Von: ka
Bologna – Italiens Politik rühmt sich, zum Schutz der Frauen eines der strengsten Gesetzespakete – den „Codice Rosso“ – verabschiedet zu haben, aber die Geschichte einer 52-jährigen Frau aus Bologna, Isella Marzocchi, zeigt, dass die Strafen zu lasch und gesetzliche Lücken vorhanden sind.
Da ihr seit mehr als einem Jahr ein Stalker nachstellt, ist Isella Marzocchis Leben die Hölle. „Um ihn nicht zu treffen, habe ich meine Arbeitswege und meinen Zeitplan geändert. Obwohl er verurteilt wurde, ist er auf freiem Fuß. In sieben Monaten schlug sein elektronisches Armband 40-mal Alarm. Nun überlege ich, in eine andere Stadt zu ziehen“, so die inzwischen verzweifelte 52-Jährige.
Seine Anmache war kühn und gewagt. Der Stalker stand vor Isella Marzocchi in der Warteschlange vor der Supermarktkasse. „Lass uns alles zusammenpacken und schön essen gehen“, sprach der Mann Mitte Dreißig die 52-Jährige an. „Wie bitte?!“, antwortete Isella Marzocchi verblüfft. Als sie den Supermarkt verließ, wartete der Unbekannte hinter der Gebäudeecke mit ausgestreckter Hand auf sie. „Guten Tag, Marco…“, stellte sich der Stalker vor, der nicht mehr von ihr ablassen wollte. Um ihn loszuwerden, stimmte die 52-Jährige seinem Angebot zu, sich von ihm zu einem Espresso einladen zu lassen, was sich aber als großer Fehler erweisen sollte.
Von diesem Tag an – es war Ende Januar letzten Jahres – wurde ihr Leben zur Hölle. Nachdem er irgendwie die Nummer ihres Smartphones herausgefunden hatte, begann Marco sie mit Anrufen und Nachrichten zu belästigen. Er wartete in der Nähe ihres Arbeitsplatzes auf sie und folgte ihr. „Ich hatte Angst“, so Isella Marzocchi gegenüber dem Corriere di Bologna.
Isella Marzocchi sah sich aufgrund der Nachstellungen gezwungen, ihren üblichen Arbeitsweg und ihren Zeitplan zu ändern. Freundliche Arbeitskollegen fanden sich dazu bereit, die 52-Jährige zu begleiten, aber der Unbekannte, der in einer Bar vor dem Büro des Stalkingopfers auf sie wartete, stellte ihr selbst dann noch nach, wenn sie in Begleitung anderer Männer und Frauen war.
„Er wurde nie physisch gewalttätig und griff mich nie körperlich an, aber er war fürchterlich besessen davon, mich zum Ausgehen aufzufordern, sich mit mir treffen zu wollen und mir rund um die Uhr Nachrichten zu schicken. Er schickte mir anzügliche Nachrichten, als hätten wir eine Affäre. ‚Ich möchte wieder deinen Körper berühren‘, lautete eine von ihnen, die noch zu den harmloseren gehörte. ‚Ich habe dich mit einem Mann vorbeifahren sehen, wer war es? Wo wolltest du hin?‘, hingegen war eine andere Nachricht, die er mir zuschickte“, berichtet Isella Marzocchi.
Nach einigen Monaten zeigte Isella Marzocchi ihn an. Dem „Codice Rosso“ folgend wurde der Stalker behördlich gezwungen, ein elektronisches Armband zu tragen. Damit die 52-Jährige und die Ordnungskräfte das gerichtlich verhängte Annäherungsverbot überwachen können, erhielt Isella Marzocchi ein GPS-Gerät. Das Justizverfahren nahm schnell seinen Lauf. Auf die Ermittlungen folgte der Prozess, der mit einer Verurteilung des Stalkers zu zwei Jahren Haft endete.
