Von: ka
Lampedusa – Es ist ein trauriges und berührendes Weihnachtswunder. Ein elfjähriges Mädchen aus Sierra Leone, das sich an zwei Lkw-Schläuchen festhaltend seit drei Tagen im Wasser trieb, konnte wie durch ein Wunder gerettet werden.
Das Mädchen, das den Tod ihres eigenen Bruders und aller anderen Mitreisenden miterlebt hatte und laut um Hilfe rief, wurde am frühen Mittwochmorgen kurz nach 3.00 Uhr von Seenotrettern der Trotamar III der deutschen Rettungsorganisation CompassCollective zehn Seemeilen vor Lampedusa gesichtet und sofort aus dem Meer geborgen. Die Elfjährige, die sagte, ihr Name sei Maria oder vielleicht Mariam, stand unter Schock und war stark unterkühlt, sonst aber wohlauf. Yasmine, die aus dem Meer kam, wie sie vorläufig getauft wurde, wurde in eine spezielle wärmende Decke eingewickelt und von Medizinern erstversorgt.
„Ich bin elf Jahre alt und komme aus Sierra Leone“, so das Mädchen zu den Freiwilligen der Nichtregierungsorganisation CompassCollective. „Wir sind vor drei Tagen von Sfax in Tunesien losgefahren. Wir waren 45 Leute auf dem eisernen Boot, mein Bruder war auch dabei. Mitten auf dem Meer gerieten wir in einen Sturm mit hohem Wellengang. Das Boot füllte sich mit Wasser und ging unter“, erzählt Yasmine von den schlimmsten Momenten ihres Lebens.
Zusammen mit einigen anderen Flüchtlingen ergriff sie die alten, aufgeblasenen Lkw-Schläuche, die für sie als behelfsmäßige Rettungsringe bereitstanden. „Eine Zeit lang waren wir zu dritt. Wir trieben dicht beieinander im Meer und klammerten uns an den aufgeblasenen Schläuchen fest. Wir haben gebetet und versucht, einander Mut zu geben, aber plötzlich habe ich sie nicht mehr gesehen. Ab diesem Zeitpunkt war ich allein“, beschreibt Yasmine ihren Schiffbruch.
Ihr Vater, erzählt sie, sei noch in Sfax. Mit dem Geld, das ihm geblieben sei, hätte er versucht, seinen Kindern eine bessere Zukunft zu sichern. Da im Boot nur mehr zwei Plätze zur Verfügung gestanden seien, sei der Vater in Sfax geblieben und habe die Plätze ihr und ihrem älteren Bruder überlassen. Ihr Bruder habe den Schiffbruch nicht überlebt, lässt Yasmine ihre Augen sinken.
„Ich lebe, ich bin in Italien“, freut sich Yasmine, als sie von einer Ambulanz am Hafen von Lampedusa abgeholt wird. Da es unmöglich ist, nach einem Sturm im Wasser des winterlichen Mittelmeers drei Tage zu überleben, wird die Erzählung des Mädchens angezweifelt, aber der Schock, die Kälte und die Einsamkeit könnten in den Augen einer Elfjährigen die Zeit gehörig in die Länge gezogen haben. Die Anzeichen einer Unterkühlung sind mit einem Aufenthalt von mehr als zwölf Stunden im Wasser nicht vereinbar. „Unter diesen Bedingungen verliert man das Zeitgefühl“, erklären die Seenotretter.
Der Staatsanwalt von Agrigento, Giovanni Di Leo, ermittelt wegen Schiffbruchs und mehrfachen Totschlags sowie Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Ein Hubschrauber der Finanzwache überflog das Meeresgebiet, das als mutmaßlicher Ort des Seeunglücks gilt, aber von den anderen 44 Schiffbrüchigen fehlt bisher jede Spur.
„Es ist unglaublich, es gleicht einem Wunder“, so die 33-jährige Ina Friene, die auf der Trotamar III als zweite Offizierin dient, gegenüber La Repubblica. „Wir fuhren auf die letzte bekannte Position eines anderen Bootes zu, das in Schwierigkeiten war, als die beiden wachhabenden Mannschaftsmitglieder Alarm schlugen. Als wir den Motor abstellten, hörten wir deutlich ihre verzweifelten Schreie. Ihre Hilferufe führten uns zu ihr. Sobald wir sie sahen, warfen wir ihr Seile zu und zogen sie aus dem Meer“, fügt Ina Friene hinzu.
