Staatsanwaltschaft will Emanuele Pozzolo vor Gericht bringen – VIDEO

Schuss in der Silvesternacht: Vierjähriges Mädchen riskierte Leben

Freitag, 19. April 2024 | 08:08 Uhr

Von: ka

Rosazza/Biella – Der ermittelnden Staatsanwaltschaft zufolge zeichnet sich immer deutlicher ab, dass der Fratelli d’Italia-Abgeordnete Emanuele Pozzolo entgegen seiner Behauptung selbst geschossen habe. Verschiedene Zeugenaussagen und ein Video lassen den Schluss zu, dass der inzwischen von seiner Parlamentsfraktion suspendierte Abgeordnete für den aus seiner Waffe abgegebenen Schuss selbst verantwortlich sei.

Facebook/Emanuele Pozzolo

Erschütternd und verstörend sind einige Details, die im Rahmen der Ermittlungen ans Tageslicht kamen. Unter anderem gefährdete der Schuss das Leben eines vierjährigen Mädchens, das in der Nähe schlief. Zudem habe Emanuele Pozzolo nie Reue gezeigt und sich beim Opfer entschuldigt. Aufgrund dieser Ermittlungsergebnisse will der Staatsanwalt für Emanuele Pozzolo die Einleitung des Hauptverfahrens beantragen.

Facebook/Emanuele Pozzolo

Fast vier Monate nach dem Schuss in der Silvesternacht liegt die 156 Seiten starke Ermittlungsakte der zuständigen Staatsanwaltschaft von Biella vor. Den Ermittlern zufolge ermöglichen weitgehend übereinstimmende Zeugenaussagen und ein Video, das von diesem Abend stammt, den Tathergang detailliert zu rekonstruieren. Laut den Carabinieri zu Protokoll gegebenen Zeugenaussagen war Pozzolo am frühen Neujahrsmorgen kurz vor 1.00 Uhr auf der Silvesterfeier, die der Unterstaatssekretär des Justizministeriums, Andrea Delmastro, in Rosazza bei Biella im Piemont gab, aufgetaucht, um mit seinem Freund Dalmastro auf das neue Jahr anzustoßen. Mit einer Ausnahme sind sich alle Zeugen einig, dass er durch den Alkohol, den er getrunken hätte, ziemlich „beschwipst“ gewesen sei.

Nachdem er sich von Delmastro und den wenigen anderen, die er kannte, verabschiedet hatte, soll der FdI-Abgeordnete mit den Anwesenden weitere Male auf das neue Jahr angestoßen haben. In einem von einem Gast gefilmten Video ist Pozzolo mit einem Glas in der einen und einem Teller in der anderen Hand in einer Ecke des Wohnzimmers zu sehen.

Facebook/Emanuele Pozzolo/Emanuele Pozzolo, rechts, mit Andrea Delmastro.

Nach der weitgehend übereinstimmenden Schilderung der Zeugen habe Pozzolo zu einem bestimmten Zeitpunkt in Gegenwart von drei oder vier Personen, darunter sicherlich das Opfer, Luca Campana, den Leiter des Begleitschutzes von Delmastro, Pablito Morello, und dessen Sohn Maverick, die als „Handtaschenwaffe“ beschriebene North American Arms LR22 aus seiner rechten Hosentasche hervorgezogen. Vermutlich in der Hoffnung, die Bewunderung und Neugier der Zuschauer zu erregen, habe er sie zuerst wortlos auf seine Handfläche und dann auf den Tisch gelegt.