Aber der Leidensweg der 52-Jährigen war damit nicht zu Ende. „Er ist nie zu den Verhandlungen erschienen. Da ich immer noch das GPS-Gerät, das mit seinem elektronischen Armband und der Zentrale der Carabinieri verbunden ist, tragen muss, schätze ich, dass er auf freiem Fuß ist. Sie sagten mir, dass er nicht einen einzigen Tag im Gefängnis sitzen wird. Mein Leben ist die Hölle. Seit er mir nachstellt, trage ich immer einen Pfefferspray bei mir. Seit acht Monaten bin ich über dieses Gerät mit den Bewegungen dieses Mannes verbunden, den ich nie zuvor gesehen hatte. Als ich letzten Freitag auf dem Bahnhof war, ertönte der Alarm meines GPS-Geräts. Um mich zu warnen, riefen mich die Carabinieri an“, erzählt Isella Marzocchi, die die Carabinieri für ihren Einsatz dankt.
„Wenn er sich mir bis auf 400 Meter nähert, trillert das GPS-Gerät. Über den Bildschirm werde ich darauf hingewiesen, dass ich mich in einer Gefahrenzone befinde. Kurz darauf rufen mich die Carabinieri an und fragen mich, ob alles in Ordnung sei. Insbesondere wenn ich mich in einem öffentlichen Verkehrsmittel befinde, gerate ich in Panik. Daher versuche ich, sie eher zu meiden. Da er im selben Viertel wohnt wie ich, schlägt das GPS-Gerät oft Alarm. Seit dem Juli des letzten Jahres geschah dies rund 40-mal“, so die 52-Jährige.
„Ich habe einen Ehemann und zwei Kinder im Alter von neun und zwölf Jahren. Mein Mann hat mich die ganze Zeit begleitet und unterstützt. Es war aber nicht leicht. Dieser Marco rief mich ständig an. Nachdem ich seine Nummern blockiert hatte, versuchte er auf andere Weise, mit mir Kontakt aufzunehmen. Beispielsweise rief er mich über die Nummern von Ladenbesitzern an, die er unter einem Vorwand um den Gefallen gebeten hatte, einen Anruf tätigen zu können. Da ich im Kommunikationswesen arbeite und nicht alle Nummern abgespeichert sind, kann ich es mir nicht leisten, von unbekannten Nummern kommende Anrufe nicht entgegenzunehmen. Als ich einmal eine Nummer zurückrief, hatte ich einen pakistanischen Gemüsehändler an der Strippe. Es kam zu den seltsamsten Situationen, in denen die Carabinieri mich anriefen: ‚Pass auf, er ist nur 30 Meter entfernt, siehst du ihn?‘, ein Albtraum“, klagt die Frau, wie das Stalking auch ihren Arbeitsalltag beeinträchtigt.
„Jene zwei Wochen nach meiner Anzeige, in denen er noch kein elektronisches Armband hatte, waren für mich die schlimmste Zeit. Ich lebte in der Angst, dass er mir etwas antun würde. Da es sich um einen offensichtlich gestörten Menschen handelt, fürchte ich mich vor jenen Tag, an dem sie ihm das Band wieder abnehmen werden. Es ist so ungerecht. Während er sich frei bewegen kann, bin ich gezwungen, bestimmte Orte zu meiden. In gewissen Momenten bereue ich es, ihn angezeigt zu haben, denn diese hässliche Geschichte scheint kein Ende zu nehmen. Ich denke sogar darüber nach, in eine andere Stadt zu ziehen. Den Espresso mit ihm werde ich auf ewig bereuen“, so das bittere Fazit von Isella.
Kritiker meinen, dass der bestehende „Codice Rosso“ viel zu lasch sei. Das elektronische Armband – so diese Stimmen – schütze die Stalkingopfer nicht nur nicht vor eventuellen Angriffen durch die Täter, sondern mache – wie insbesondere der Fall von Isella Marzocchi zeige – vielmehr die Opfer zu ständigen Gefangenen ihrer Stalker. Es sei an der Zeit, den „Codice Rosso“ weiter zu verschärfen und Stalker zu unbedingten Gefängnisstrafen zu verurteilen. Stalkingopfer dürfen nicht mehr länger in Angst leben müssen.