Unmöglich, ermordeter Frau zu gedenken: Bürgermeister tritt zurück

„Über Femizid wird nicht geschwiegen“

Freitag, 25. Mai 2018 | 08:16 Uhr

Von: ka

Tenno – Vor nicht ganz einem Jahr war Tenno, eine kleine Gemeinde im benachbarten Trentino, Schauplatz einer schrecklichen Tragödie. Am 31. Juli 2017 erschoss der 24-jährige Mattia Stanga zuerst seine langjährige Freundin Alba Chiara Baroni und richtete die Waffe dann gegen sich selbst. Das traurige Ende einer „Sandkastenliebe“ – die beiden kannten sich seit Kindesbeinen an und deren Familien sind in Tenno sehr bekannt – erschütterte die kleine Dorfgemeinschaft bis in ihre Grundfesten.

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Aber das war leider nicht alles. Vor wenigen Monaten trat die Familie der Ermordeten an den Bürgermeister von Tenno mit der Bitte heran, für Alba Chiara Baroni einen Gedenkstein mit einer Tafel aufstellen zu dürfen. Der Bürgermeister der Trentiner Gemeinde, Gianluca Frizzi, stand dem Anliegen der Familie sofort sehr positiv gegenüber und fand es gut, auf diese Weise dem Opfer eines Femizids zu gedenken. Aber im Dorf war man über diese Sichtweise geteilter Meinung. Viele Einwohner von Tenno taten sich schwer dabei, anzuerkennen, dass Mattia seine Freundin Alba Chiara ermordet hatte. Sie wollten sich lieber auch den Mörder als Opfer einer Tragödie vorstellen, so als ob das, was geschehen war, nicht ein Verbrechen, sondern ein Unglück gewesen wäre, das beide gemeinsam gleichermaßen getroffen hätte.

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Vergeblich versuchte Bürgermeister Gianluca Frizzi über Monate hinweg, die traumatisierte Dorfgemeinschaft vom Wunsch der Familie Baroni, ihrer ermordeten Tochter einen Gedenkstein zu errichten, zu überzeugen. Am Ende musste aber Gianluca Frizzi einsehen, dass es in seiner Gemeinde zunächst keine Möglichkeit gab, Alba Chiara mit einer Gedenktafel als Opfer eines Femizids anzuerkennen. Enttäuscht und entnervt zog es der erste Bürger von Tenno vor, das Handtuch zu werfen, und trat am Mittwochabend vom Amt des Bürgermeisters zurück.

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Aber Gianluca Frizzi beließ es nicht dabei. In seiner Rücktrittansprache forderte er jeden Gemeinderat auf, sich schriftlich mit einem klaren Ja, einem Nein oder einer Enthaltung zur Initiative, mit der einer von ihrem Freund ermordeten Frau gedacht werden soll, zu äußern. Bevor er seinen Rücktrittsantrag unterschrieb, setzte Frizzi noch als Erster seine Unterschrift unter dem Ja. Zuletzt erklärte der mittlerweile ehemalige Bürgermeister von Tenno noch, dass er sich weder auf die Seite der einen noch auf die der anderen Familie schlagen wolle. Er fügte aber hinzu, dass es in jedem Fall sein Wunsch sei, auf der Seite von Alba Chiara zu stehen. „Über Femizid wird nicht geschwiegen“, so Gianluca Frizzi in einer letzten Stellungnahme.

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Und was meinen unsere Leserinnen und Leser? Soll Alba Chiara auf Wunsch ihrer Familie hin mit einem Denkmal als Opfer eines Femizids anerkannt werden oder nicht?