Die Tragödie der Eltern von Filippo Turetta – VIDEO

Unfassbare Verzweiflung: “Wir sind keine patriarchalische Familie”

Donnerstag, 23. November 2023 | 07:00 Uhr

Von: ka

Vigonovo – Die Erkenntnis, dass der eigene Sohn ein abscheuliches Verbrechen begangen hat, ist für die Familie von Filippo Turetta eine Tragödie, die nur schwer zu ertragen ist.

„Ich kann nur um Vergebung bitten. Er wird für das, was er getan hat, bezahlen, aber wir sind immer noch seine Eltern“, so der Vater von Filippo, Nicola Turetta. Nicola und Filippo Turettas Mutter Elisabetta sind verzweifelt. Die Frage, ob sie in den Wochen und Monaten vor der schrecklichen Bluttat bedenklichen Verhaltensweisen ihres Sohnes zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten, lässt sie seit dem Mord an Giulia Cecchettin nicht mehr los.

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Drei Tage nach der Festnahme von Filippo Turetta in Deutschland und kurze Zeit nach einem ersten Treffen mit dem Vater von Giulia Cecchettin gaben die Eltern des Beschuldigten, Nicola und Elisabetta dem Corriere della Sera ein langes Interview. Die bittere Erkenntnis, dass der eigene Sohn der Mörder einer jungen Studentin ist, ist für die Eltern eine Tragödie. Für den Vater und die Mutter von Filippo Turetta ist es aber auch schmerzhaft, dass einige Stimmen in der italienischen Öffentlichkeit ihnen so etwas wie eine Mitverantwortung für die Tat anlasten wollen.

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„Es tut uns weh, wenn wir als unzulängliche Eltern und unsere Familie als Symbol des Patriarchats hingestellt werden. Das sind wir nie gewesen und das haben wir unserem Sohn auch nicht beigebracht. Ganz im Gegenteil, wir haben zu Hause oft über diese Themen gesprochen, vor allem, wenn unsere Söhne an Veranstaltungen der Schule teilgenommen haben“, so Nicola und Elisabetta Turetta gegenüber dem Corriere della Sera.

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Nicola und Elisabetta können sich den Mord nicht erklären. Nicola, der in den ersten Tagen nach dem Verschwinden des Paars den jungen Mann als „perfekten Sohn“ bezeichnete, kann sich nicht erklären, wie Filippo Giulia Cecchettin, die er angeblich liebte, erst entführen und dann umbringen konnte. Seine Eltern bestätigen, dass er nach der Trennung von der 22-Jährigen sehr litt, aber auch den Anschein erweckte, dass er über das Beziehungsaus hinweggekommen sei.

„Er schien in letzter Zeit ruhig zu sein. Sie sahen sich weiterhin und gingen miteinander aus. Sie trafen sich an der Universität, wo sie in derselben Fakultät studierten. Allerdings war er mit den Prüfungen im Rückstand. Sie hingegen sollte in diesen Tagen ihren Abschluss machen und dann die Universität verlassen und sich damit endgültig von ihm entfernen. Und vielleicht war es das, was Filippo nicht ertragen konnte. Er war unfähig, die endgültige Trennung von dieser jungen Frau und damit das Ende dieser Beziehung zu akzeptieren“, fährt Nicola Turetta fort.

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„Sie sagen mir, ich hätte mir Sorgen machen sollen, als Filippo vor dem Schlafengehen seinen Teddybären umarmt und dabei an Giulia gedacht hat. Ich habe dem wirklich keine Bedeutung beigemessen. Hätte ich das tun sollen?“, fragt sich Turettas Vater heute. Im Nachhinein betrachtet, gab es wahrscheinlich viele Alarmglocken, die schrillten, aber nicht gehört wurden. Weil man aber keine Vorstellung davon haben konnte, dass sein eigenes Kind ein grausiges Verbrechen begehen könnte, wurden verdächtige Anzeichen entweder nicht wahrgenommen oder ihnen nicht ihre wahre Bedeutung gegeben.

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Und gerade auch wegen des Bildes, das der Vater seit jeher von Filippo hat, weicht er nun dem Gedanken aus, dass sein Sohn den Mord an Giulia geplant haben könnte: „Vielleicht wollte er sie entführen, damit sie nicht ihre Abschlussprüfung ablegen konnte. Die Lage könnte ihm entglitten sein. Ich kann mir selbst keine Antwort geben“, meint Nicola, der offenbar noch immer an einen „plötzlichen Wutausbruch“ glaubt.

Der Vater, der nicht verpflichtet ist, im Namen seines Sohnes Rede und Antwort zu stehen, kann sich die Bluttat, die seit Tagen ganz Italien erschüttert, nicht erklären. „Es wird von Besessenheit, Machismo und seiner Unfähigkeit zu akzeptieren, dass sie besser war als er, geredet. Nichts davon ist wahr. Ich bin davon überzeugt, dass irgendetwas in seinem Gehirn nicht mehr funktioniert hat“, ringt Nicola Turetta um Worte.

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Nur Filippo Turetta selbst weiß, was in jener Nacht mit Giulia geschah. Was bleibt, ist die erschütternde Verzweiflung zweier Familien. Wenige Stunden nach der Festnahme von Filippo ließ sich sein Vater Nicola zu einer schockierenden Aussage hinreißen. „Ich hätte mir gewünscht, dass es auch für meinen Sohn anders ausgegangen wäre“, sagte Nicola am Sonntag. Heute erklärt er, dass ihm diese Worte spontan einfielen. „Das sind Dinge, die man denkt. Aber er bleibt unser Sohn. Was sollen wir auch tun? Er wird für das, was er getan hat, bezahlen. Wir sind immer noch seine Eltern“, betont der Vater von Filippo. Er, seine Frau und sein zweiter Sohn befinden sich in einem Drama, das für Außenstehende kaum begreifbar ist.

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Sein Sohn wird demnächst nach Italien ausgeliefert werden. Gegenüber den deutschen Polizisten, die seinen am Fahrbahnrand stehenden Kleinwagen inspizierten und ihn festnahmen, gab der 21-jährige Student der Biomedizintechnik an der Universität Padua zu, Giulia Cecchettin getötet zu haben.

„Ich habe meine Freundin umgebracht. Weil ich dem Ganzen ein Ende setzen wollte, irrte ich die ganzen Tage mit dem Auto durch die Gegend. Ich dachte mehrmals daran, gegen ein Hindernis zu fahren, und setzte mir mehrmals ein Messer an die Kehle, aber ich fand nicht den Mut, es zu Ende zu bringen“, gestand Filippo Turetta den deutschen Beamten.