Nach der Festnahme des Primars weitere sechs Personen verhaftet – VIDEO

„Skandalabteilung“: Material entwendet und Krankenpfleger vergiftet

Dienstag, 10. Oktober 2023 | 08:16 Uhr

Von: ka

Bari – Das Tumorinstitut „Giovanni Paolo II“ in Bari wird von einer Serie von Skandalen erschüttert. Nachdem der Leiter der Abteilung für medizinische Onkologie, Vito Lo Russo, im Juli festgenommen worden war, wurden nun gegen sechs weitere Personen – darunter Krankenpfleger und anderes Krankenhauspersonal – Ermittlungen eingeleitet.

Während Vito Lo Russo von der Staatsanwaltschaft verdächtigt wird, dass er von seinen Patienten für eigentlich kostenlose Behandlungen Geld angenommen habe, werden die Krankenpfleger beschuldigt, Medikamente und Geräte aus dem Institut entwendet zu haben, um sich mit „schwarz“ gezahlten illegalen Visiten auf Kosten des Gesundheitsbetriebs zu bereichern. Das ist aber noch nicht die schwerste Anschuldigung. Der ehemalige Pflegekoordinator der Abteilung, der seit einer Vergiftung aufgrund einer bleibenden Invalidität arbeitsunfähig ist, soll aufgrund seines „Verrats“ Opfer eines Mordanschlags geworden sein.

Als die Ermittler nach der Anzeige der Familie eines inzwischen verstorbenen Patienten, dem für eigentlich vom italienischen Gesundheitswesen kostenlos zur Verfügung gestellte Medikamente und Behandlungen innerhalb eines Jahres Tausende Euro abgenommen worden waren, das Tumorinstitut „Giovanni Paolo II“ in Bari genauer unter die Lupe nahmen, deckten sie unglaubliche Zustände auf.

Viele Krankenpfleger und andere Angestellte des Instituts fanden offenbar nichts dabei, die ihnen anvertrauten Krebspatienten zu bestehlen und aus der Abteilung teure Medikamente und Geräte zu entwenden. Die gestohlenen Gerätschaften und Arzneien dienten den kriminellen Krankenhausangestellten dazu, in Dienst- und Privatwohnungen „schwarz“ gezahlte illegale Visiten durchzuführen, was es den Tätern ermöglichte, sich ein nicht unerhebliches „Nebeneinkommen“ zu sichern.

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Wie aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hervorgeht, soll diese kriminelle Praxis unter den Angestellten weit verbreitet gewesen sein. Wer unter den ehrlichen Krankenpflegern diese kriminellen Handlungen anprangerte, wurde von seinen „Kollegen“ auf fast mafiöse Art und Weise bedroht und eingeschüchtert. Dass das keine leeren Drohungen waren, zeigt das Schicksal des ehemaligen Pflegekoordinators der Abteilung, der seit einer Vergiftung aufgrund einer bleibenden Invalidität arbeitsunfähig ist.

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Die Ermittlungen gegen die Krankenpfleger kamen ins Rollen, nachdem im Jahr 2020 eine Krankenpflegerin beim Versuch ertappt worden war, einem Krebspatienten 250 Euro aus seiner Geldbörse zu rauben. Von den Ermittlern verhört, beschloss die Krankenpflegerin auszupacken und die Carabinieri auf das „merkwürdige Verschwinden“ von Medikamenten und Gerätschaften in ihrer Abteilung aufmerksam zu machen.

Die inzwischen suspendierte Krankenpflegerin berichtete den Ermittlern, dass sie, nachdem sie sich bei ihren Kollegen über das Verschwinden von Medikamenten und Material aus der Abteilung beklagt habe, von diesen massiv bedroht worden sei. „Wir wissen, wo du wohnst, wer dein Lebensgefährte ist und dass du genauso eine Verräterin bist wie deine Schwägerin. Wir kennen deine Mutter, die seit vielen Jahren hier arbeitet. Sei vorsichtig, denn es kostet uns nichts, ihr Schaden zuzufügen!“, so die unmissverständliche Drohung. Einige Tage später hatte die Frau in ihrem Briefkasten von Unbekannten geschossene Fotos ihres Lebensgefährten und seiner Neffen gefunden.

