Von: ka
Palermo – Nach der schrecklichen Gruppenvergewaltigung geriet das Leben der betroffenen 19-Jährigen aus Palermo, deren Leben bereits vorher nie leicht gewesen war, endgültig aus den Fugen. Die junge Frau, die trotz ihrer Ängste und der unverhohlenen Drohungen den Mut besaß, alle Namen ihrer Peiniger zu nennen, war nach der Verhaftung der sieben jungen Männer, die ihr Schreckliches angetan hatten, gezwungen, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen.
Aber auch nach der Aufnahme in eine geschützte Gemeinschaft lässt sie das Erlittene nicht los. Besonders die Hetze in den sozialen Netzwerken ist für sie eine große Belastung und eine bittere Enttäuschung. Die Hater, die meinen, dass sie im Grunde selbst schuld sei, machen ihr schwer zu schaffen. Sie hingegen erinnert sich gut daran, dass ihr in dieser unheilvollen Nacht vom 6. auf den 7. Juli niemand zur Hilfe geeilt war. „Niemand hat sich umgedreht“, so die 19-Jährige gegenüber dem Corriere della Sera.
Gegen 2.00 Uhr am 7. Juli ging bei den Carabinieri von Palermo ein Anruf aus dem Krankenhaus der sizilianischen Metropole ein. „Bei uns ist eine junge Frau, der es sehr schlecht geht. Sie erzählt, dass sie Opfer sexueller Gewalt geworden sei“, so die Ärzte der Ersten Hilfe des Krankenhauses von Palermo. Als die Carabinieri im Krankenhaus eintrafen, standen sie vor einer verkaterten jungen Frau, die unter Schock stand und sichtbare Zeichen sexuellen Missbrauchs aufwies.
Die medizinische Untersuchung bestätigte die Schilderung der jungen Frau, dass sie Opfer eines Sexualverbrechens geworden war. In der Folge versuchten die Ärzte und die Krankenpflegerinnen die 19-Jährige davon zu überzeugen, die Namen derer zu nennen, die ihr diese schreckliche Gewalttat angetan hatten. Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, als normale junge Frau weiterleben zu wollen oder sich der schrecklichen Last zu entledigen, schwieg die 19-Jährige zunächst, willigte dann aber ein, ihren Peinigern Namen zu geben.
Das anfängliche Zögern, die Scham und, wie sie den Ermittlern mitteilte, die Angst, das Leben ihrer Peiniger zu ruinieren, wichen schnell einer dunklen Wut. Zuletzt quoll es aus der 19-Jährigen nur so heraus. Sie erzählte, wie sie am Abend des 6. Juli in einem Lokal die sieben jungen Männer getroffen hatte, von denen einer ein alter Freund von ihr gewesen war. Sie sagte, dass auch Alkohol und Drogen im Spiel gewesen seien und dass sie mit den Männern durch die Straßen von Palermo gezogen sei, bis sie die Strandpromenade der Stadt erreicht hätten, wo die sieben Männer über die wehrlose junge Frau hergefallen waren.
In ihrer Aussage ließ sie kein Detail der schrecklichen Gewalttat aus, die sie erlitten hatte. Die junge Frau erzählte auch vom vergeblichen Versuch, um Hilfe zu rufen. „Niemand hat sich umgedreht“, so die 19-Jährige. Sie schloss ihre Aussage mit den Worten, dass sie von ihren Peinigern einfach am Straßenrand liegengelassen worden sei und zwei Passanten die Rettungskräfte verständigt hatten.
Nach der Anzeige, in der sie die ersten vier Namen nannte, wurde die 19-Jährige zurück zu ihrem Wohnort gebracht, das ehemalige Fischerviertel Arenella von Palermo, wo die junge Frau nach dem frühen Tod ihrer Mutter bei ihrer Tante lebt. Zu ihrem Pech wohnen die Vergewaltiger und ihre Familien im selben kleinen Viertel, wo jeder jeden fast mit dem Namen kennt. Nachdem sie das Erlittene auch ihrer Tante erzählt hatte, half diese ihr dabei, einen Anwalt zu finden. Bereits wenige Stunden nach der Anzeige wurden die ersten vier Männer verhaftet und eingekerkert. Wenige Wochen später nahmen die Carabinieri auch die restlichen drei mutmaßlichen Sexualstraftäter fest.
