Viele Familien vor schwieriger Entscheidung

Traurig: Hohe Lebenshaltungskosten lassen Studienträume platzen

Donnerstag, 03. November 2022 | 07:00 Uhr

Von: ka

Rom/Bologna – Die hohen Energiekosten, die die Ersparnisse der italienischen Familien auffressen und die Tatsache, dass die Unterkünfte in den italienischen Universitätsstädten immer teurer werden, führt dazu, dass sich immer weniger junge Italiener für ein Studium entscheiden. Während einige Mütter und Väter für die Finanzierung des Studiums ihrer Kinder auf fast alles andere verzichten, sind manche Eltern aufgrund ihrer prekären Vermögenslage traurigerweise dazu gezwungen, ihren enttäuschten Söhnen und Töchtern mitzuteilen, dass sich ein Studium finanziell nicht mehr ausgeht. Einige Studenten hingegen nehmen sogar zwei Jobs an, um sich ihr Studium finanzieren und sich in den teuren Städten über Wasser halten zu können.

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Es ist sicher kein Zufall, dass nach zwei Jahren Pandemie die Zahl der Studienanfänger um drei Prozent gesunken ist. Die Rückkehr zum Präsenzunterricht und der starke Anstieg der Miet-, Rechnungs- und Transportkosten haben dazu geführt, dass Tausende von jungen Menschen ihr Studium aufgegeben haben. Auffällig ist, dass besonders die Anzahl der Studenten, die einen Studienort fern ihrer Heimat wählen, stark rückläufig ist. Wenig überraschend ist, dass die meisten Studienabbrecher Erstsemester sind. Von denjenigen, die die Universität wechseln, entscheiden sich die allermeisten für einen möglichst wohnortnahen Studienplatz.

Bitter ist für viele Familien, dass sie zu vermögend sind, um für ihre studienwilligen Kinder einen Platz in einem Studentenwohnheim und ein Stipendium ergattern zu können, aber zu arm sind, um auf dem freien Mietmarkt – mit monatlichen Kosten von über 600 Euro – mithalten zu können. Insgesamt sind die vergebenen Stipendien viel zu niedrig und ihre Anzahl ist viel zu gering. Auch die verfügbaren Plätze in den italienischen Studentenwohnheimen sind mit kaum 40.000 völlig unzureichend.

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Laut Versprechungen der Regierung soll ihre Anzahl dank des PNRR, der Teil des Programms Next Generation EU ist, auf 100.000 steigen, aber den Familien, die jetzt entscheiden müssen, ob sie ihren Kindern überhaupt ein Studium finanzieren können, hilft das wenig. Diese Plätze – falls überhaupt – werden erst in einigen Jahren verfügbar sein. Um den hohen Lebenshaltungskosten in den Universitätsstädten zu entgehen, entscheiden sich daher viele Studenten dafür, die ersten drei Jahre bis zum Bachelor-Abschluss zum Studienort zu pendeln und erst für die Fach- oder Master-Ausbildung in eine andere Region oder ins Ausland zu wechseln.

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Hinter den nüchternen Zahlen verbergen sich viele kleine und große Sorgen und Tragödien. Es sind Geschichten von schweren Opfern und schmerzhaftem Verzicht, von Träumen, die an der finanziellen Realität scheitern, aber auch von Drang und dem Wunsch, um jeden Preis das Studium abzuschließen. Meistens handelt es sich um Familien aus der sogenannten Mittelschicht – von Alleinverdienern, aber auch Doppelverdienern – die zwar weit über der Armutsgrenze liegend, aber erdrückt von den immer höheren Lebenshaltungskosten nun vor einem bis vor Kurzem nicht vorstellbaren Scheideweg stehen. Die Frage lautet, ob sie sich das Studium ihrer Kinder noch leisten können oder nicht.

Um ihren Söhnen und Töchtern die Möglichkeit zu geben, an einer fernen Universität – entweder in einer anderen Region oder im Ausland – zu studieren, die ihnen eine bessere Zukunft garantiert, schnallen viele Mütter und Väter den Gürtel enger.

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Einige wie die Sizilianerin Maria beschließen sogar, sich zu verschulden und ein Fünftel ihres Gehalts zu verpfänden. „Sobald die Jüngste ihren Master-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften gemacht hat, hoffe ich, dass sie sofort einen Job finden wird. In die Ausbildung meiner Kinder zu investieren, ist das Letzte, was ich aufgeben würde“, so Maria.

Andere wie Giuseppe hingegen müssen ihrem Kind mitteilen, dass angesichts des teuren Studienortes – in Bologna ist unter 500 Euro kaum mehr ein Platz in einer Wohngemeinschaft zu bekommen – die Familie die Kosten für ein Studium nicht stemmen kann. „Die Stadt Bologna, die einst eine Universitätsstadt par excellence gewesen ist, zählt heute 4.000 Wohnungen, die auf Airbnb angeboten werden. In Bologna bewegen sich die Preise für Plätze in privaten Luxusstudentenwohnheimen zwischen 800 und 1.000 Euro. In der Praxis ist die Möglichkeit für auswärtige Studenten, in Bologna studieren zu können, an Privatpersonen vergeben worden. Sie entscheiden, wer hierbleibt und studieren darf und wer nicht“, seufzt ein Student, der hinzufügt, dass die Wohnungsbesitzer von den Studenten immer höhere Mieten verlangen.

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Im Wissen um die finanziellen Nöte ihrer Eltern nehmen viele junge Leute das harte Leben eines auswärts Studierenden auf sich und passen sich dementsprechend an. Sie schlafen in Notunterkünften, besetzen Häuser und nehmen gleichzeitig zwei Teilzeitjobs an, um sich in der teuren Universitätsstadt über Wasser halten zu können. Zu Letzteren gehört beispielsweise Paola aus Kalabrien, die, um sich ihr Studium leisten zu können, das für ihre Eltern unbezahlbar ist, sowohl als Babysitterin als auch als Kellnerin arbeiten muss.

„Nachmittags arbeite ich als Babysitter. In der Hoffnung, dass das Baby schläft, versuche ich etwas zu lernen. Und abends, vom Donnerstag bis zum Sonntag, kellnere ich in einem Club. Da ich mitten in der Nacht ins Bett gehe, habe ich aber Angst, dass ich mit diesem Rhythmus die Prüfungsfristen verlangsame. Ich kann es mir nicht leisten, mein Stipendium zu verlieren. Ich bin mir aber sicher, dass ich Erfolg haben werde“, erzählt Paola, die unbedingt Dolmetscherin werden möchte.

Die steigenden Lebenshaltungskosten und die Inflation, die die Gehälter der Familien schrumpfen lässt, führen dazu, dass sich Italien vom Ideal, allen intelligenten jungen Leuten unabhängig von der Vermögenslage ihrer Eltern ein Studium zu ermöglichen, immer weiter entfernt.

Da auch die Universitätsstadt Bozen für Studenten ein teures Pflaster ist, dürften neben vielen italienischen Müttern und Vätern auch viele Südtiroler Eltern vor der schwierigen Entscheidung stehen, ob sie sich das Studium ihrer Sprösslinge leisten können oder nicht.