Von: ka
Rovigo – Die Lehrerin Maria Cristina Finatti, die an einer Oberschule in Rovigo in Venetien Naturkunde unterrichtet, wurde während des Unterrichts in einer ersten Klasse von einem ihrer Schüler mit einer Luftdruckpistole beschossen. Ein anderer Schüler filmte den Angriff mit seinem Smartphone und postete das Video auf der Social-Media-Plattform TikTok.
Maria Cristina Finatti, die durch zwei Treffer mit Plastikkügelchen am Kopf und neben dem Auge leichte Verletzungen erlitten hatte, zeigte die gesamte Klasse an. „Sie haben es für die Follower getan. Sie haben alle gekichert und gelacht. Weder sie noch ihre Eltern haben sich bei mir entschuldigt. Die Entscheidung, Anzeige zu erstatten, war schmerzhaft, aber sie sind alle schuldig“, so die zutiefst enttäuschte Lehrerin, die sich in ihrer Würde verletzt sieht und die Sache nicht auf sich beruhen lassen will.
Schauplatz des überaus bedenklichen Vorfalls war eine erste Klasse der Oberschule „Viola Marchesini“ in Rovigo. Wie das auf der Website von „La Voce di Rovigo“ zuerst veröffentlichte Video zeigt, geschah der Angriff während des Unterrichts. Die Naturkundelehrerin Maria Cristina Finatti hält vor der Tafel gerade ihre Unterrichtsstunde, als plötzlich ein dumpfes Geräusch ertönt. Die Lehrerin, die von einem aus einer Luftdruckpistole abgeschossenen ersten Kügelchen am Kopf getroffen wird, erschrickt. Sie kann das Geschehene im ersten Moment nicht einordnen und ist verwirrt. Die Lehrerin legt die Hand an ihre Schläfe, geht einige Schritte und beugt sich dann hinunter zu dem auf dem Schreibtisch liegenden Klassenregister, um den Vorfall schriftlich festzuhalten.
In der Zwischenzeit kichern einige Schüler und machen sich über sie lustig. Der Film endet einige Augenblicke später, aber es scheint, dass auf die Lehrerin ein zweites Kügelchen abgefeuert wurde, das sie in die Nähe des Auges traf. Dieser zweite Treffer verursachte eine schmerzhafte Verletzung, die eine Behandlung im Krankenhaus notwendig machte. Die Dynamik des Angriffs lässt auf eine vorsätzliche Tat schließen. Einer der Schüler brachte die Druckluftpistole mit in den Unterricht und gab kurz vor dem Abdrücken einem Mitschüler offenbar das Zeichen, die Tat zu filmen.
Die Direktorin der Oberschule, Isabella Sgarbi, stellte sich sofort hinter der Lehrerin. Es wurden nicht nur disziplinarische Maßnahmen gegen die betreffenden Schüler ergriffen, sondern es wurden auch die Polizei informiert und die Eltern vorgeladen. „Es handelt sich um einen schwerwiegenden Vorfall. Das Kichern der Schüler und die Tatsache, dass niemand dagegen aufbegehrt hat, sollte uns zum Nachdenken darüber anregen, wie sich die Schüler als Gruppe verhalten und wie sehr es am Willen mangelt, sich gegen Unrecht zu wehren“, erklärt Isabella Sgarbi.
Für Maria Cristina Finatti, die auch daran dachte, die Schule zu verlassen, ist seit dem Angriff nichts mehr, wie es war. Seit diesem Oktobertag letzten Jahres ist die Angst, erneut angegriffen zu werden, ständiger Begleiter der Lehrerin. „Ich habe mich verändert. Ich bin verschlossener geworden und ich kann nicht mehr so unterrichten wie früher“, erklärt die Lehrerin.
Die fehlende Solidarität der Eltern der Schüler dieser ersten Klasse war für Frau Finatti die größte Enttäuschung. „Sie haben es für die Follower getan. Sie haben alle gekichert und gelacht. Weder sie noch ihre Eltern haben sich bei mir entschuldigt. Ich muss aber zugeben, dass es viele Schüler gibt, die mir nahestehen“, so Maria Cristina Finatti.
„Die Entscheidung, Anzeige zu erstatten, war schmerzhaft. Ich habe mich zu diesem Schritt entschlossen, um meine Würde und die meiner Kollegen zu verteidigen, aber vor allem, weil eine Grenze überschritten wurde. Das in dieser Klasse herrschende Klima der Omertà – des Gesetzes des Schweigens – muss gebrochen werden, denn an diesem Tag hat in der Klasse niemand aufbegehrt und mich verteidigt. Jemand muss ihnen begreiflich machen, dass ein solches Verhalten verwerflich ist. Nicht nur die, die geschossen und gefilmt haben, sondern auch jene, die schweigend den Gewalttätern zustimmen, sind schuldig“, meint Maria Cristina Finatti.
Der Angriff auf die Lehrerin in Rovigo löste in der italienischen Öffentlichkeit eine lebhafte Debatte über Gewalt in der Schule aus. Die Diskussion dreht sich auch um die Frage, wie groß die Mitverantwortung der Eltern für das Fehlverhalten ihrer Kinder ist.