Von: ka
Ancona – Der Suizid einer 15-jährigen, ursprünglich aus Bangladesh stammenden Jugendlichen, Mithila Akter, erschüttert Italien. Da der begründete Verdacht besteht, dass sich Mithila Akter vom Balkon im vierten Stock eines Kondominiums in die Tiefe gestürzt hat, weil sie von ihrer Familie zur Ehe gezwungen wurde, eröffnete die zuständige Staatsanwaltschaft von Ancona gegen ihren Vater ein Verfahren wegen Anstiftung zum Suizid.
Der Tod einer erst 15 Jahre alten Jugendlichen aus Bangladesch, Mithila Akter, wirft viele Fragen auf. Mithila Akter, die mit ihrer Familie in Ancona in den Marken lebte, stürzte sich am vergangenen Montag vom Balkon ihrer Wohnung im vierten Stock in die Tiefe. Da eine Person Zeuge dieser Tragödie wurde, besteht kein Zweifel daran, dass es sich beim Tod der 15-Jährigen nicht um einen Unfall, sondern um eine Verzweiflungstat handelte. Mehrere Hinweise auf eine mögliche Ehe und eine Reise nach Bangladesch, zu der die Jugendliche von ihrer Familie gezwungen worden wäre, veranlassten die Staatsanwaltschaft von Ancona dazu, gegen ihren 49-jährigen Vater, der in Ancona in einer Schiffswerft arbeitet, ein Verfahren wegen Anstiftung zum Suizid einzuleiten.
Die Staatsanwaltschaft hegt den begründeten Verdacht, dass hinter dieser Tragödie die Furcht der Jugendlichen vor einer arrangierten Hochzeit in Bangladesch steht, wohin die Familie im Dezember reisen sollte, sobald der Umzug in eine neue Wohnung in Ancona abgeschlossen war.
Mithila Akter machte sich schon seit einiger Zeit große Sorgen. „Meine Eltern wollen, dass ich heirate“, vertraute sie einem Lehrer ihrer Klasse in der dritten Mittelschule an. Der Lehrer meldete den Fall dem Sozialdienst der Stadtgemeinde von Ancona. Nachdem das Jugendgericht eine Akte angelegt hatte, hörten die Mitarbeiter des Sozialdienstes den Vater und die Mutter der 15-Jährigen mehrmals an, um deren Erziehungsfähigkeit zu beurteilen.
Dank der positiven Beurteilung der Sozialdienstmitarbeiter konnte Mithila Akter nach dem erfolgreichen Abschluss der Mittelschule in die Berufsschule aufgenommen werden. Das Leben der Jugendlichen, die an der Berufsschule, wo sie weiterhin von Psychologen betreut wurde, Mode studierte und das Schneiderhandwerk erlernte, schien zunächst einen günstigen Laufg zu nehmen. Nachbarn berichten aber, dass es in der Wohnung immer wieder zu Streitigkeiten gekommen sei und dass sich Mithila Akter nur in Anwesenheit ihres Vaters mit dem Schleier verhüllt habe. Von ihren Lehrern wird die 15-Jährige als schüchterne und etwas verschlossene, aber sonst ganz normale Jugendliche ihres Alters beschrieben.
Die Verzweiflungstat von Mithila Akter kam für viele, die sie kannten, sehr überraschend. Zum Zeitpunkt der Tragödie befanden sich ihre Mutter sowie ihre ältere Schwester mit ihrem Mann und deren Kinder im Haus. Nachdem sich die Jugendliche vom Balkon gestürzt hatte, rannten alle auf die Straße und verständigten die Rettungskräfte. Für sie kam aber jede Hilfe zu spät. Mithila Akter, die im Krankenhaus nie wieder aus dem Koma erwacht war, erlag drei Tage nach dem Sturz vom Balkon ihren schweren Verletzungen.
Die von der Staatsanwaltschaft angeordnete Autopsie soll keine Hinweise auf mögliche Misshandlungen ergeben haben. Die Leiche habe nur ein vom Sturz herrührendes schweres Kopftrauma aufgewiesen. Verdächtig ist, dass Mithila Akter für den Tag nach der Tragödie für eine gynäkologische Visite angemeldet war. Einer Vermutung zufolge könnte die 15-Jährige auch schwanger gewesen sein und sich aus diesem Grund in einer Notlage befunden haben. Die beiden Tage- und Notizbücher sowie das Smartphone, die die Polizei nach dem Tod der 15-Jährigen in der Wohnung beschlagnahmte und dem Staatsanwalt Andrea Laurino übergab, sollen bisher nicht auf eine bevorstehende Zwangsehe hindeuten.
Ihr Vater, gegen den wegen Anstiftung zum Suizid ermittelt wird, und ihr Bruder beteuern, dass auf die Jugendliche kein Druck ausgeübt worden sei und sie niemand zu einer Ehe gezwungen habe. Auf die gegen ihn und seine Familie gerichteten Verdachtsmomente angesprochen, versichert der Vater, dass die Reise nach Bangladesch nicht vorgesehen gewesen sei und er von der gynäkologischen Untersuchung nichts gewusst habe. „In meiner Familie gibt es keine Zwangsehen. Ihr Bruder und ihre Schwester haben aus Liebe geheiratet. Meine Tochter war erst 15 und fast noch ein Kind. Wir können es uns alle nicht erklären und sind die ersten, die die Wahrheit wissen wollen“, so der verzweifelte Vater. Sein ältester Sohn pflichtet ihm bei.
Am Sonntagmorgen wurde Mithila Akter in einer bewegenden Zeremonie nach islamischem Ritus verabschiedet. Das Begräbnis selbst wird in Bangladesch stattfinden. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von Ancona hingegen stehen erst am Anfang. Die Frage, ob die Familie, insbesondere der Vater, unschuldig ist oder ob die 15-Jährige dem Druck nicht mehr standgehalten hat, ist noch offen. Der Tod von Mithila Akter entfachte in der italienischen Öffentlichkeit erneut die nie ganz abgeflaute Debatte, wie junge Frauen mit ausländischen Wurzeln besser vor Unterdrückung und Zwangsehe geschützt werden könnten.