Von: ka
Neapel – Ein reumütiges ehemaliges Mitglied des Organisierten Verbrechens von Neapel erklärt, wie perfide ein Camorra-Clan vorging, um ohne viel Gewalt anzuwenden, von wirklich allen Einwohnern des Zentrums der süditalienischen Metropole Schutzgelder zu erpressen. Selbst der Pfarrer und die Kirche waren dazu gezwungen, dem Clan der Contini einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Einnahmen auszuhändigen.
Nicht zuletzt dank der Hilfe eines reumütigen ehemaligen Mitglieds der Camorra, Teodoro De Rosa, gelang es den Carabinieri von Neapel eine schier unglaubliche Methode, Schutzgelder zu erpressen, aufzudecken. Von den Geschäftsleuten über die einfachen Einwohner bis hin zu den Kirchenvertretern mussten alle einen Teil ihrer Einnahmen und ihrer Löhne der Camorra aushändigen. Anstatt wie „üblicherweise“ den Opfern mit massiver Gewaltanwendung zu drohen oder ihnen gar Gewalt anzutun, erfand der Camorra-Clan der Contini eine perfide Methode, die es dem Clan ermöglichte, ohne großem Druck und – besonders wichtig – ohne viel aufzufallen, die Kassen des Clans mit Geld zu füllen. Zu diesem Zweck nutzte der Camorra-Clan die religiösen Gefühle seiner Opfer aus.
Die Methoden des Contini-Clans, um in seinem Machtbereich – dem Zentrum von Neapel – seine gierigen Hände auf die Feste der Heiligen und der Muttergottes zu legen und zugleich allen die Präsenz und die Macht des Clans zu demonstrieren, wurden vom ehemaligen Camorrista Teodoro De Rosa, der inzwischen mit der Justiz zusammenarbeitet, enthüllt. Längere Ermittlungen, zu denen Teodoro De Rosa wesentlich beigetragen hatte, führten am 21. Februar zur Beschlagnahme von elf illegalen Votivkapellen, die nach Ansicht der Ermittler mit Mitgliedern des Organisierten Verbrechens in Verbindung stehen, durch die Carabinieri.
Der Contini-Clan nutzte die religiösen Prozessionen als Mittel, um von Geschäftstreibenden und Anwohnern Geld zu erpressen. Nicht nur am Festtag des Heiligen, sondern auch zu Weihnachten und zu Ostern wurden die Opfer dazu verpflichtet, Geld zu geben.
„Zusätzlich zum bereits bestehenden Schutzgeld werden die Anwohner dazu gezwungen, einer religiösen Vereinigung beizutreten und ihr einen festen Mitgliedsbeitrag zu bezahlen. Hinzu kommt, dass sie anlässlich der Prozessionen und anderer religiöser Riten dazu ‚angehalten‘ werden, an der Kollekte teilzunehmen“, erläutert Teodoro De Rosa die perfide Methode, der sich keiner zu entziehen traute.
Selbst vor den Ärzten und Krankenpflegern des Krankenhauses San Giovanni Bosco, die ihre Autos vor dem Spital abstellten, machten die „Almosensammlungen“ nicht Halt. Wollten die Spitalsangestellten ihr Fahrzeug weiterhin unbeschädigt und ohne aufgestochene Reifen vorfinden – so Teodoro De Rosa – mussten auch sie „spenden“.
Die illegalen Votivkapellen dienten ebenfalls dazu, Geld in die Kassen des Contini-Clans zu spülen. Jede Votivkapelle – so der reuige Camorrista weiter – steht in Verbindung mit einem „Gebietsreferenten“ der Camorra-Familie, der das während der Prozession gesammelte Geld einsteckt. Befanden sich in derselben Zone mehrere Votivkapellen, die verschiedenen Clan-Mitgliedern „gehörten“, hielt die Prozession entsprechend mehrmals an, wobei die Kasse gleich mehrmals klingelte. Die gesammelte Geldsumme wurde später zwischen den verschiedenen „Gebietsreferenten“ aufgeteilt. Dabei wurde die Beziehung zwischen dem Clan und der Prozession keineswegs geleugnet. Durch die bei der Prozession mitgeführten Fahnen, auf denen die Namen der verschiedenen Familien standen, war die Identität der „Nutznießer“ ein offenes Geheimnis.
Mit der Zeit gelang es den Contini, auch einige Kirchen des Zentrums in ihre Hände zu bekommen. Da er die Schlüssel besaß, nutze der Clan die Kirchen auch zu Verabredungen und zu Versammlungen. Da laut dem Kronzeugen „die Camorra direkt das Geld, das bei allen Veranstaltungen wie Taufen, Hochzeiten und Kommunionen eingesammelt wurde, verwaltete“, ergab sich für die Contini auch auf diese Weise eine neue Einnahmequelle. Teodoro De Rosa zufolge kümmerte sich die Mutter eines prominenten Mitglieds des Clans um diesen „Aufgabenbereich“.
„Der Priester fordert die Betroffenen dazu auf, eine bestimmte Geldsumme zu bezahlen, und übergibt dem Clan später das Geld. Diese Frau verwaltet alles, was mit den Aktivitäten der Kirche zu tun hat, und kümmert sich auch um die Wartung und die Reinigung des Gebäudes. Die Priester reichen das Geld an sie weiter. Die Frau besitzt sogar die Schlüssel zu den Kirchen. In diesen Kirchen hat es auch Verabredungen unter Camorristi gegeben. Einmal habe ich selbst Patrizio Bosti zu einem Treffen mit Giuseppe Ammendola in die Kirche San Giovanni e Paolo begleitet“, schildert Teodoro De Rosa, der aus seinem „früheren Leben als Camorrista“ erzählt.
Nicht zuletzt seiner Mithilfe und seinen Hinweisen ist es zu verdanken, dass diesem gottlosen Treiben ein herber Schlag versetzt werden konnte.