Von: ka
Rom/Casal Palocco – Fast zwei Wochen nach dem schrecklichen Unfall, der dem fünfjährigen Manuel das Leben kostete und bei dem seine dreijährige Schwester und die 35-jährige Mutter verletzt wurden, zeichnet sich immer deutlicher ab, dass dem Lenker des Lamborghini Urus, Matteo Di Pietro, eine sehr schwere Schuld trifft.
Obwohl im Unfallbereich eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 Kilometern pro Stunde gilt, war der PS-starke Suv nicht nur mit rund 124 Kilometern pro Stunde unterwegs, sondern prallte auch ungebremst auf den Smart auf, wobei der Kleinwagen nicht weniger als 21,5 Meter mitgeschleift wurde. Diese neuen Erkenntnisse sowie einige Zeugenaussagen belasten den 20-jährigen Matteo Di Pietro, der wegen Mordes im Straßenverkehr in Hausarrest sitzt, schwer.
Zwei Wochen nach dem Unfall ermöglichen es die Gerichtspapiere, den Unfallhergang anhand von Zeugenaussagen und technischen Untersuchungen zu rekonstruieren. Laut den letzten Erkenntnissen der Ermittler raste am 14. Juni um 15.45 Uhr ein Lamborghini Urus, der für die Summe von 3.500 Euro für eine YouTube-Challenge für drei Tage angemietet worden war, mit einer Geschwindigkeit von 124 Kilometer pro Stunde im römischen Viertel Casal Palocco auf eine Straßenkreuzung zu. Dort kam es zum Zusammenprall mit einem Kleinwagen des Typs Smart Forfour, der nach links abbiegen wollte. Laut einer Zeugin, die zum Unfallzeitpunkt als Beifahrerin in einem Mercedes saß, war der Zusammenstoß dermaßen heftig und ungleich, dass „der weiße Smart Forfour vom Lamborghini bis auf den Bürgersteig mitgeschleift wurde“.
Der Smart wurde durch den Unfall fast völlig zerstört. Arbeiter, die in der Nähe beschäftigt waren, und einige Anwohner schlugen die Heckscheibe des Smart ein, um zuerst vorsichtig das kleine Mädchen, dann den fünfjährigen Buben und zuletzt ihre Mutter aus dem Wrack zu ziehen. Der fünfjährige Manuel, der im Smart genau auf jener Seite saß, in die der Lamborghini Urus krachte, hatte aber kaum eine Chance, den Zusammenprall zu überleben. Der kleine Bub konnte vom Notarztteam zwar noch wiederbelebt werden, erlag aber gegen 16.50 Uhr nach dem Eintreffen im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen.
Neben dem Lenker, Matteo Di Pietro, befanden sich im Lamborghini Alessio Ciaffaroni, Gaia Nota, Simone Dutto und Vito Ramon Lo Iacono. Außer Gaia Nota nahmen alle an den Social Media-Aktivitäten des YouTube-Kanals „The Borderline“ teil. Kurz zusammengefasst ist der YouTube-Kanal ein Unternehmen, das Inhalte für soziale Medien produziert und auf diese Weise Gelder von Sponsoren sammelt, wobei die Teilnehmer von „The Borderline“ in den Videos jeweils als Mitarbeiter und Schauspieler fungieren.
Wie die Voruntersuchungsrichterin Angela Gerardi in ihrem Beschluss schreibt, handelte es sich beim Video für die YouTube-Challenge um „eine Reihe von Szenen, die so aufgenommen und dann bearbeitet wurden, um für den gesamten Zeitraum der Challenge einen ständigen Verbleib im Lamborghini zu simulieren“. Die Videos reichten jedoch aus, um ein nicht allzu anspruchsvolles Publikum anzusprechen.
Ermittlungsergebnissen zufolge waren mehrere Insassen des Lamborghini Urus zum Zeitpunkt des Unfalls damit beschäftigt, untereinander Videogespräche aufzunehmen, wobei sie den Lenker aber nicht miteinbezogen. Insgesamt verbrachten an Bord des SUV alle ihre Zeit damit, Inhalte für die sozialen Medien aufzuzeichnen.
Bis zum Unfall lebten die jungen Leute in ihrer heilen YouTube-Welt. Dann kam es zum Aufprall. Gaia Nota sagte später aus, dass sie einen nach links abbiegenden Smart gesehen und die Augen geschlossen habe. Laut ihrer Aussage habe der Smart nicht seinen Blinker gesetzt. Der Lenker eines Linienbusses und andere Zeugen widersprachen dieser Aussage. Der Smart soll den linken Blinker betätigt und vorschriftsmäßig das Abbiegemanöver eingeleitet haben. Allerdings, so der Busfahrer, habe die Lenkerin vielleicht den nicht den auf die Kreuzung zurasenden Lamborghini bemerkt. In jedem Fall war der Urus viel zu schnell. Er war laut Auswertung der GPS-Daten mit 124 Kilometern pro Stunde unterwegs. Ausschlaggebend scheint die Aussage von Lo Iacono zu sein, der sich zu Matteo Di Pietro hingewendet und ihn gebeten habe, langsamer zu fahren.
Den Unfallerhebungen zufolge bremste keines der beiden Fahrzeuge. Durch die Wucht des Aufpralls wurde der Smart vom Lamborghini 21,7 Meter mitgeschleift. Für Matteo Di Pietro, der zudem positiv auf Cannabis getestet wurde, kommt es knüppeldick. Obwohl Matteo Di Pietro als 20-jähriger Führerscheinneuling zu größter Vorsicht verpflichtet gewesen wäre, habe der Verdächtige absolute Unkenntnis über die Notwendigkeit der Einhaltung der Verkehrsregeln – insbesondere der Geschwindigkeitsbegrenzungen – gezeigt, so die Voruntersuchungsrichterin. Matteo Di Pietro wird sich vor Gericht wegen Mordes im Straßenverkehr verantworten müssen.
„Ich bin am Boden zerstört. Ich würde alles geben, um das Geschehene ungeschehen machen zu lassen“, so der inzwischen verzweifelte 20-Jährige. Dafür ist es nun leider zu spät. Am Boden zerstört sind vor allem die Eltern des fünfjährigen Manuel. In Erinnerung an den kleinen Buben organisierten Freunde und Bekannte einen Gedenkmarsch.