Saman Abbas(18) hatte sich gegen Zwangsheirat gewehrt – VIDEO

Todesdrohungen und eine Falle: Widerliche Details eines Femizids

Freitag, 18. Juni 2021 | 08:00 Uhr

Von: ka

Novellara – Die Ermittlungen zum Fall der 18-jährigen Saman Abbas förderten weitere hässliche Details ans Tageslicht.

Um die junge Frau auf die aus seiner Sicht „richtige Bahn“ zu lenken, hatte der Vater der 18-Jährigen, die mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit von der eigenen Familie ermordet worden war, dem unerwünschten Freund seiner Tochter sowie dessen Familie mit dem Tod gedroht. Schier unglaublich ist hingegen die SMS-Nachricht, die Saman von ihrer eigenen Mutter erhalten hatte. Erst die flehenden Worte und das Versprechen, den Wünschen der jungen Frau nachzukommen, hätten es ermöglicht, den hinterhältigen Mord in die Tat umzusetzen.

ANSA/Saman Abbas

Die letzten, von den Untersuchungen zum Tathergang ans Tageslicht gebrachten Details lösten selbst bei langgedienten und hart gesottenen Ermittlern tiefes Entsetzen aus. Die seit mehr als eineinhalb Monaten verschwundene Saman Abbas war mit höchster Wahrscheinlichkeit von ihrem Onkel stranguliert worden.

Die 18-jährige, ursprünglich aus Pakistan stammende Frau hatte sich geweigert, wie von ihrer Familie bestimmt einen in Pakistan wohnhaften Cousin zu heiraten. Saman Abbas war deshalb aus der elterlichen Wohnung ausgezogen und hatte ihre Eltern bei den Carabinieri angezeigt. Um einem selbstbestimmten Leben weitab von den sozialen und religiösen Vorstellungen ihrer Angehörigen näherzukommen, hatte Saman in einer geschützten Gemeinschaft Unterschlupf gesucht. Ein weiterer Grund war, dass Saman einem von ihrer Familie abgelehnten jungen Mann – es handelt sich bei ihm um einen 21-jährigen Pakistaner – zugeneigt war.

Allerdings waren die Eltern des 21-Jährigen bald zur Zielscheibe der Angehörigen von Saman Abbas geworden. Zusammen mit sechs weiteren Verwandten hatte der Vater der 18-Jährigen den Wohnort des jungen Pakistaners aufgesucht und seinen in Pakistan lebenden Eltern mit dem Tod gedroht. „Wenn euer Sohn Saman nicht verlässt, werden wir die ganze Familie ausrotten“, so die unmissverständliche Drohung. Aus diesem Grund hatte der junge Mann am vergangenen 9. Februar gegen die Eltern seiner Freundin bei den Carabinieri Anzeige erstattet.

Der ständige Streit mit den Eltern und die Tatsache, dass auch die Familie ihres Freundes bedroht worden war, hatten die Beziehung des Liebespaars sehr belastet. „Warum hat Gott entschieden, dass mein Leben so schwer sein muss? Ich weiß nicht, was ich tun soll, mein Kopf platzt“, so Saman in einer für ihren Freund bestimmten Nachricht. „Du weißt, wie gefährlich es hier für dich ist. Geliebte Saman, geh jetzt zu den Carabinieri“, hatte ihr ihr Freund geantwortet. „Ja, das habe ich mir auch gedacht“, hatte die 18-Jährige kurz vor ihrem Verschwinden erwidert.

Schier unglaublich ist hingegen die SMS-Nachricht, die Saman von ihrer eigenen Mutter erhalten hatte. „Bitte lass von dir hören. Wir liegen im Sterben. Komm nach Hause. Wir werden das tun, was du uns sagst“, so die Textnachricht, die die Mutter von Saman Abbas, Nazia Shaheen, der eigenen Tochter geschrieben hatte. Den Ermittlern der Staatsanwaltschaft und der Carabinieri zufolge hätte die Nachricht mit den flehenden Worten und dem Versprechen, den Wünschen der jungen Frau nachzukommen, dazu gedient, die junge Frau aus der geschützten Gemeinschaft heraus und wieder nach Hause zu locken. Anstatt Verständnis und Entgegenkommen hätte den Ermittlern zufolge im Elternhaus von Saman Abbas auf die junge Frau nur ein eiskalt geplanter und hinterhältiger Mord gewartet.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war Saman Abbas in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Die Tatsache, dass die Flugtickets nach Pakistan bereits am 26. April erworben worden waren, erhärtet den Verdacht, dass die Bluttat von langer Hand geplant worden war. Über den gewaltsamen Tod der jungen Frau bestehen kaum mehr Zweifel. Auf Videoaufnahmen, die von einer Überwachungskamera des Bauernhofs stammen, sind am Abend des 29. April drei Personen – vermutlich der Onkel und die beiden Cousins des Opfers – zu sehen, die sich mit einer Schaufel und anderen Geräten in der Hand in Richtung der Felder aufmachen. Auf den landwirtschaftlichen Flächen des Bauernhofs sowie in den angrenzenden Gräben wird seit vielen Tagen nach der Leiche der jungen Frau gesucht. Dabei kommen auch Spürhunde und Magnetsonden zum Einsatz.

ANSA /ELISABETTA BARACCHI

Von den Tatverdächtigen konnte bisher nur ein Cousin des Opfers, Ikram Ijaz, gefasst werden. Der in Frankreich verhaftete junge Mann wurde an Italien ausgeliefert. Ikram Ijaz, der derzeit im Gefängnis von Reggio Emilia in Untersuchungshaft einsitzt, konnte – oder wollte – bisher keine zweckdienlichen Hinweise zum Tathergang und zum Fundort der Leiche liefern. Während die Eltern des Opfers sich in Pakistan aufhalten, wird vermutet, dass sich der eigentliche Vollstrecker der Bluttat, Samans Onkel Danish Hasnain, und ein zweiter Cousin noch in Europa befinden.

Der Fall der 18-jährigen Saman Abbas schockiert die italienische Öffentlichkeit. Viele Italiener fragen sich, warum in einigen Familien die Integration gescheitert ist und warum der Staat außerstande ist, junge Frauen, die sich nur nach einem selbstbestimmten Leben sehen, ausreichend zu schützen. Was kann in Zukunft getan werden, um solche schrecklichen Tragödien zu verhindern?