"Blut dicker als Wasser": Messina Denaro erkennt Tochter an – VIDEO

“Sie verdankt mir zweimal ihr Leben”

Sonntag, 01. Oktober 2023 | 08:10 Uhr

Von: ka

Castelvetrano/L’Aquila – Fast bis zuletzt schien es so, als könnten Matteo Messina Denaro und seine Tochter Lorenza Alagna nie mehr zueinanderfinden. Lorenza fremdelte mit dem „mafiösen Ambiente“ ihrer Familie väterlicherseits. ‘U Siccu ärgerte das, er litt aber sehr darunter, dass seine Tochter ihn nicht sehen wollte. Da Blut aber dicker als Wasser ist, brach das Eis.

Matteo Messina Denaro befand sich bereits drei Jahre auf der Flucht, als er 1995 Franca Maria Alagna kennenlernte. Er ging mit ihr eine Liebesbeziehung ein. Die Familie von Franca Maria Alagna war von der Beziehung der jungen Frau mit ‘U Siccu („der Dünne“) überhaupt nicht angetan und versuchte alles, um sie vom „mafiösen Ambiente“ dieser Familie, von der weit über Castelvetrano hinaus bekannt war, dass sie der Cosa Nostra angehörte und mit den Corleonesi eng verbunden war, fernzuhalten. Als Franca Maria Alagna am 17. Dezember 1996 ein Mädchen zur Welt brachte, sagten die Alagnas, dass das Einzige, was sie mit den Messina Denaros verbinde, dieses Kind sei.

YouTube/Lorenza Alagna Messina Denaro

Einer Tradition folgend erhielt das Mädchen den Namen ihrer Großmutter väterlicherseits, Lorenza Santangelo. Lorenza Santangelo ist die Ehefrau des verstorbenen Mafiabosses von Castelvetrano, Francesco „Don Ciccio“ Messina Denaro. „Don Ciccio“ war enger Verbündeter der Corleonesi Totò Riina und Bernardo Provenzano und stand diesen bei ihrem blutigen Krieg gegen die Cosa Nostra-Familien von Palermo bei.

Nicht zuletzt auch aus Angst, dass seine Tochter benutzt werden könnte, um ihn zu fassen, vermied Matteo Messina Denaro jahrelang jeglichen Kontakt mit seinem Kind. Anderseits litt er aber auch darunter, dass er sie nicht sehen konnte. Lorenza hingegen, die zusammen mit ihrer Mutter bis zu ihrer Volljährigkeit gezwungen war, im Haus der Messina Denaros in Castelvetrano zu leben, wollte von der Cosa Nostra nichts wissen. Gegen den Willen ihres Vaters versuchte sie, aus dieser Welt auszubrechen. Sie lehnte es auch ab, mit ihrem Vater Kontakt aufzunehmen. „Warum will Lorenza mich nicht sehen? Warum ist sie böse auf mich?“, steht im sichergestellten Tagebuch des Bosses, das neben vielen Telefonnummern und Hinweisen auch sehr persönliche Botschaften enthält.

Instagram/Flavia Mantovan/Matteo Messina Denaro

Später im Gefängnis beklagte sich Messina Denaro erneut über seine Tochter Lorenza. Er warf ihr Undankbarkeit vor und erinnerte sie daran, dass er ihr zweimal das Leben verdanke, weil ‘U Siccu mit aller Härte eine mögliche Abtreibung verhindert habe.

„Sie verdankt mir zweimal ihr Leben. Das erste Mal, weil ich sie gezeugt habe und das zweite Mal, weil ihre Großmutter mütterlicherseits alles versucht hat, um ihre Tochter zu einem Schwangerschaftsabbruch zu überreden. Aber ihre Tochter blieb standhaft. Sie tat es auch nicht, weil sie wusste, dass wir sonst ‚zusammengestoßen‘ wären. Wenn sie meine Tochter getötet hätten, wären wir alle ‚zusammengestoßen‘“, so der inhaftierte Mafiaboss. Das war damals keine leere Drohung des „letzten Paten“. In der Tat erwog er, seine „Schwiegermutter“ ermorden zu lassen, verwarf diesen Plan aber wieder.

ANSA/CARABINIERI

Nach seiner Festnahme wollte Lorenza Alagna ihn im Gefängnis besuchen, aber der Mafiaboss willigte in den ersten Wochen nicht ein, seine Tochter zu empfangen. Da sie von Matteo Messina Denaro nie offiziell als seine Tochter anerkannt worden war, lehnten auch die Justizbehörden Lorenzas Besuchsantrag ab. ‘U Siccu blieb zunächst hart. „Seit 26 Jahren warte ich darauf, sie zu sehen und mit ihr zu sprechen, und jetzt, wo ich fast tot bin, kommt sie?“, so der enttäuschte Capo.

Aber Lorenza Alagna ließ nicht locker. Der erste Besuch am 26. April verlief noch eisig und endete im Streit, aber spätestens als Lorenza Alagna ihren kleinen Sohn Nicola in das Hochsicherheitsgefängnis mitnahm und Matteo Messina Denaro sein Enkelkind sah, brach das Eis. Er stimmte zu, Lorenza als seine Tochter offiziell anzuerkennen, und gestattete ihr, seinen Namen anzunehmen. Von seinem Krebsleiden bereits schwer gezeichnet und dem Tode nahe, unterschrieb er am 7. August vor einem Beamten die notwendigen Dokumente.

Aus Lorenza Alagna wurde Lorenza Messina Denaro. Über die Gründe für diesen radikalen Sinneswandel kann nur spekuliert werden, aber neben dem alten Grundsatz, dass „Blut dicker als Wasser“ sei, dürfte auch das Erbe von ‘U Siccu eine Rolle spielen.

Der bekannte Experte des Organisierten Verbrechens, Roberto Saviano, hegt keinen Zweifel. Seiner Ansicht nach gehe es Lorenza vor allem darum, am Erbe des unermesslichen Vermögens ihres Vaters teilzuhaben. Nur als Messina Denaro, so Saviano, könne Lorenza nach den eisernen Regeln der Cosa Nostra den „letzten Paten“ beerben. Auch wenn es den Carabinieri der Sondereinheit Ros im Laufe der letzten Jahrzehnte gelang, Vermögenswerte im Wert von vier Milliarden Euro – die Hälfte des Jahreshaushalts des Landes Südtirol – zu beschlagnahmen, schätzt der anerkannte Experte des Organisierten Verbrechens, dass das Vermögen, das über Strohmänner ‘U Siccu zugeordnet werden kann, dennoch noch immer immens ist.

Der Capo hatte auch einen Grund, Lorenza als seine Tochter anzuerkennen. In den Augen der Cosa Nostra ist es wichtig, dass ein Capo vor seinem Ableben „familiär alles in Ordnung bringt“. Alles andere würde seinem Ansehen und dem seiner Familie schaden und als Makel seiner „Regentschaft“ empfunden.