Von: ka
Piacenza – In den Tagen nach der Beschlagnahme einer gesamten Carabinierikaserne und der Festnahme mehrerer Carabinieri kamen immer mehr Details des kriminellen Gebarens und des protzigen Lebensstils des „Appuntato“ und seiner „Kollegen“, die sich der Anschuldigung zufolge durch einen schwunghaften Drogenhandel ihren Gehalt aufgebessert hatten, ans Tageslicht.
Um ihre Ziele, die in erster Linie daraus bestanden, sich die eigenen Taschen zu füllen, zu erreichen, sollen die Carabinieri auf unrechtmäßige Festnahmen, Folter und Erpressung zurückgegriffen haben. Die Opfer waren – so die Staatsanwaltschaft – zumeist Drogenhändler und Ausländer, aber auch einfache Bürger, die das Pech hatten, in die Fänge der „Organisation“ zu geraten. Im Zentrum des aus untreuen „Carabinieri“ bestehenden Kerns des Netzwerks stand der „Appuntato“ Peppe Montella.
Sein „System“, das den Ermittlungen zufolge jenem eines Clans des Organisierten Verbrechens glich und daraus bestand, sich „eigene“ Drogenhändler zu halten, ihnen „Schutz“ zu gewähren und sie mit Drogen zu versorgen, verschaffte Peppe Montella und seinen „Kollegen“ von der Carabinierikaserne „Levante“ Zugang zu erheblichen Geldmitteln. Das Geld, das in einen gemeinsamen Tresor aufbewahrt wurde, ermöglichte ihnen einen aufwendigen und protzigen Lebensstil, den sie auch gerne zur Schau stellten.
Auch in der Carabinierikaserne ließen es sich die Verhafteten gutgehen. Dank der Ermittlungen der Finanzpolizei gelang es, einen besonders „pikanten Event“ zu rekonstruieren. Anlässlich eines einem „Kollegen“ gewidmeten „Festes“, das im Büro des Kommandanten – der nicht anwesend war – stattfand, ließen die verhafteten „Carabinieri“ zwei Escortdamen zu ihnen in die Kaserne kommen. Was folgte, war ein wildes Rotlichtfest.
Sex in der Kaserne, die vermutlich nicht nur in diesem Fall Schauplatz solcher Exzesse war, scheint eine Passion der Verhafteten gewesen zu sein. Einem Informanten der Ermittler zufolge wurde zu ähnlichen „Festen“ mehrmals eine brasilianische Transsexuelle eingeladen. Laut dem gleichen Informanten zögerte Peppe Montella auch nicht, die Suchtkrankheit einer jungen Ukrainerin auszunützen. Wenn die junge Suchtkranke auf Entzug war – so der Informant – wandte sie sich an Peppe Montella, der sie in die Kaserne kommen ließ und ihr im Gegenzug für sexuelle Dienstleistungen Drogen überreichte.
In den gleichen Amtsräumen der Kaserne, wo sexuelle Handlungen stattfanden, wurden laut den Ermittlern des Öfteren auch Drogenhändler und andere kleine Fische, die sich nicht dem Willen der untreuen „Carabinieri“ beugen wollten, verprügelt. Um auch diesen Verdachtsmomenten nachgehen zu können, wird in der beschlagnahmten Kaserne derzeit mit Luminol nach kleinsten Blutspuren gesucht.
Die Verhafteten – allen voran Peppe Montella – hielten sich für allmächtig und unangreifbar. Dem „Appuntato“ Peppe Montella, der aufgrund seiner „Geschäfte“ Inhaber von nicht weniger als 24 Bankkonten war, gelang es sogar seiner Frau, der 38-jährigen Maria Luisa Cattaneo, einen Passierschein für das verkehrsberuhigte, historische Zentrum von Piacenza, der eigentlich nur Anwohnern sowie Ordnungs- und Rettungskräften vorbehalten ist, zu besorgen. Maria Luisa Cattaneo, die Komplizin von Peppe Montella war, weil sie für ihn als Drogenkurier fungierte und ihm beim Verstecken seiner illegalen Einkünfte aus den Drogengeschäften half, befindet sich heute in Hausarrest.
Mit der Zeit wurden die Kriminellen aber unvorsichtig. Peppe Montella dachte sich nichts dabei, im Garten seiner Villa mit Schwimmbad zu Ostern – also während des Lockdowns – zusammen mit seinen „Kollegen“ eine luxuriöse Grillparty mit Musik und Champagner zu feiern. Eine Nachbarin, die im Garten von Montella den Menschenauflauf sah, verständigte damals die Carabinieri. Dank des Einflusses des „Appuntato“ wurde der bereits zur Villa geschickte Streifenwagen zurückgerufen und die Einsatzmeldung „gelöscht“.
Heute ist auch dieser Vorfall Gegenstand von Untersuchungen. Die Villa mit Schwimmbad hingegen, die den Ermittlungen zufolge vermutlich zumindest zum Teil mit Geldern aus den Drogengeschäften erworben worden war, wurde im Zuge der Verhaftungen beschlagnahmt.
Der Lebensstil, der in keinem Verhältnis zu seinem, offiziell erklärten Einkommen stand, begann, Verdacht zu erregen. Der „Appuntato“ und die Seinen ahnten nicht, dass ihnen die Finanzpolizei bereits auf den Fersen war. Die Beamten hatten nicht nur die Autos der Verdächigten sowie die Amtsräume verwanzt und die Telefone angezapft, sondern auch das Smartphone von Peppe Montella mit einem Trojaner, der das Gerät praktisch in eine Wanze verwandelte, infiziert.
Die Ermittler trauten ihren Augen und Ohren kaum, als sie sahen und hörten, was ihre kriminaltechnischen Hilfsmittel zutage förderten. Im Laufe der minutiösen Ermittlungsarbeit wurden zwischen Telefonmitschnitten, Abhörmaßnahmen und Computerverbindungen insgesamt 75.000 einzelne Ermittlungsoperationen durchgeführt und deren Ergebnisse ausgewertet.
Das die verhafteten Carabinieri belastende Beweismaterial ist erdrückend. Nach dem ersten Verhör wirkte Peppe Montella seinem Anwalt zufolge „angegriffen“.
Angesichts des Skandals in Piacenza werden in der italienischen Öffentlichkeit die Stimmen, die eine rücksichtslose Aufklärung aller Vorgänge und aller Verantwortlichkeiten fordern, immer lauter. Dabei geht es längst nicht mehr allein um den „Appuntato“ und seine „Kollegen“. Gerade das Versagen der Kontrollmechanismen wirft viele Fragen auf. Aufgrund des Gebarens und des Lebensstils vieler Carabinieri dieser Kaserne, hätten ihre Vorgesetzten viel früher Verdacht schöpfen müssen.