Russisches Öl findet seinen Weg auch nach Italien

Warum darf Putins Ölhafen nicht angegriffen werden?

Donnerstag, 19. Dezember 2024 | 08:00 Uhr

Von: ka

Noworossijsk/Moskau/Kiew/Rom – Wie der Anschlag auf den russischen General Igor Kirillow und Drohnenangriffe auf tief in Russland gelegene Ölraffinerien zeigen, ist die militärisch stark in Bedrängnis geratene Ukraine dennoch in der Lage, weit von der Front entfernte Ziele zu treffen.

Umso erstaunlicher ist es, dass aus ukrainischer Sicht ausgerechnet eines der strategisch interessantesten Ziele, der russische Ölhafen Noworossijsk am Schwarzen Meer, von Angriffen verschont bleibt. Wie Experten vorrechnen, wäre der Kreml ohne den Hafen von Noworossijsk nicht in der Lage, seinen Krieg zu finanzieren. Die Frage, warum Noworossijsk nicht angegriffen wird, scheint niemand gerne beantworten zu wollen, aber trotz des Schweigens der politisch Verantwortlichen sind sich die Experten sicher, dass der Hafen, von dem aus Putins „schwarzes Gold“ in alle Welt verschifft wird, von einem Veto geschützt wird. Ein Teil des russischen Öls findet seinen Weg auch nach Italien.

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Noworossijsk ist eine russische Hafenstadt am Schwarzen Meer mit weniger als 250.000 Einwohnern in einer tiefen Bucht etwa 150 Kilometer südöstlich der Krim.

Noworossijsks Hafen, in dem Hochbetrieb herrscht, ist für Russland von immenser Bedeutung. Laut der Datenbank Vessel Tracker liegen derzeit 99 Schiffe, darunter große Frachter und Öltanker, in der Bucht vor Anker. Während 74 Schiffe in den kommenden Stunden erwartet werden, sind Dutzende von großen Frachtern, Tankern und anderen Schiffen gerade dabei, aus dem Hafen ausgelaufen. Auffällig ist, dass viele Schiffe keinen offiziellen Namen tragen und unter den Flaggen von Panama, Belize, der Türkei oder den Komoren fahren, was nahelegt, dass sie zu Putins „Schattenflotte“ gehören, die es Russland ermöglicht, die Sanktionen zu umgehen, berichtet der Corriere della Sera.

Die Havarie von zwei Öltankern vor der durch Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zeigt auch, welche Gefahr für die Umwelt von Putins Schattenflotte ausgeht. Russische Nachrichtenagenturen teilten am Sonntag mit, die mit tausenden Tonnen Öl beladenen Tanker seien bei einem Sturm in der Straße von Kertsch zwischen der Krim und der russischen Region Krasnodar beschädigt worden. In Folge dessen kam es zu einem Ölaustritt. Ein Matrose kam ums Leben.

Nach Nachodka am Pazifik und Primorsk am Finnischen Meerbusen ist Noworossijsk der drittgrößte russische Hafen für die Ausfuhr von russischem Öl. Schätzungen zufolge wurden seit dem russischen Angriff auf die Ukraine Öl und andere fossile Brennstoffe im Wert von 76 Milliarden Euro von Noworossijsk aus in alle Welt exportiert. Offiziell wurde rund ein Fünftel des russischen Ölexports über den Hafen von Noworossijsk abgewickelt, aber es wird vermutet, dass die wahren Zahlen noch viel höher liegen.

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Wie das internationale Studienzentrum Crea in Finnlands Hauptstadt Helsinki bemerkt, gelten 68 Prozent des Rohöls, das den Hafen von Noworossijsk verlässt, als Öl kasachischen Ursprungs, aber da kasachisches und russisches Öl kaum voneinander zu unterscheiden sind, besteht der Verdacht, dass der Anteil des Schwarzmeerhafens am russischen Ölexport in Wahrheit noch viel höher liegt.