Im kleinen Viertel am Meer nördlich von Palermo verbreitete sich die Nachricht der Festnahmen in Windeseile. Es dauerte nicht lange, bis die Angehörigen der verhafteten jungen Männer das Opfer mit dem Tod bedrohten. Sie setzte darüber die Carabinieri in Kenntnis, die sie seither nie mehr aus dem Auge ließen. Die Angst vor Repressalien, aber auch der Wunsch, sie aus dieser für sie nicht mehr tragbaren Lage herauszuholen, veranlassten die Ermittler dazu, ihr zu raten, zu einer Pflegefamilie zu ziehen.
Die 19-Jährige, die nach dem frühen Tod ihrer Mutter und der Vernachlässigung durch ihren Vater jahrelang in einem Heim gelebt hatte, stimmte zunächst zu. In der geschützten Gemeinschaft verbrachte sie die ersten Wochen nach der Vergewaltigung. Sie blieb in ständigem Kontakt mit den Carabinieri, zu denen sie eine enge Beziehung aufbaute, die sie auch in ihren sozialen Netzwerken publik machte, indem sie Fotos von sich mit einer Carabinieri-Mütze postete.
Diese Geste gefiel ihrer besten Freundin gar nicht. Es handelte sich dabei um jene junge Frau, die sich gemeinsam mit dem Opfer und den sieben jungen Männern getroffen hatte, dann aber fortgegangen war. „Sie kann nichts dafür, lasst sie in Ruhe“, schrieb die 19-Jährige an die Adresse jener, die ihrer Freundin vorwarfen, sie am Abend des Missbrauchs mit den jungen Männern alleingelassen zu haben. Es verging wenig Zeit, bis Nutzer in den sozialen Medien die Identität der jungen Frau herausfanden, deren Name vorher in den Medien nie aufgetaucht war. Tausende von Menschen aus ganz Italien bekundeten ihre Solidarität.
Durch die vielen Solidaritätsbekundungen gestärkt und nicht zuletzt, weil sie ihre noch verbliebenen Verwandten und ihre Freunde vermisste, beschloss sie, nach Arenella zurückzukehren. Zudem wollte sie in ein „normales Leben“ zurückfinden. Sie ging mit ihren Freunden aus, veröffentlichte Fotos von ihren Abenden am Meer, sang auf TikTok jene Lieder, die sie so sehr liebte und antwortete manchmal jenen vielen Menschen, die ihr ihre Zuneigung zeigten.
Aber ihr Wunsch, an ihr früheres, wenn auch oftmals schwieriges Leben anzuknüpfen, scheiterte. Das Erlittene ließ die 19-Jährige nicht mehr los. Ihr inneres prekäres Gleichgewicht geriet endgültig ins Wanken, als Hater ihre Videos hart kritisierten und sie beschuldigten, ihre Vergewaltiger zu provozieren. Die junge Frau versank in Verzweiflung. „Ihr bringt mich um“, so eines ihrer Postings. Da die Ermittler befürchteten, dass sie sich etwas antun könnte, rieten sie ihr erneut dazu, Arenella zu verlassen und in eine geschützte Wohngemeinschaft zurückzukehren. Die junge Frau willigte ein. Sie packte ihre Sachen und zog zurück zur sozialen Wohngemeinschaft.
Seit wenigen Tagen befindet sie sich weit weg von Palermo und Sizilien an einem unbekannten Ort. Allerdings ist sie weiter online. Sie fährt fort, sich gegen die Hasspostings derer zur Wehr zu setzen, die meinen, dass sie sich eigentlich alles selbst eingebrockt habe.
Dass ihre mutmaßlichen Peiniger hinter Gittern sitzen, ist für sie nur ein schwacher Trost. Die Tatsache, dass Melonis Partner mit Vergewaltigungsaussagen schockt, dürften sie ebenfalls schmerzen. Die junge Frau will ihre Tante und ihre Freunde umarmen, abends am Strand sitzen und dabei lauschen, wie die Wellen ihres heimatlichen Meeres gegen das Ufer schlagen. Ganz Italien wünscht der 19-Jährigen, wieder in ein „fast normales Leben“ zurückzufinden.