Von: ka
Palermo – Zwischen der süditalienischen Region Sizilien und der Regierung in Rom ist ein hartes Kräftemessen im Gange.
Nachdem der Präsident der Region Sizilien, Nello Musumeci, vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen eine Verordnung unterzeichnet hatte, die die Räumung aller Asylaufnahmezentren der Insel und die Überführung der Flüchtlinge auf das Festland vorsieht, erklärte das römische Innenministerium, dass die Region für Migrationsfragen gar nicht zuständig sei. Nello Musomeci gibt sich aber nicht geschlagen und kündigte Kontrollen in den Flüchtlingslagern sowie eine Eingabe bei der Staatsanwaltschaft an. „Sizilien, Kalabrien und Apulien sind nicht Europas Flüchtlingslager“, so Nello Musumeci.
Der Präsident der Region Sizilien, Nello Musumeci, hat genug. „Die Anzahl der Anlandungen in Sizilien ist enorm gestiegen. Allein im heurigen Juli sind 7.067 Migranten angekommen. Bis Mitte August sind rund weitere 3.000 hinzugekommen. Im ganzen August des letzten Jahres waren es insgesamt nur 1.268 und im Juli gar nur 1.088 gewesen“, so der sichtlich erzürnte Präsident der Region Sizilien.
Die erneute Flüchtlingswelle, die aufgrund der Covid-19-Notlage bisher nicht so sehr im Blickfeld der Öffentlichkeit stand, führte schnell zur Überbelegung der Asylaufnahmezentren der Insel. Dies brachte mit sich, dass in Zentren, die ursprünglich eigentlich nur für wenige Dutzend Migranten vorgesehen waren, heute Hunderte von Flüchtlingen Platz finden müssen. Die Coronapandemie verschärft die Lage zusehends. Da es auf den Flüchtlingsbooten und in den überfüllten Asylaufnahmezentren unmöglich ist, die Corona-Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten, haben die Gesundheitsbehörden mit steigenden Zahlen von Neuinfektionen zu kämpfen. Am Montag teilte Musumeci mit, dass auf Lampedusa für 58 Flüchtlinge eine Ansteckung mit dem Coronavirus bestätigt wurde.
Nello Musumeci, der sich von der römischen Regierung alleingelassen fühlt, griff in dieser Situation zu einer drastischen Maßnahme. Er unterzeichnete eine Verordnung, die die Räumung aller Asylaufnahmezentren der Insel und die Überführung der Flüchtlinge auf das Festland vorsieht. „Innerhalb von 24.00 Uhr des nächsten Tages müssen alle Migranten, die in den Aufnahmezentren von Sizilien untergebracht sind, in Einrichtungen außerhalb der Insel überführt werden“, so ein Auszug aus der Verordnung des Präsidenten der Region.
Die Nachricht schlug in der italienischen Öffentlichkeit ein wie eine Bombe. Während viele Politiker der Opposition, aber auch einige der Regierung Nello Musumeci ihre Solidarität ausdrückten, stieß die Verfügung andernorts auf heftige Ablehnung. Am größten war diese im Innenministerium, das erklärte, dass der Präsident der Region Sizilien für Migrationsfragen keine Zuständigkeit besitze und die Asylzentren nicht allein schließen könne.
Aber Sizilien bleibt hart. Am Montag gab Nello Musumeci zwar zu, dass er in dieser Frage keine direkte Handhabe besitze – „Ich kann der Polizei keine Befehle erteilen.“ – teilte aber im gleichen Atemzug mit, dass er in jedem Fall handeln werde. „Wir werden bis Mitternacht warten. Sollten die angesprochenen Behörden nicht handeln, bleibt uns nur mehr der Ausweg, uns an die Gerichtsbarkeit zu wenden und eine Unterlassungsklage anzustreben. Sollte die Regierung die Verfügung anfechten, werden wir vor dem Richter unsere Beweggründe zur Geltung bringen. Wenn sie uns entgegenkommt, kann sie uns für die Überführung der Migranten um ein paar Tage Zeit bitten und dann die Siegel anbringen. Wenn sie das nicht tun wird, werden wir es tun“, so ein kämpferischer Nello Musumeci. Der Präsident der Region Sizilien fügte hinzu, dass er für das Wohl der Sizilianer und der auf Sizilien gastierenden Touristen verantwortlich sei und dementsprechend handeln werde.
Der Präsident der Region Sizilien erinnerte die Regierung auch daran, dass die Gesundheitsfürsorge in seinem Zuständigkeitsbereich liege. Nello Musumeci wies die Gesundheitsbehörden der autonomen Region Sizilien an, in allen Asylaufnahmezentren Gesundheitskontrollen durchzuführen und – für Rom besonders heikel – die Einhaltung der vom Gesundheitsministerium für Asylzentren vorgesehenen hygienisch-gesundheitlichen Anforderungen zu überwachen. Rom ahnt sehr wohl, dass aufgrund der Überfüllung der Flüchtlingszentren nicht alle Standards eingehalten werden können.
Das Katz und Maus Spiel zwischen Sizilien und Rom beherrscht inzwischen die Titelseiten der italienischen Medien. Auch wenn Nello Musumeci mit seiner Verordnung scheitern dürfte, so dürften die angekündigten Kontrollen den Druck auf Rom, sich im Sinne Siziliens des Flüchtlingsproblems anzunehmen, weiter erhöhen. Beobachter meinen, dass angesichts der gegenüber dem Vorjahr festgestellten massiven Erhöhung der Flüchtlingszahlen das Migrationsproblem bald wieder in den Mittelpunkt der europäischen Politik rücken werde. Dies dürfte auch das Ziel von Nello Musumeci, der in dieser Frage den Großteil der Sizilianer – für die römische Regierung pikanterweise auch die der Demokratischen Partei angehörigen Bürgermeister mehrerer sizilianischer Städte – hinter sich weis.
„Sizilien, Kalabrien und Apulien sind nicht Europas Flüchtlingslager“, so Nello Musumeci. Die süditalienischen Regionen, die nicht wollen, dass das Flüchtlingsproblem allein bei ihnen abgeladen wird, fordern eine europäische Lösung.
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