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Wie der zuständige Staatsanwalt Ignazio Abbadessa schreibt, spiegelt sich dieses „einschüchternde Klima“, das in der Abteilung herrschte, auch in einem anderen Vorfall wider. Den Ermittlungen zufolge kamen im Juni 2019 während einer Pause einige Krankenpfleger auf den ehemaligen Pflegekoordinator der Onkologie zu sprechen, zu dem offenbar alle den Kontakt verloren hatten. „Aber was ist mit ihm passiert?“, fragte eine Krankenpflegerin ihre Kollegen. „Er ist so geendet wie alle enden, die Verräter sind!“, erhielt sie als unmissverständliche Antwort.

In der Tat hatte der ehemalige Koordinator, der als aufrichtig und ehrlich bekannt gewesen war, im November 2017 in der Küche der Abteilung einen warmen Tee getrunken, woraufhin er von unerträglichen Schmerzen befallen worden war. Nach seiner Einlieferung in ein spezielles Zentrum für Vergiftungspatienten in Foggia hatten die Ärzte bei ihm ein akutes Nierenversagen, einen Atemstillstand, eine Hirnblutung und eine halbseitige Lähmung festgestellt. Die genauen Umstände der Vergiftung konnten zwar nie genau geklärt werden, aber Vermutungen zufolge hatte ein Unbekannter den Tee mit einem Frostschutzmittel versetzt. Der ehemalige Pflegekoordinator ist seit seiner Vergiftung aufgrund einer bleibenden Invalidität arbeitsunfähig. Er wohnt bei seiner Schwester und bedarf ständiger Pflege.

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Zu den Verdächtigen gehört auch der Krankenpfleger Onofrio Costanzo. Der Mann, der sich seit dem Jahr 2020 wegen Hehlerei im Hausarrest befindet, aber bis zu seiner erneuten Festnahme eine Arbeitserlaubnis besaß, wurde von den Justizbehörden bei einer Kontrolle im Beisein mit Kriminellen erwischt. Auffällig war vor allem, dass Onofrio Costanzo trotz seines geringen Gehalts von nur rund 18.000 im Jahr zeitweise ein Motorrad und drei Autos besaß. Seine Ehefrau, die arbeitslos ist, nennt ebenfalls zwei Fahrzeuge ihr Eigen. „Trotz der vielen Kontrollen kommt Costanzo nicht von seinen kriminellen Tätigkeiten los“, so das Fazit des Staatsanwalts.

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Das ist aber noch nicht alles. Nach der Eröffnung des Verfahrens gegen die Krankenpflegerin wegen der gestohlenen 250 Euro habe der Leiter der medizinischen Onkologie, Vito Lo Russo, sie in sein Studio gebeten und sie dazu aufgefordert, die Schuld für den Diebstahl auf sich zu nehmen. Für diesen „Dienst“, dessen offensichtliches Ziel es gewesen sei, den Primar und den Rest der Abteilung aus dem Blickfeld der Ermittlungen zu nehmen, habe Lo Russo der Diebin angeboten, ihr den Rechtsanwalt zu bezahlen und sie später zur Pflegekoordinatorin zu befördern.

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„Die medizinische Onkologie ist die härteste und arbeitsintensivste Abteilung von allen. Allerdings hat niemand jemals um Versetzung angesucht oder darum gebeten, von dort wegzugehen. Vielleicht beginnen wir erst jetzt zu verstehen, warum“, so eine Quelle gegenüber dem Corriere del Mezzogiorno. Die „gute Aussicht“, auf Kosten der Patienten und des öffentlichen Gesundheitswesens in die eigene Tasche wirtschaften zu können, hielt alle in der Abteilung. Ob die Verdächtigen, gegen die bisher „nur“ wegen Amtsunterschlagung ermittelt wird, demnächst auch der Mordversuch angelastet werden wird, bleibt noch offen.