Offenbar seien die Anwesenden vom Minirevolver aber wenig beeindruckt gewesen. „Was ist das? Ein Feuerzeug?“, so Pablito Morello. Jemand anderes habe sogar gemeint, dass es sich um eine Spielzeugwaffe handle. Um sie den Umstehenden besser zeigen zu können, habe Emanuele Pozzolo daraufhin die Waffe wieder in seine Hand genommen. Mit dem Ziel, die Zweifler von der Echtheit der kleinen Waffe zu überzeugen, habe laut Luca Campana Pozzolo mehrmals den Abzug der Kleinwaffe bewegt. „Dann schien es mir, als wolle er die Trommel öffnen, aber da er dazu nicht imstande war, drückte er die Waffe gegen die Tischplatte, als wolle er sie aufstemmen. In diesem Augenblick hörte ich einen Schuss fallen“, so das Schussopfer Luca Campana.

Facebook/Sostenitori Della Polizia di Stato

Ohne zu wissen, was genau geschehen sei, sei Campana aufgrund der schmerzhaften Verletzung zu Boden gesunken. „Ich bin angeschossen worden! Man hat auf mich geschossen!“, soll dem Fratelli d’Italia-Lokalpolitiker Luca Zani zufolge Campana geschrien haben. „Er war so aufgeregt, dass ich ihm sagte, er solle sich erst einmal beruhigen. Campana fasste sein blutendes Bein an. Ich half ihm, seine Hose auszuziehen. Als er die Wunde sah, fiel er fast in Ohnmacht. Im selben Moment verständigte ich die Rettungskräfte“, fährt Luca Zani fort.

Die Untersuchungsergebnisse der Spurensicherung stützen die Zeugenaussagen. Die einzigen auf der Waffe sichergestellten Fingerabdrücke stammen von Pozzolo und Pablito Morello. „Da die Waffe immer noch auf dem Tisch lag, schrie meine Frau „Leg die Waffe weg! Nimm sie weg!“. Pozzolo stand unter Schock. Er sprach lange Zeit kein Wort. Es war Morello, der die Waffe sicherte und auf ein Möbelstück legte. Dann erschienen die Carabinieri und die Rettungskräfte“, beschreibt Zani die panischen und hektischen Momente, die dem Schuss folgten.

Dramatisch ist jedoch, dass der Schuss leicht hätte in eine Tragödie münden können. Im Raum, in dem der Schuss fiel, befand sich auch ein vierjähriges Mädchen, Altea, das fast in die Schussbahn geriet. Altea ist die Tochter des Fratelli d’Italia-Lokalpolitikers Davide Eugenio Zappalà und seiner Frau Rania Abdelsalam, einer in Saudi-Arabien geborenen Forscherin, die an der Universität Sapienza von Rom tätig ist. Das nach der langen Feier todmüde Kind schlief in einer Wiege.

Facebook/Davide Eugenio Zappalà, Davide Eugenio Zappalà und seine Frau Rania Abdelsalam

Da das Mädchen sich nach dem Schuss nicht rührte, befürchtete die Mutter das Schlimmste. „Meine Frau schrie verzweifelt und brach in Tränen aus. Glücklicherweise ist dem Kind nichts passiert“, so Zappalà. Auch laut Rania Abdelsalam sei Pozzolo nach dem Schuss wort- und regungslos auf einem Stuhl gesessen. Um nicht den eintreffenden Carabinieri zu begegnen, habe er dann versucht, fortzugehen, woran er aber vom Sohn von Pablito Morello gehindert worden sei. „Du bleibst jetzt hier und erzählst den Carabinieri, was passiert ist!“, fuhr er ihn an. Zudem habe Emanuele Pozzolo nie Reue gezeigt und sich bei Luca Campana entschuldigt.

Justizbeobachtern zufolge soll das gegen Emanuele Pozzolo vorliegende belastende Material erdrückend sein, was den Antrag der Staatsanwalt, gegen Emanuele Pozzolo das Hauptverfahren einzuleiten, als reine Formalität erscheinen lässt. Der kommende Prozess könnte für weitere aufschlussreiche Überraschungen sorgen. Abgesehen von allen rechtlichen Konsequenzen dürfte die Affäre für den Fratelli d’Italia-Abgeordneten das politische Aus bedeuten.