Von: apa
Der EU-Beitritt Österreichs vor 30 Jahren war auch für Südtirol ein wichtiger Meilenstein. Die Provinz südlich des Brenners profitierte als Teil des EU-Gründungsmitglieds Italien schon zuvor von der europäischen Integration, der Beitritt des benachbarten Österreichs 1995 erleichterte die politischen, wirtschaftlichen und alltäglichen Beziehungen aber weiter. Symbolisch ein wichtiger Akt für Südtirol war die Öffnung der Brennergrenze, so der Politologe Günther Pallaver.
Die Südtiroler Volkspartei (SVP) sprach nach Abschluss der Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der EU von “einer historischen Stunde” nicht nur “für unser Vaterland Österreich”, sondern auch für Südtirol. Die Brennergrenze, “die bisher ein fühlbares und historisch ungerechtes Hindernis für die natürlichen Beziehungen Südtirols zu Österreich war, wird durch den Beitritt viel von ihrem Trennenden verlieren”, so SVP-Obmann Siegfried Brugger damals. Die Hoffnungen reichten von der engeren Zusammenarbeit auf menschlichem, kulturellem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet bis zu einer Reduktion der Umweltbelastungen durch den Transitverkehr. Erfüllt wurden sie nur zum Teil.
1998 wurden Grenzbalken abgebaut
Der wichtigste Schritt war das Ende der Grenzkontrollen an der italienisch-österreichischen Grenze, auch wenn dieses erst drei Jahre später nach der vollständigen Umsetzung des Schengen-Abkommens in Österreich und Italien am 1. April 1998 Realität wurde. Die Entfernung der Grenzbalken wurde mit einem Volksfest am Brennerpass gefeiert. “Das war für viele schon ein wichtiger symbolischer Akt, weil die Grenze am Brenner, die viele als Unrechtsgrenze bezeichnet haben oder das heute noch tun, zumindest symbolisch überwunden wurde”, sagt Pallaver im APA-Gespräch.
Insgesamt sei es ein Erfolg des EU-Beitritts Österreichs, dass dieser zum Abbau des Nationalismus zwischen Österreich und Italien beigetragen habe. Die EU-Mitgliedschaft beider Länder habe “Südtirol eine neue, friedensstiftende Rolle verliehen”, meint Pallaver. Bei Konflikten sei die mehrheitlich deutschsprachige Provinz immer wieder als Vermittler zwischen Österreich und Italien aufgetreten. “Das hat im Jahre 2000 mit den EU-Sanktionen gegen Österreich begonnen, als sich die SVP in Rom vermittelnd zugunsten Österreichs eingesetzt hat. Oder 2015/16 bei der Flüchtlings- und Asylproblematik, als der Brenner hätte geschlossen werden sollen”, so der Experte. Heute versuche Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher in der Transitfrage Rom und Wien näher zu bringen.
Durch den EU-Beitritt Österreichs fiel die Sonderstellung der Südtirolerinnen und Südtiroler, die sich zuvor in zahlreichen auch gesetzlichen Ausnahmeregelungen widergespiegelt hatte, in vielen Bereichen weg, weil diese als Unionsbürgerinnen und -bürger ohnehin gleichgestellt waren. Einen weiteren Abbau der Barrieren zwischen Nord- und Südtirol brachte die Einführung der gemeinsamen Währung Euro im Jahr 2002.
Erwartungen in Euregio nur zum Teil erfüllt
Näher bringen sollte die Teile des historischen Tirol auch die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino. Der EU-Beitritt lieferte die Rechtsgrundlage zur Schaffung der Euregio 2006. Diese genieße laut Umfragen zwar große Zustimmung in der Bevölkerung, habe aber nicht alle Erwartungen erfüllt, meint Pallaver. “Man hätte mehr machen können als die engere kulturelle Zusammenarbeit, wenn der politische Wille da wäre.” Bei strittigen Themen wie dem Verkehr höre die Kooperation rasch auf, weil die Interessen auseinandergehen. Der Transitverkehr erhitzt nach wie vor die Gemüter nördlich wie südlich des Brenners.
Den sezessionistischen Kräften habe der EU-Beitritt zum Teil den Wind aus den Segeln genommen, meint der Experte. In den vergangenen Jahren hätten sich die Argumente der Selbstbestimmungs-Befürworter inhaltlich geändert. Ging es früher um den Schutz der ethnischen Minderheit, um die “Verelsässerung” zu verhindern, würden jene Parteien, die eine Selbstbestimmung fordern, mittlerweile vorrangig wirtschaftliche Argumente vorbringen, warum sie sich von Italien lösen und nach Österreich zurückkehren wollten. In letzter Zeit sei die Debatte über die Selbstbestimmung allerdings kein Thema. Ändern könne sich dies, falls die FPÖ im Fall einer Regierungsbeteiligung den Doppelpass wieder ins Spiel bringen würde.
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