Von: ka
Reggio Calabria – Im Krankenhaus von Reggio Calabria herrschen offenbar unglaubliche Zustände: Wer sich in Reggio Calabria, der Stadt an der Stiefelspitze Italiens, sich zu Abend- und Nachtzeiten einen Arm oder ein Bein bricht, sie sich verrenkt oder sonst ein Problem an den Extremitäten erleidet, hat wenig Glück. In der Ersten Hilfe mangelt es an Gips, sodass die verletzten Gliedmaßen notdürftig mit Karton und Klebeband ruhiggestellt werden müssen. So schien es zumindest am Dienstag, als diese Fotos das Internet verrückt machten. Doch Primar Angelo Ianni nimmt der Polemik den Wind aus den Segeln: „Im Krankenhaus von Reggio Calabria ist Karton weder ein Instrument zur Heilung noch zur Behandlung.“
Sich in Reggio Calabria zur Nachtzeit einen Arm oder ein Bein zu brechen, wird zu einem großen Problem, weil die Abteilung für Orthopädie um 20.00 Uhr ihre Tore schließt, hieß es auch auf Internetportalen von renommierten Medien. Außer es handelt sich um besonders schwere Fälle, müsse ab diesem Zeitpunkt bis zum Morgen des nächsten Tages die Erste Hilfe die Aufgaben der Orthopädie übernehmen. Der angebliche Grund sei, dass das Krankenhaus zu wenig Orthopäden besitzt, um einen dauerhaften Nachtdienst aufrechtzuerhalten.
Das Gesundheitswesen in Reggio Calabria stand schön öfter im Visier der Kritik: Die essentielle Versorgung liegt auf der niedrigsten Schwelle, die territorialen Dienste sind geschwächt, 88 Millionen Euro an Schulden gilt es zu tilgen, während die Abwanderung von Patienten die Kassen der Region mit über 300 Millionen Euro belastet.
Die Erste Hilfe wurde einst geschaffen, um die gesundheitliche Erstversorgung der 200.000 Einwohnerstadt Reggio Calabria zu gewährleisten. Heute hingegen strömen auch alle medizinischen Notfälle aus der nicht weniger als 550.000 Einwohner zählenden Umgebung in die Erste Hilfe der kalabresischen Küstenstadt. Ständig überlastet und personell chronisch unterbesetzt wurde die Grenze der Belastbarkeit der Ersten Hilfe längst überschritten.
Als die Bilder der mit Karton fixierten verletzten Extremitäten in den italienischen Medien erschienen, lösten sie einen Sturm der Entrüstung aus. „Es ist eine Situation wie in einem Drittweltland. Im Gegenteil, nicht einmal dort sieht man mehr so etwas“, so ein aufgebrachter, lokaler Vertreter der Ärztegewerkschaft Anaoo, Gianluigi Scaffidi.
„Es ist wie ein Lazarett zu Kriegszeiten. Die Sparsamkeit wird zum System und die Kunst, sich irgendwie zu helfen zu wissen, wird zur therapeutischen Praxis erhoben“, pflichtete ihm der italienische Generalsekretär der Ärztegewerkschaft Anaao Assomed, Carlo Palermo, bei. Der Gewerkschafter nahm in einer Stellungnahme seine Kollegen in Schutz und ging mit der Verwaltung, welche laut seiner Ansicht mit ihrem Sparprogramm hauptverantwortlich für den Mangel an Personal und Materialien wie Gips sei, hart ins Gericht. Die Krankenhausverwaltung selbst fiel aus allen Wolken und gab bekannt, dass sie von den Zuständen in der Ersten Hilfe nichts wisse. Die Direktion kündigte umgehend eine interne Untersuchung an. Gesundheitsministerin Giulia Grillo hingegen ordnete den Carabinieri der Sondereinheit Nas an, im Krankenhaus von Reggio Calabria eine Inspektion durchzuführen.
Dass es im Krankenhaus nicht genügend Gips gibt, wird nun allerdings bestritten. Der Patient, dessen Bilder nun im Internet kursieren, sei bereits am Unfallort mit Karton verbunden worden, damit er die Gliedmaßen stillhält. Der Patient soll dies selbst bestätigt haben. Die Praxis wird öfter angewandt, wenn der Verdacht auf einen Bruch besteht.
Auch der Generaldirektor des Krankenhauses, Frank Benedetto, versichert, dass die orthopädische Abteilung 24 Stunden aktiv sei und nicht bereits um 20.00 Uhr schließe. Es gebe 30 Betten und zwei Einheiten für nächtliche Notfälle. Auch Verbandsmaterial und Gips seien reichlich vorhanden.
Wie die Leitung des Krankenhauses in einer Erklärung an den Präsidenten der Region, Mario Oliverio, betont, handelt es sich um einen einzigen männlichen Patienten, der um 9.32 Uhr am 28. Juli ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Die Gliedmaßen von C. A. seien bereits am Unfallort mit Karton in eine ruhige Lage gebracht worden. Gründliche Untersuchungen samt Röntgenaufnahme und Elektrokardiographie (EKG) seien drei Minuten nach seiner Einlieferung erfolgt. Der Karton sei deshalb vorerst nicht entfernt worden, um den Patienten unnötige Schmerzen zu ersparen und eine Röntgenaufnahme ohne Interferenzen zu ermöglichen. Sobald der Mann in der Station aufgenommen wurde, seien die verletzten Gliedmaßen eingegipst worden.
Außerdem gibt es laut der Leitung des Krankenhauses den Fall einer Patientin, die am Montag eingeliefert worden war. O. G. wandte sich kurz nach 7.00 Uhr an die Notaufnahme nach einem Unfall. Auch sie wurde provisorisch mit einer Stützbandage aus Metall, das keine Röntgenstrahlen durchlässt, erstversorgt und mit einem Karton bewegungsunfähig gemacht. Nach der Röntgenaufnahme erhielt auch die Frau einen Gips.