Norwegen auf der „Jagd“ nach italienischen Krankenpflegern

“Wohnung, Gratisflüge und 3.500 Euro im Monat”

Dienstag, 21. November 2023 | 07:04 Uhr

Von: ka

Mailand/Oslo – Italienische Krankenpfleger scheinen international sehr gefragt zu sein. Mit hohen Gehältern, steuerlichen Vergünstigungen und einem Rundumsorglospaket versuchen nicht nur mehr Saudi-Arabien und die Golfstaaten, sondern auch mehrere europäische Länder italienisches Ärzte- und Pflegepersonal anzuwerben.

Besonders Norwegen wirbt mit verlockenden Angeboten massiv dafür, als Krankenpfleger für das Gesundheitswesen des nordischen Landes zu arbeiten. Eine spanische Arbeitsagentur wurde von den norwegischen Gesundheitsbehörden eigens damit beauftragt, möglichst viele italienische Krankenpfleger nach Nordeuropa zu locken. Bei den italienischen Pflegekräftegewerkschaften kommt diese aggressive Abwerbekampagne aber gar nicht gut an.

Facebook/Oslo University Hospital, Ullevål

Wie in anderen europäischen Ländern herrscht auch in Italien ein massiver Mangel an Pflegekräften. Laut einer amtlichen Schätzung sollen dem italienischen Gesundheitswesen rund 175.000 Krankenpfleger fehlen. Geringe Gehälter, unzumutbare Arbeitszeiten und Turnusdienste, mangelnde Aufstiegschancen und magere Gehaltsvorrückungen, fehlende Wertschätzung sowie die trübe Aussicht, ein ganzes Berufsleben in maroden Krankenhäusern und Altenheimen verbringen zu müssen, sorgen nicht nur dafür, dass immer weniger junge Menschen die Studiengänge für Krankenpflege belegen, sondern auch, dass bereits berufstätige Pflegekräfte immer öfter ins Ausland abwandern. Die norditalienischen Regionen sind von dieser Abwanderungswelle gleich doppelt betroffen. Während viele bisher in Norditalien arbeitende süditalienische Pfleger aufgrund der dort viel geringeren Lebenshaltungskosten in ihre Heimatregionen zurückkehren, zieht es andere Pflegekräfte ins Ausland, wo ihnen hohe Gehälter und andere Extras winken.

Zu diesen Ländern, die italienischen Krankenpflegern im wahrsten Sinne des Wortes den roten Teppich ausbreiten, gesellt sich seit jüngster Zeit auch Norwegen. Neben einem Nettogehalt von 3.500 Euro, zu denen noch verschiedene Zulagen hinzukommen, werden den italienischen Krankenpflegern in den meisten Fällen auch noch die Übernahme der Wohnungsmiete samt allen Nebenkosten geboten. Das verlockende Gesamtpaket umfasst weiters einen unbefristeten Vertrag, eine Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden sowie bezahlte Flüge von und nach Italien. In anderen Fällen bietet der norwegische Arbeitgeber auch ein Rundumsorglospaket samt Wohnung und kostenlosen Freizeitangeboten an.

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Wenn man bedenkt, dass in Italien ein Krankenpfleger höchstens mit einem monatlichen Anfangsgehalt von 1.500 Euro rechnen kann und italienische Pflegekräfte erst nach vielen Arbeitsjahren Aussicht auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen, handelt es sich beim Angebot aus dem hohen Norden um traumhafte Bedingungen. Eine spanische Arbeitsagentur mit Sitz in Alicante wurde von den norwegischen Gesundheitsbehörden damit beauftragt, möglichst viele italienische Krankenpfleger nach Nordeuropa zu locken. Auf der Website des spanischen Unternehmens Global Working ist das Angebot öffentlich einsehbar.

Neben einem Jahresgehalt von 45.000 bis 60.000, zu dem sich ein Pensionsfonds gesellt, versprechen die norwegischen Gesundheitsbehörden, ihren italienischen Krankenpflegern mindestens 30 Urlaubstage zu gewähren. Die Möglichkeit, sich fortbilden und in einem Fachbereich spezialisieren zu können, rundet das Angebot ab. Verlangt werden lediglich eine abgeschlossene universitäre Ausbildung für Krankenpflege sowie die Bereitschaft, sich in das norwegische Gesundheitswesen zu integrieren. Auch Sprachkenntnisse sind nicht vonnöten. Den Pflegefachkräften, die sich dafür entscheiden, für das norwegische Gesundheitswesen zu arbeiten, werden kostenlose Norwegischkurse angeboten.

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Bei den italienischen Pflegekräftegewerkschaften kommt diese aggressive Abwerbekampagne gar nicht gut an. Der Präsident der Krankenpflegergewerkschaft Nursing Up, Antonio De Palma, schlägt Alarm. „Zur Anwerbung italienischer Pflegekräfte haben sich die norwegischen Gesundheitsbehörden eigens an eine spanische internationale Personalagentur gewandt. Das gebotene Gesamtpaket, das einen hohen Gehalt, kostenlose Unterkunft und viele Extras umfasst, ist äußerst attraktiv. Dieses und andere Arbeitsangebote aus dem Ausland sind insbesondere für unsere jungen Absolventen der Studiengänge für Krankenpflege wirklich nur sehr schwer abzulehnen“, erklärt Antonio De Palma.

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„Sogar jungen Leuten, die sich noch im dritten Jahr ihres Krankenpflege-Studiums befinden, wird schon angeboten, an Auswahlverfahren teilzunehmen. Um sie für die Krankenhäuser ihrer Länder zu gewinnen, könnten Staaten wie Norwegen bald dazu übergehen, nach den besten Studenten Ausschau zu halten und sie bis zum Abschluss ihres Studiums zu begleiten“, wirft der Präsident der Krankenpflegergewerkschaft Nursing Up einen aus italienischer Sicht wenig hoffnungsvollen Blick in die Zukunft.

Die „Flucht ins Ausland“ ist in der Tat längst eine Tatsache. Laut Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD haben sich in den letzten drei Jahren rund 20.000 italienische Pflegekräfte ins Ausland verabschiedet. Sollten sich immer mehr junge Krankenpfleger dafür entscheiden, in einem ausländischen Gesundheitswesen zu arbeiten, könnte sich das Problem bald zu einem Albtraum entwickeln. Um diese „Abstimmung mit den Füßen“ aufzuhalten, wird Italien nichts anderes übrig bleiben, als seinen Pflegekräften höhere Gehälter und bessere Arbeitskonditionen zu bieten.