Dieses „Nebeneinander“ im Hafen und die starke Ähnlichkeit zwischen den beiden Ölen aus verschiedenen Herkunftsländern erlaubt es den mit dem Kreml verbundenen Unternehmen, russisches Öl als kasachisches zu deklarieren und auf diese Weise alle Sanktionen zu umgehen. Experten zufolge könnte mindestens ein Viertel der russischen Ölexporte den Weg über Noworossijsk nehmen, was nichts anderes bedeutet, dass der Schwarzmeerhafen wesentlich dazu beiträgt, Putins Angriffskrieg zu finanzieren.

Da der Export fossiler Brennstoffe zu mehr als 40 Prozent zu den russischen Haushaltseinnahmen beiträgt und der Militär- und Sicherheitshaushalt rund 38 Prozent aller Staatsausgaben verschlingt, liegt es auf der Hand, dass bei einem Ausfall des Hafens von Noworossijsk Russlands Krieg in der Ukraine nicht mit der bisher gewohnten hohen Intensität fortgeführt werden könnte.

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Ein Teil des Öls findet seinen Weg auch nach Italien. Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass die meisten der italienischen Öleinkäufe vor dem europäischen Embargo gegen russisches Rohöl getätigt wurden, beträgt Italiens Anteil am russischen Ölexport immerhin etwa fünf Prozent. Der Hauptabnehmer russischen Öls, das im Hafen von Noworossijsk umgeschlagen wurde, ist mit 53 Prozent der Gesamtmenge Indien, auf den Plätzen folgen Bulgarien, die Türkei und China. Dennoch war Italien in den letzten drei Jahren der viertgrößte Abnehmer von Rohöl und Erdölerzeugnissen, die aus diesem Schwarzmeerhafen stammen. Zudem muss an dieser Stelle bedacht werden, dass weitere Mengen russischen Öls aus der Schwarzmeerregion – entweder, weil es offiziell nicht als russisches Öl gilt oder weil es über Drittländer exportiert wird – von Russland nach Europa gelangen.

Umso erstaunlicher ist es, dass die Ukraine diese sprudelnde „russische Ölleitung“ nicht kappt oder zumindest zu stören versucht. Der letzte ukrainische Angriff erfolgte im August 2023, als eine Seedrohne ein russisches Militärlandungsboot zerstörte. Seither scheint in Noworossijsk tiefster Friede zu herrschen. Warum die Ukraine, der es gelang, einen Großteil der russischen Schwarzmeerflotte auszuschalten, den Hafen von Noworossijsk verschont, ist für viele ein Rätsel.

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Als der ukrainische Finanzminister Serghii Marchenko auf der Konferenz „Grand Continent“ direkt auf diese Frage angesprochen wurde, gab er eine vielsagende Antwort. „Wir dürfen das Gleichgewicht nicht zerstören. Für uns darf der Ölpreis weder höher noch niedriger als das derzeitige Niveau sein. Wenn ich gefragt werde, ob wir irgendwelchen Beschränkungen (für Angriffe auf die Häfen und die Schwarzmeer-Ölroute, Anmerkung der Redaktion) unterliegen, kann ich das nicht sagen“, so Serghii Marchenko. Damit gab der ukrainische Finanzminister auf diplomatische Art und Weise die ziemlich offensichtliche Tatsache zu, dass ein amerikanisches Veto vorliegt.

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Den Ölexport aus Noworossijsk zu kappen, wäre in der Tat gleichbedeutend mit einer massiven Ölproduktionskürzung durch die Organisation erdölexportierender Länder OPEC. Das hieße, fast zwei Prozent des Öls vom globalen Rohölmarkt zu nehmen, was zur Folge hätte, dass der internationale Barrelpreis in die Höhe schießen würde. Für die Endverbraucher in Europa und den USA würde es an der Zapfsäule ein böses Erwachen geben, was sich die politisch Verantwortlichen nicht leisten können. Daraus ergibt sich ein stillschweigendes Verbot der USA für ukrainische Angriffe auf Ölhäfen und Tanker.

Durch das US-Veto kann Russland seinen Angriffskrieg fast ungestört weiterfinanzieren. Die Ukrainer hingegen können nicht alle Gegenangriffsoptionen ausschöpfen und sind daher dazu gezwungen, sich mit einem auf den Rücken gebundenen Arm zu verteidigen. Während am ruhigen Himmel von Noworossijsk die Sonne scheint, liegt über Kiew ein dunkler Schatten.

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