Von: ka
Pozzuoli/Neapel – Viele Menschen, die in der Umgebung der Phlegräischen Felder wohnen, sind mit ihren Nerven am Ende. Seit Wochen bebt immer wieder die Erde, aber seit nur wenige Tage hintereinander zwei Beben so stark waren wie seit Jahrzehnten nicht mehr, herrscht in Pozzuoli und den umliegenden Gemeinden, die allesamt auf oder am Rande des aktiven Supervulkans sitzen, helle Panik.
Die Behörden versuchen zwar, die Bevölkerung zu beruhigen, aber die Beben, die die Menschen immer wieder aus ihren Häusern auf die Straße treiben, nagen an ihren Nerven. Die Einwohner, die klagen, unter Schlaflosigkeit und Panikattacken zu leiden und leicht reizbar zu sein, nennen es das „Syndrom der Phlegräischen Felder“. In ihrer Verzweiflung wenden sich viele von ihnen an Psychologen.
Der letzte Erdstoß der Stärke 4,0 nach Richter beendete eine Serie leichter, schwarmartiger Beben. Nach dem Erdbeben vom 27. September, das eine Stärke von 4,2 auf der Richterskala aufwies, handelte es sich beim Erdstoß, der am Montag um 22.08 Uhr stattfand, bereits um das zweite starke Beben, wie es in der Umgebung der Phlegräischen Felder seit Jahrzehnten nicht mehr gemessen wurde.
Es ist aber auch die Häufigkeit der Beben, die den Erdbebenexperten und Vulkanologen Sorgen bereitet. Laut dem „Osservatorio vesuviano“ – der vulkanologischen Vesuv-Beobachtungsstelle – ereigneten sich in der Region der Phlegräischen Felder, in der über 700.000 Menschen leben, allein im Monat August 1.118 Erdbeben. Bei den meisten von ihnen handelte es sich um schwache Beben, die kaum die Wahrnehmungsgrenze überschritten, aber eine nicht unbedeutende Anzahl von ihnen wies Bebenstärken auf, die die Menschen aus den Häusern auf die Straße trieben.
Experten meinen, dass diese immer wiederkommenden Beben von aufsteigenden Gasen sowie von Magma verursacht werden, was unter anderem dazu führt, dass sich im Gebiet von Pozzuoli der Boden monatlich um nicht weniger als 15 Millimeter hebt. An sonst üblichen geologischen Verhältnissen gemessen verläuft diese Hebung des Bodens rasend schnell. Die erhöhte Aktivität des Supervulkans erkennen die Vulkanologen aber auch an der veränderten Zusammensetzung der von den Solfatara-Kratern ausgestoßenen Gase sowie am erhöhten Druck, mit dem die Gase und der Wasserdampf den Krater verlassen.
In Zusammenarbeit mit den zuständigen Experten und dem italienischen Zivilschutz arbeitet die römische Regierung an Plänen, die im Notfall eine Evakuierung der Bürger erleichtern soll. „Aber zum jetzigen Zeitpunkt sind wir noch nicht so weit“, versichern die Wissenschaftler, um die Bevölkerung zu beruhigen.
Die ständigen Erdstöße, die vulkanische Aktivität sowie der für die Phlegräischen Felder typische Bradyseismos – dabei handelt es sich um sehr langsame Erdbeben, wobei sich ein Teil der Erdoberfläche hebt und senkt – sind für die Bewohner eine schwere Belastung, die auf die Betroffenen verheerende Auswirkungen hat und sich negativ auf deren psychische Gesundheit auswirkt.
Die Einwohner, die über Einschlafprobleme, Reizbarkeit, ständige Kopfschmerzen sowie über Panik- und Angstattacken klagen, nennen dieses Leiden das „Syndrom der Phlegräischen Felder“. Die Beschwerden sind dermaßen stark, dass sich in ihrer Verzweiflung immer mehr Menschen an Psychologen wenden.
„Viele Bewohner haben Schwierigkeiten, diese Angstzustände zu akzeptieren und zu verstehen“, so der Psychologe und Psychotherapeut Diego De Luca gegenüber dem Corriere del Mezzogiorno.
„Um diese belastenden und in ihrer Gesamtheit sehr komplexen Geschehnisse richtig einordnen zu können und um so zu verhindern, dass sie ein Hindernis für das tägliche Leben werden, brauchen diese Menschen psychologische Hilfe und Unterstützung. Der erste Schritt besteht darin, zu verstehen, dass es nichts Schlimmes oder Falsches ist, sich beunruhigt zu fühlen, aber dass es wichtig ist, einen Weg zu finden, das Geschehen zu verarbeiten, damit wir mit diesen Ängsten auf die richtige Weise umzugehen lernen“, erklärt Diego De Luca.
Am Dienstag trafen in Pozzuoli die ersten Psychologen ein, die Menschen, die ihre Hilfe benötigen, bei der Verarbeitung ihrer Ängste unterstützen sollen.
Für Menschen, die von den ständigen Beben nicht betroffen sind, ist es schwierig, sich in der Lage der Bewohner der Phlegräischen Felder hineinzuversetzen. Die Angst, das Schicksal der Erdbebenopfer von L’Aquila und Amatrice zu teilen und in den eigenen vier Wänden begraben zu werden, treibt nicht wenige fast in den Wahnsinn.
Trotz der Entwarnung der Behörden, dass keine großen Erdbeben bevorstehen sollen, ziehen es viele Menschen vor, nachts im Zelt oder im Auto zu schlafen. Hunderttausende von Einwohnern, die im gefährdeten Gebiet um Pozzuoli und der Caldera des Supervulkans bis hinein nach Neapel leben, wünschen sich nichts lieber als das Ende dieses Albtraums, aber die Angst, dass der riesige Vulkan wie vor bald einem halben Jahrtausend erneut ausbrechen könnte, lässt sie nicht los.