Düstere Vergangenheit abseits des Inselidylls

Sardinien – nukleares Testlabor der NATO?

Freitag, 28. Juni 2024 | 08:56 Uhr

Von: Ivd

Cagliari – Sardinien ist bekannt für malerische Strände und idyllischen Landschaften. Zur Wahrheit gehört aber auch ein düsteres Geheimnis: das militärische Sperrgebiet Salto di Quirra. Das Gebiet im Südosten der Insel ist der größte NATO-Übungsplatz in Europa und steht seit Jahrzehnten immer wieder in der Kritik. Berichte über Fehlbildungen bei Tieren und erhöhte Krebsraten bei der Bevölkerung im Zusammenhang mit dem potenziellen Einsatz uranhaltiger Raketen haben das “Quirra-Syndrom” ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.

Der Ursprung des Quirra-Syndroms

Die ersten Berichte über gesundheitliche Auffälligkeiten rund um Salto di Quirra tauchten bereits Ende der 1990-er Jahre auf. Anwohner berichteten von einer Zunahme von Krebserkrankungen und Fehlbildungen bei Neugeborenen. Besonders betroffen schien die Region rund um den Übungsplatz zu sein, wo früher zahlreiche Tiere grasten und Nachkommen mit Missbildungen zur Welt brachten. Diese wurden in der Zwischenzeit von dem Gelände verbannt.

Ein zentraler Zeuge dieser Vorwürfe ist der frühere italienische Hauptmann Giancarlo Carrusci, der mutmaßlich von 1976 bis 1992 für die Planung der Raketenabschüsse in Quirra verantwortlich war. Carrusci, dessen Name in allen Berichten über das Quirra-Syndrom auftaucht, behauptet, dass bei den Tests in Salto di Quirra auch uranhaltige Waffen zum Einsatz gekommen seien. Insbesondere die von der deutschen Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm entwickelte Kormoran-Rakete soll laut Carrusci abgereichertes Uran enthaltene Gefechtsköpfe transportiert haben. Die offizielle Stellungnahme der Bundesregierung aus dem Jahr 2011 bestritt jeglichen Einsatz von Uranmunition durch die Bundeswehr.

Der Übungsplatz heute

Das rund 120 Quadratkilometer große Übungsgelände wird auch heute noch von NATO-Bündnisstaaten zu Übungszwecken genutzt. Es umfasst einen Truppenübungsplatz und einen Raketenstartplatz. Auch Teile der Küste werden zu Übungszwecken genutzt. 2022 berichtete das Nachrichtenportal L‘Unione Sarda von einem „sofortigen militärischen Blitzschlag“. 4.000 Soldaten an Board von 65 Schiffen, U-Booten und Kampfjets belagerten das Inselidyll. Es war das größte NATO-Manöver der letzten Jahrzehnte und wurde nur wenige Tage vor Beginn angekündigt, was bei Urlaubsgästen und Hobby-Seglern aufgrund der Einschränkungen für Verärgerung sorgte.

Atommüll auf Sardinien

Auch abseits des Militärgebiets könnte es in Zukunft auf Sardinien strahlen: Die Regierung plant, bis 2027 den Standort für ein Atommüll-Endlager aus einer Liste von 51 potenziellen Standorten in Sardinien, Piemont, Latium, Basilikata, Apulien und Sizilien auszuwählen, wie Umweltminister Gilberto Pichetto Fratin im Mai bekannt gab. Parallel dazu sollen in der aktuellen Legislaturperiode alle notwendigen Gesetze zur Wiedereinführung der Kernenergie verabschiedet werden, wobei der Fokus auf der Entwicklung und dem Einsatz kleiner modularer Reaktoren liegt.

Während offizielle Stellen weiterhin den Einsatz von Uranmunition auf dem Militärgebiet in der Vergangenheit bestreiten, bleiben viele Fragen ungeklärt. Der Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit geht weiter, getragen von der Hoffnung der Anwohner und dem Einsatz engagierter Aktivisten und Forscher. Organisationen wie International Coalition to Ban Uranium Weapons unterstützen die Bemühungen um Aufklärung und fordern ein Ende des Einsatzes von Uranmunition.

 

Quellen: L’Unione Sarda, Spiegel, taz