„Tischfrauen“ sorgen für heftige Polemiken

Sexistisch oder übertriebene politische Korrektheit?

Dienstag, 24. Oktober 2023 | 07:00 Uhr

Von: ka

Verona – Wegen einer umstrittenen „künstlerischen“ Inszenierung geriet ein Empfang, der im Palazzo della Gran Guardia in Verona stattfand, ins Zentrum heftiger Polemiken. Zur Begrüßung der geladenen Gäste des eleganten Events, das vom Consorzio Zai – einer Organisation zur Förderung der Wirtschaft von Verona – organisiert wurde, trugen nämlich nicht weniger als zwei junge Frauen ein Kostüm in Form eines kleinen runden Tisches, von dem sich die Anwesenden ein Glas Champagner nehmen konnten. Diese originelle, aber fragwürdige Idee brachte den Organisatoren den Vorwurf des Sexismus ein. Eine der beiden „Tischfrauen“ aber wehrt sich und versichert, dass sie sich weder als Objekt noch als Ware und auch nicht ausgebeutet gefühlt habe.

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Handelte es sich beim Empfang, der vom mächtigen Consorzio Zai im Palazzo della Gran Guardia in der Piazza Bra von Verona gegeben wurde, um eine elegante Abendveranstaltung oder um Macho-Trash? Darüber, ob die Veranstaltung ein großartiges Fest für Verona oder eine Geschmacklosigkeit, die „das Ergebnis einer frauenfeindlichen und patriarchalischen Kultur“ ist, war, scheiden sich seit Tagen die Geister.

Beim Galaempfang, der anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Organisation veranstaltet wurde, waren viele wichtige Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft anwesend, die mit ihren Gläsern auf die vergangenen und kommenden Erfolge anstießen. Die Organisatoren des Empfangs hatten auch die an sich originelle Idee, während der Feier verschiedene „Maskendarsteller“ auftreten zu lassen. So geschah es, dass sich unter die feiernden Gäste verschiedene maskierte Künstler – Feen in Tüllröcken, Männer mit goldenem Frack und Zylinderhut und auch ein als Pfau verkleideter männlicher Darsteller – mischten.

Zwei Darstellerinnen verdarben einigen Frauen aber offenbar den Abend. Die zwei jungen und schönen Frauen trugen ein Kostüm in Form eines kleinen runden Tisches, auf dem Gläser mit Champagner standen. So als „Tisch“ verkleidet wandelten die beiden Frauen durch den großen Saal und boten den Gästen die gefüllten Champagnergläser an.

Die Polemiken ließen nicht lange auf sich warten. Die stellvertretende Bürgermeisterin von Verona, Barbara Bissoli, die als Stadträtin auch für die Chancengerechtigkeit zuständig ist, griff wutentbrannt zu Blatt und Feder und schrieb dem Präsidenten des Consorzio Zai einen harschen Protestbrief. „Beim Empfang wurden einige junge Frauen mit einem Outfit gesehen, das als Tisch diente, auf dem die Abendgäste ihre Gläser abstellten. Frauen werden auf diese Art und Weise als Objekte betrachtet, was eine frauenfeindliche und patriarchalische Kultur offenbart“, ging Barbara Bissoli mit den Organisatoren des Abends hart ins Gericht.

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„Wir wollen eine Kultur des Respekts und der Gleichberechtigung der Geschlechter in all ihren Facetten fördern, insbesondere dort, wo sie durch unangemessene Verhaltensweisen und Entscheidungen gefährdet ist“, so Bissoli in ihrem Schreiben. Im selben Atemzug versicherte die stellvertretende Bürgermeisterin von Verona, dass sie zur zukünftigen Unterbindung solcher geschmacklosen Vorfälle für Veranstaltungen in gemeindeeigenen Gebäuden einen entsprechenden Verhaltenskodex schaffen werde. Der Consorzio Zai wollte den Brief der Vizebürgermeisterin nicht kommentieren. Mehrere italienische Feministinnen hingegen pflichteten Barbara Bissoli bei und brandmarkten die fragwürdige Idee, zwei Frauen als „Tischdamen“ auftreten zu lassen, als sexistisch und frauenfeindlich.

Allerdings sieht genau das eine der beiden „Tischfrauen“ vollkommen anders. „Ich habe mich weder als Objekt noch als Ware und schon gar nicht als ausgebeutet gefühlt. Ich habe im Rahmen einer künstlerischen Darbietung mit mehreren Darstellern einfach meine Rolle gespielt. Kurz gesagt, ich habe ganz normal gearbeitet, wie ich es immer tue. Ansonsten hätte ich mich geweigert“, so die 21-jährige Michelle Pellegrinelli gegenüber La Repubblica.

Michelle Pellegrinelli, die aus Belluno stammt und in Trient studiert, gefällt ihr Nebenjob, mit dem sie sich ihr Studium finanziert. „Die Vorbereitung nimmt viel Zeit in Anspruch, aber die Darbietung selbst ist einfach und nicht sehr anstrengend. Ich habe in einer Stunde 150 Euro verdient, sicherlich viel mehr als eine Kellnerin“, so die 21-Jährige. „Ich bin mir bewusst, was ich tue, und fühle mich nicht ausgebeutet. Es gibt für andere keinen Grund, sich in meinem Namen zu entrüsten“, erklärt Michelle Pellegrinelli, die sich selbst als „Feministin“ bezeichnet.

„Manchmal werden die Grenzen der politischen Korrektheit überschritten. Man kann sich selbst nicht mehr ausdrücken und frei einer Kunstform frönen, ohne die Empfindlichkeiten Außenstehender zu verletzten. Man muss immer vorsichtig sein, wie man sich bewegt und was man sagt. Beim Empfang war auch ein junger Mann dabei, der als eine Art Pfau verkleidet war. Weil er ein Mann ist, wurde über ihn nichts berichtet. Und das ist keine Diskriminierung?“, beklagt sich die junge Frau, die in Trient Sprachen studiert, über die aus ihrer Sicht vollkommen übertriebene Polemik.

Michelle Pellegrinelli unterstreicht, dass sie nicht gezwungen sei, jeden Job anzunehmen, versichert aber, dass sie ihre Rolle als „Tischfrau“ jederzeit erneut spielen werde. Die 21-jährige Sprachenstudentin zeigt sich von den Polemiken zutiefst enttäuscht. „Ich habe das nicht erwartet. Ich verstehe nicht, wie andere deuten können, was ich fühle, vor allem, ohne mich vorher gefragt zu haben. Am Mittwochabend ist niemand persönlich zu mir gekommen, um mich zu fragen, wie ich mich fühle“, so Michelle Pellegrinelli.

Viele moderne Frauen teilen Michelles Meinung. „Wenn ich als Frau beschließe, als „Tischfrau“ aufzutreten und ich dafür bezahlt werde, beutet mich niemand aus, weil ich mich frei dafür entschieden habe“, so eine Leserin.