Auf TikTok beworbener Low-Cost-Trip mündet in „Overturism-Hölle“ – VIDEO

Wahnsinn: Zehntausend neapolitanische „Skifahrer“ legen Skiort lahm

Mittwoch, 29. Januar 2025 | 07:05 Uhr

Von: ka

Roccaraso/Neapel – Wer glaubt, dass nur Südtirol von Touristen überrannt wird, war am letzten Sonntag nicht in Roccaraso, einem Skiort im Nationalpark der Abruzzen.

Da Roccaraso von Rom und Neapel aus in nur zwei bis drei Autostunden erreichbar ist, ist der beliebte Skiort im Nationalpark der Abruzzen seit jeher das Ziel der kampanischen Skifahrer und Liebhaber von Winterausflügen. Dass Roccaraso in der Skisaison sehr gut besucht ist, ist nichts Neues, aber am vergangenen Sonntag wurde der Skiort von einer Horde von Tagestouristen überfallen, wie es die Einwohner von Roccaraso noch nie erlebt hatten.

ANSA/ ANDREA D’AURELIO

Nachdem bekannte neapolitanische Influencer auf TikTok Low-Cost-Trips von Neapel nach Roccaraso beworben hatten, machten sich am Sonntag, dem 26. Januar, Tausende von Neapolitanern auf, um an Bord von 220 Bussen die an normalen Tagen rund zwei Stunden dauernde Reise von Neapel bis zum Skiort im Nationalpark der Abruzzen zurückzulegen.

Aufgrund des regen Verkehrsaufkommens standen auf der Staatsstraße 17, die Neapel mit Roccaraso verbindet, aber bald Hunderte von Bussen und Autos im Stau. Um die 139 Kilometer zu bewältigen und ihr begehrtes Ziel zu erreichen, brauchten die „Ausflügler“ bis zu sechs Stunden.

In Roccaraso angekommen, blieb ihnen gerade genug Zeit, um ein im Rucksack mitgebrachtes Frühstück zu essen, einen Kaffee an der Bar zu trinken und ein Selfie vor einem Schneehaufen zu schießen. Manche von ihnen hatten sogar das Pech, wieder die lange Heimreise antreten zu müssen, ohne auch nur ein bisschen Schnee gesehen zu haben.

Facebook/Viaggiaconme Maria Giglio

Die in den sozialen Netzwerken veröffentlichen Bilder und Videos sprechen Bände. „Ich habe noch nie so viele gesehen, unser Ort ist nicht imstande, einen solchen Ansturm zu bewältigen“, beklagten sich einige ältere Einheimische, die vor einer Bar saßen und dabei zuschauen mussten, wie vor ihnen Hunderte von „Ausflüglern“ vorbeizogen. Busse und Autos bahnten sich langsam ihren Weg durch die Menschenmenge aus Männern, Frauen und Kindern, die Après-Ski-Windjacken, Stiefel und Wollmützen trugen.

Una giornata sulla neve, 20 euro a persona: succede il finimondo. Roccaraso è stata letteralmente invasa e più che il racconto di una bella domenica sugli sci è diventato un racconto dell'orrore. E sui social i commenti si sprecano commentando i picnic sulle piste da sci e le immagini di un vero e proprio assalto ai servizi

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Unter ihnen befanden sich sogar einige, die offensichtlich kein geeignetes Schuhwerk besaßen und sich damit beholfen hatten, ihre Alltagsschuhe mit Plastiktüten und Gummibändern wasserdicht und winterfest zu machen. Da viele von den „Winterausflüglern“ in der dichten und lärmenden Menschenmenge sehr bald ins Schwitzen gerieten, entledigten sich nicht wenige von ihnen bald ihrer sperrigen Accessoires. Kurzum, der begehrte Skiausflug entpuppte sich für Tausende von Menschen als ein Sonntag, der nicht stressiger hätte sein können.

Facebook/Viaggiaconme Maria Giglio

Wie es zur „Overturism-Hölle“ von Roccaraso kommen konnte, ist kein Geheimnis. In Neapel gibt es Dutzende von Reiseagenturen, die für einen „Traumausflug“ nach Roccaraso werben. Sie tun dies vor allem auf TikTok, wo Tausende von jungen Menschen, die noch nie Schnee gesehen haben, die Gelegenheit ergreifen, einen Tag in einem bekannten Skiort zu verbringen. „Wir bieten eine Tagesreise von Neapel und Secondigliano nach Roccaraso, Hin- und Rückfahrt samt Frühstück kosten nur 30 Euro“, lautet die Werbung eines der beliebtesten Reisebüros. Dieser „Schneeausflug“, der von neapolitanischen Influencern auf TikTok beworben wird, ist für viele Neapolitaner, die nicht das Geld haben, sich auch nur eine einzige Nacht in einem Skigebiet zu gönnen, im wahrsten Sinn des Wortes unwiderstehlich.

Facebook/Massimiliano Capitanio

Zusammen mit Freunden und Familienangehörigen stundenlang im Bus zu sitzen, nur um sich ein paar Schneebälle zuzuwerfen und spät in der Nacht erschöpft heimzukehren, ist für diese Menschen, die hauptsächlich aus den Außenbezirken von Neapel kommen und sich nichts anderes leisten können, oft die einzige Möglichkeit, dem grauen Alltag zu entfliehen.

Während sich die Billigausflügler auf dem Ombrellone, einer großen Wiese am Fuße der Pisten, in den Schneematsch stürzten, drängten sich vor den Liften die ebenfalls zahlreichen echten Skifahrer, die darauf warteten, endlich die Pisten zu stürmen. Der chaotische Wintersonntag endete erst mit dem Sonnenuntergang, als die Busse sich langsam auf dem Weg zurück nach Neapel in Marsch setzten und die Selfies der „Schneeausflügler“ die sozialen Medien zu überfluten begannen.

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Nach der „Overturism-Hölle“ herrscht in Roccaraso Ratlosigkeit. Auf Betreiben des Bürgermeisters Francesco Di Donato, der zwar mit großem Andrang, aber nicht mit einem solchen Chaoswochenende gerechnet hatte, wurde zwar das gesamte Ortszentrum für den Verkehr gesperrt, aber für die Staatsstraße, die durch Roccaraso führt und wo die Busunternehmer die Billigausflügler aussteigen lassen, fehlen dem Ersten Bürger von Roccaraso die nötigen Zuständigkeiten.

„Da die Sicherheitslage kritisch ist und wir früher oder später einen tragischen Unfall riskieren, müssen wir endlich den Mut aufbringen, den Verkehr auf der Staatsstraße 17 einzuschränken und ein Halteverbot zu verhängen“, fordert Francesco Di Donato die Präfektur und die zuständigen Regionalbehörden zum Handeln auf.

Viele Einwohner von Roccaraso und Kritiker dieser verstörenden Form des Tagestourismus schlagen sogar vor, die Anzahl der Tagesausflügler streng zu begrenzen. Dem Wahnsinn, dass Tausende von neapolitanischen „Skifahrern“ Roccaraso lahmlegen, muss Einhalt geboten werden, so diese Stimmen.

Interessant ist, dass die heißen Diskussionen in Roccaraso jenen in Südtirol ähneln.

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