Von: ka
Mailand – Am Tag vor der endgültigen Entscheidung, ob alle Regionen an der für den 3. Juni anvisierten „Reisefreiheit“ teilnehmen können, beschuldigt die im Gesundheitsbereich tätige Forschungsstiftung „Gimbe“ die Region Lombardei, die Daten zu „beschönigen“ und so die Reproduktionszahl, abgekürzt R, zu „verfälschen“. Während der Präsident der Stiftung, Nino Cartabellotta, für diese schwere Anschuldigung vier auf die Anzahl der Abstriche, der positiv Getesteten und der Genesenen basierende Gründe nennt, weist der Präsident der Region Lombardei, Attilio Fontana, alle Vorwürfe weit von sich.
🔴 ULTIM'ORA – Secondo la Fondazione Gimbe i dati ufficiali sulla diffusione del virus in Lombardia sono «verosimilmente sottostimati»
Pubblicato da Corriere della Sera su Giovedì 28 maggio 2020
„Die offiziellen Zahlen über die Verbreitung des Virus in der Lombardei, die für die Entscheidung, die Grenzen wieder zu öffnen, von grundlegender Bedeutung sind, werden wahrscheinlich unterschätzt“, so der Präsident der angesehenen Stiftung „Gimbe“, Nino Cartabellotta, gegenüber der Onlineausgabe des „Corriere della Sera“.
Der Vorwurf der Forschungsstiftung, die die Ansteckungen mit dem Coronavirus betreffende Überwachungskapazität der Regionen aufmerksam verfolgt und regelmäßig die Daten aktualisiert, wiegt schwer, und erreichte die italienische Öffentlichkeit nur einen Tag vor der wichtigen Entscheidung, welche Regionen nicht an der für den 3. Juni anvisierten „Reisefreiheit“ teilnehmen können. Dabei fügt sich der unabhängige Befund der Stiftung „Gimbe“ den in den letzten Tagen geäußerten Zweifeln mehrerer Wissenschaftler hinzu. Laut der Stiftung gibt es vier Gründe, warum die Lombardei für eine Öffnung nicht bereit ist.
#coronavirus: Aggiornamento incremento assoluto dei contagi al 26/05; il grafico illustra i nuovi casi giornalieri di infezione da #COVID2019 in Italia. Per maggiori dettagli:🔵https://coronavirus.gimbe.org
Pubblicato da GIMBE su Mercoledì 27 maggio 2020
Erstens ist die Prozentzahl der positiv Getesteten höher als offiziell angegeben. Um die tatsächliche Inzidenz der neuen Fälle in Bezug auf die Anzahl der durchgeführten Abstriche festzustellen, darf nicht ihre Gesamtanzahl, sondern nur die Anzahl der sogenannten „diagnostischen“ Abstriche (bei den „diagnostischen Abstrichen“ handelt es sich um jene, bei denen es darum geht, herauszufinden, ob die betreffende Person SARS-CoV-2-positiv ist oder nicht, wobei alle folgenden Kontrollabstriche nicht berücksichtigt werden) verwendet werden. Berechnet man die Inzidenz der neuen Fälle auf dieser Zahlengrundlage, ergibt sich für die Lombardei ein Wert von besorgniserregenden 6,0 Prozent, was mehr als dem Doppelten des italienischen Durchschnittswertes – 2,4 Prozent – entspricht. Die Region Lombardei gibt hingegen offiziell eine Inzidenz der neuen Fälle von nur 1,7 Prozent an.
La Fondazione Gimbe: la Lombardia aggiusta i dati, falsato l’indice Rt https://t.co/fLbcF4b9TP
— La Stampa (@LaStampa) May 28, 2020
Zweitens wird die Anzahl der Positiven unterschätzt, weil gerade in der massiv von der Corona-Epidemie betroffenen Lombardei zu wenige Abstriche getätigt werden. In der Lombardei werden umgerechnet auf 100.000 Einwohner nur 1.608 „diagnostische Abstriche“ durchgeführt. Im Aostatal und in der autonomen Provinz Trient wird mehr als doppelt so viel getestet. Wie viele neuen Fälle würden sich in der Lombardei finden, wenn massiv getestet würde, fragen sich die Experten der angesehenen Stiftung. Um vorhandene asymptomatische Virusträger zu entdecken und zu isolieren sowie ein minutiöses Screening der Bevölkerung durchzuführen, ist es laut dem Präsidenten der Stiftung „Gimbe“, Nino Cartabellotta, unbedingt notwendig, dass jene Regionen, die heute noch zu wenig testen, ihre Testkapazität steigern.