„Sie war zu müde, zu verwirrt und zu erschöpft, um zu sprechen. Sie fror und zitterte am ganzen Körper. Wir sagten ihr, dass wir ein Rettungsschiff seien, dass sie endlich in Sicherheit sei und dass wir sie an Land bringen würden, nach Europa. Wir machten ihr Mut und erzählten ihr, dass unser Arzt einen Weg finden würde, sie wieder gesundzumachen und ihr die Kälte zu nehmen, an der sie litt. Ihre Körpertemperatur war nicht höher als 35 Grad. Wir sind froh, dass wir ein Leben gerettet haben, aber wenn wir darüber nachdenken, wie viele im Meer ertrunken oder erfroren sind, ohne jemals eine Chance auf Rettung bekommen zu haben, sind wir traurig und wütend“, meint Ina Friene.
Mittelmeer: Segelboot rettet einzige Überlebende von Schiffsunglück
Die Crew des Segelbootes Trotamar III rettete in der vergangenen Nacht vor Lampedusa eine Überlebende eines vor drei Tagen gesunkenen Bootes, das in Sfax in Tunesien aufgebrochen war. Sie hatte den mehrere Tage andauernden Sturm im zentralen Mittelmeer als wahrscheinlich einzige der 45 Menschen an Bord überlebt. Der Sturm in den letzten Tagen verhinderte auch das Auslaufen von zahlreichen NGO-Booten, sodass für dieses Metallboot keine Hilfe vor Ort war.
Das elfjährige Mädchen aus Sierra Leone trieb drei Tage mit zwei improvisierten Rettungsringen aus luftgefüllten Reifenschläuchen und einer einfachen Rettungsweste im Wasser. Sie gab an, vor zwei Tagen noch Kontakt mit zwei anderen Personen im Wasser gehabt zu haben. Aber dieser sei abgebrochen. Das Kind führte weder Trinkwasser noch Essen bei sich und war zwar unterkühlt, aber ansprechbar und orientiert. Nur durch Zufall hatte die Crew um 3.20 Uhr in der Frühe die Rufe in der Dunkelheit gehört und sofort ein Rettungsmanöver eingeleitet. An Bord der Trotamar III umsorgte die Crew das Mädchen und übergab es um 6.00 Uhr an den Rettungsdienst auf Lampedusa.
Skipper Matthias Wiedenlübbert: „Es war ein unglaublicher Zufall, dass wir trotz laufenden Motors die Stimme des Kindes gehört haben. Und natürlich haben wir noch nach weiteren Überlebenden gesucht. Aber nach dem tagelangen Sturm mit über 23 Knoten und zweieinhalb Meter hohen Wellen war das aussichtslos.“
Die Trotamar III ist ein deutsches Segelschiff, das seit August 2023 die zivile Seenotrettung im Mittelmeer unterstützt. In diesen Tagen ist es südlich von Lampedusa unterwegs, um in Seenot geratene Menschen zu unterstützen. Um 24 Uhr in der Nacht hatte die Crew bereits ein seeuntaugliches Holzboot ohne Motor mit 53 Menschen gefunden, Rettungswesten verteilt und die italienischen Behörden verständigt. In anderen Einsätzen wurden bis zu 64 Menschen direkt auf die Trotamar III gerettet.
Das 13 Meter lange Boot mit wechselnden Crews aus Aktivisten hat damit seit dem Einsatzbeginn im August 2023 insgesamt 1653 Menschen in Seenot unterstützt und ihre Rettung durch Alarmierung der Rettungsleitstelle in Rom veranlasst. 231 Menschen wurden direkt durch die Trotamar III gerettet.
Katja Tempel, vom CompassCollective kommentiert: „Selbst bei Sturm sind Menschen gezwungen, riskante Fluchtwege übers Mittelmeer zu nutzen. Wir brauchen sichere Passagen für Flüchtende und ein offenes Europa, das Menschen willkommen heißt und ihnen leichten Zugang zum Asylsystem gewährt, im Mittelmeer zu ertrinken ist keine Option.“
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