 15 Polizeibeamten samt deren Einsatzleiter sowie jener Beamte, der mit der Überwachung des Platzes betraut war.
— Selvaggia Lucarelli (@stanzaselvaggia) February 23, 2024
Gegenüber einer Gewerkschaftsdelegation, die sie zusammen mit dem Quästor von Pisa, Sebastiano Salvo, empfing, versicherte die Präfektin von Pisa, Maria Luisa D’Alessandro, dass es keine Anordnungen zur Anwendung von Gewalt gegen Demonstranten gegeben habe. Sie räumte aber ein, dass aufgrund der Unsicherheit über den Weg des Demonstrationszugs auf dem Platz „organisatorische und operative“ Probleme aufgetaucht seien.
Diese Ansicht deckt sich mit Meinungsäußerungen, die in den Chats der Polizeibeamten kursieren. Die übermäßige Reaktion der Polizeibeamten auf den nicht genehmigten Protestzug jugendlicher Demonstranten sei in Zusammenhang mit dem Risiko erfolgt, dass der Zug am Panzerwagen, der die Gasse absperrte, vorbeigehen und sensible Ziele wie etwa die in der Nähe liegende Synagoge erreichen könnte.
Vorwürfe, dass sich der Polizeieinsatz gezielt gegen eine Pro-Palästina-Kundgebung gerichtet habe, weisen die italienischen Behörden, allen voran der Innenminister, mit Entschiedenheit zurück. „Italien ist eine reife Demokratie“, betont Matteo Piantedosi.
Ganz unabhängig, wie jeder Einzelne zum Konflikt in Palästina steht, glaubt die übergroße Mehrheit der Italiener, dass das Recht, seine Meinung frei äußern und dafür auch auf die Straße gehen zu können, das vielleicht wertvollste Gut einer Demokratie sei. Deshalb begrüßen viele Italiener die Wortmeldung des Staatspräsidenten, dass der Einsatz von Schlagstöcken gegen friedlich demonstrierende Oberschüler Ausdruck eines Versagens sei. So etwas sollte nicht mehr passieren, so die fast einhellige Meinung der italienischen Öffentlichkeit. Am Wochenende fanden in Italien Dutzende von Demonstrationen gegen Polizeigewalt statt.