Casi di COVID-19, andamento giornaliero dei tamponi al 27/05; Il grafico illustra il numero di tamponi eseguiti per giorno e la percentuale di tamponi positivi per giorno. 🔵https://coronavirus.gimbe.org/
Pubblicato da GIMBE su Giovedì 28 maggio 2020
Drittens ist die Anzahl der täglich gefundenen, jeweils auf eine Bevölkerung von 100.000 Einwohnern umgelegten, neuen Fälle in der Lombardei viel höher als im landesweiten Schnitt. Während der italienische Durchschnitt dieses wenig bekannten, aber wichtigen Indexes 32 neue SARS-CoV-2-positiv getestete Personen beträgt, sind es in der Lombardei nicht weniger als täglich 96 neue Fälle. Auch in Ligurien (76) und im Piemont (63) sind die Werte dieses in der Öffentlichkeit zu Unrecht wenig beachteten Indexes viel zu hoch. Laut der Stiftung „Gimbe“ soll neben der Lombardei auch für diese beiden Regionen die Öffnung verschoben werden.
La fondazione #Gimbe fa il punto sul via libera che il governo si prepara a dare in merito agli spostamenti tra Regioni,…
Pubblicato da GIMBE su Giovedì 28 maggio 2020
Viertens überschätzt laut der Forschungsstiftung die Lombardei die Genesenen, weil ihre Anzahl zusammen mit jener, der aus dem Krankenhaus entlassenen Personen gemeldet wird. Von Letzteren ist allerdings nicht bekannt, ob sie aus klinischer und virologischer Sicht geheilt sind und in welcher Phase des Genesungsprozesses sie sich befinden. Insgesamt ergibt sich aus allen genannten Punkten, dass die Anzahl der offiziell gezählten 24.037 potenziell ansteckenden Personen in Wirklichkeit wesentlich höher sein dürfte. Daraus und aus der geringen Bereitschaft, mehr Abstriche zu tätigen, folgt laut „Gimbe“ ein zu niedrige Schätzung der Reproduktionszahl, abgekürzt R.
Insgesamt beschuldigt die im Gesundheitsbereich tätige Forschungsstiftung „Gimbe“ die Lombardei, die Daten zu „beschönigen“ und so die Reproduktionszahl, abgekürzt R, zu „verfälschen“.
✅Aggiornamento monitoraggio dell'epidemia da COVID-19 nelle Regioni italiane a cura della Fondazione GIMBE (28…
Pubblicato da GIMBE su Giovedì 28 maggio 2020
Die Anschuldigungen der Stiftung schlugen in der italienischen Öffentlichkeit ein wie eine Bombe. In einer harschen Stellungnahme wies die Lombardei alle Vorwürfe weit von sich und erklärte, dass die Region seit dem Beginn der Pandemie alle Zahlen mit größter Transparenz den zuständigen Behörden melden würde und niemand – allen voran das Oberste Gesundheitsinstitut ISS (Istituto Superiore di Sanità) – jemals die Qualität der Arbeit der Gesundheitsbehörden der Lombardei in Zweifel gezogen habe. Die Lombardei forderte die Stiftung auf, die Anschuldigungen zurückzunehmen, und kündigte im gleichen Atemzug rechtliche Schritte an.
Die mit Zahlen unterfütterten Argumente wiegen aber schwer. „Gimbe“ zufolge ist besonders in der Lombardei die Epidemie noch immer nicht ausreichend eingedämmt. Neben der Lombardei gilt dies auch für Ligurien und dem Piemont. Die Experten raten dazu, für diese drei Regionen die Öffnung der Grenzen zu verschieben. Die fortdauernde „Schließung“ der drei „Sorgenkinder-Regionen“ könnte aber Italiens Nachbarstaaten die Entscheidung erleichtern, die Grenzübergänge nach Italien für den freien Personenverkehr zu öffnen.