Von: ka
Pozzuoli/Neapel – Die Menschen, die in der Umgebung der Phlegräischen Felder wohnen, sind es seit ihrer Kindheit gewohnt, dass immer wieder die Erde bebt, aber da die seit Monaten anhaltenden Beben immer stärker werden und in immer kürzeren Abständen aufeinanderfolgen, herrscht in Pozzuoli und den umliegenden Gemeinden, die allesamt auf oder am Rande des aktiven Supervulkans sitzen, helle Panik.
Nicht wenige der etwas mehr als 81.000 Einwohner zählenden Stadt überlegen sich nach den beiden am Montag, dem 20. Mai, erfolgten Beben – das stärkere der beiden, das um 20.10 Uhr stattfand, erreichte eine Stärke von 4,4 – zumindest nachts ihre Häuser zu verlassen. Sie schlafen entweder in einer großen Turnhalle, die mit Notbetten notdürftig ausgestattet wurde, oder sie ziehen in die an der Strandpromenade vom italienischen Zivilschutz errichteten Zeltstadt um. Rund ein Dutzend Familien sind bereits in den Zelten untergebracht. Einige, die zur Miete wohnen, kündigten sogar ihre Verträge und verließen die schöne Kleinstadt am Meer.
Da es nach den beiden starken Beben etwas ruhiger zu sein scheint, möchte die übergroße Mehrheit – zumindest noch zu diesem Zeitpunkt – ihre Wohnungen nicht verlassen. Um jederzeit dazu bereit zu sein, rechtzeitig aus den Häusern zu kommen, sind aber auch sie gezwungen, ihr gewohntes Leben gehörig umzukrempeln. „Wir liegen angekleidet im Bett und halten immer einen Trolley mit Wechselwäsche und anderen persönlichen Gegenständen bereit. Sobald die Erde bebt, rennen wir raus. Wir wollen unsere Wohnungen nicht verlassen, aber so leben zu müssen ist kein echtes Leben mehr”, klagt eine Einwohnerin von Pozzuoli ihr Leid.
Hintergrund ist nicht „nur“, dass die Menschen nach den seit Monaten anhaltenden Beben, die tendenziell immer stärker werden und in immer kürzeren Abständen aufeinanderfolgen, mit ihren Nerven am Ende sind, sondern auch, dass sie der Standfestigkeit ihrer Häuser nicht sonderlich vertrauen. Zudem verläuft die Kontrolltätigkeit sehr träge. Obwohl nach den beiden stärkeren Beben vor drei Tagen bei den Behörden fast 500 Meldungen über vermutete Schäden an Häusern eingegangen waren, wurden bis zum Mittwoch erst 19 Gebäude untersucht.
Solange viele Wohnungsinhaber nicht wissen, ob ihr Haus noch standhält oder ob durch die Beben die Festigkeit des Gebäudes in Mitleidenschaft gezogen wurde, ziehen es einige Einwohner vor, zumindest die Nacht an einem sicheren Ort zu verbringen. Zu diesen gehören unter anderem auch Mütter mit ihren Kleinkindern, aber auch viele ältere Leute. Sie entschieden, im Auto oder auf einem der Notbetten in der Turnhalle zu schlafen.
Einige, die zur Miete wohnen, kündigten sogar ihre Verträge und zogen ganz von der schönen Kleinstadt am Meer weg. Andere hingegen, die in einem der vom Erdbeben in Mitleidenschaft gezogenen, aber noch nicht untersuchten Gebäude wohnen, zogen in ein Hotelzimmer um, was aber dazu führte, dass in der ganzen Umgebung der Phlegräischen Felder die Zimmerpreise stiegen.
Der italienische Zivilschutz und die Wehrleute der Feuerwehren werden für ihren Einsatz zwar sehr gelobt, aber es hagelt auch Kritik. Viele Betroffene bemängeln, dass die Behörden telefonisch schwer erreichbar seien, aber das technische Büro der Gemeinde, die Gemeindepolizei, der Zivilschutz und die Feuerwehr sehen sich außerstande, alle bei ihnen eingehenden Anfragen zeitnah zu bewältigen. Allerdings verlangen insbesondere die vielen Anfragen, ob die eigene Wohnung noch bewohnbar sei, nach schnellen Antworten.
Ein Ratsmitglied des Stadtgemeinderats von Pozzuoli, das zwar keine Panik verbreiten möchte, aber angesichts der Größe des Problems über die Unzulänglichkeiten nicht hinwegsehen kann, fordert hinter vorgehaltener Hand den Einsatz der Armee. Um die Risse der Häuser zeitgerecht fachlich begutachten und bewerten zu können, braucht es zumindest viel mehr Bauinspektoren.
Zudem fragen sich die Bürger der Kleinstadt am Meer, was in den letzten Monaten von der Regierung in Rom, der Region Kampanien und den Lokalbehörden unternommen wurde. Ein Stadtpolizist gab freimütig zu, dass die Evakuierungstests nicht die ganze Stadt betroffen hatten und mit einer gewissen Lässigkeit durchgeführt worden waren. Erstaunlicherweise fehlt auch eine App oder ein alternatives Warnsystem, das im Falle eines schweren Bebens alle Einwohner gleichzeitig über die bevorstehende Evakuierung informiert.
Aber die Bürger von Pozzuoli sind findig. Über soziale Netzwerke wie Whatsapp halten sie einander auf dem Laufenden. Einige Stadträte sowie der örtliche Geologe Carlo Migliore informieren über ihre Seiten in den sozialen Netzwerken viele Menschen, die in Pozzuoli und in der Umgebung der Phlegräischen Felder leben, über das, was gerade geschieht, aber es ist sicherlich nicht ihre Aufgabe, mehr als 81.000 Menschen zu führen.
#bradisismo e #terremoto tra qualche ora uscirà il bollettino settimanale di monitoraggio dell'ingv ma non aspettiamoci…
Posted by Carlo Migliore on Tuesday, May 21, 2024
Pozzuoli lebt, aber über der Kleinstadt am Meer liegt ein dunkler Schatten. Nach dem beginnenden Wegzug leidet auch die Wirtschaft. Infolge der internationalen Berichterstattung zieht es auch immer weniger Touristen in die Stadt. Der brodelnde Lago d’Averno steht sinnbildlich für eine Stadt, in der die Nerven der Menschen blank liegen.
Die ständigen Erdstöße, die vulkanische Aktivität sowie der für die Phlegräischen Felder typische Bradyseismos – dabei handelt es sich um sehr langsame Erdbeben, wobei sich ein Teil der Erdoberfläche hebt und senkt – sind für die Bewohner eine schwere Belastung, die auf die Betroffenen verheerende Auswirkungen hat und sich negativ auf deren psychische Gesundheit auswirkt.
Die Einwohner, die über Einschlafprobleme, Reizbarkeit, ständige Kopfschmerzen sowie über Panik- und Angstattacken klagen, nennen dieses Leiden das „Syndrom der Phlegräischen Felder“. Die Beschwerden sind dermaßen stark, dass sich in ihrer Verzweiflung immer mehr Menschen an Psychologen wenden. Viele halten dieser Belastung nicht mehr länger stand. Sie ziehen weg, bevor es zu spät ist. Von Panik möchte keiner sprechen, aber die gewohnte Gelassenheit der Süditaliener ist längst verschwunden.