Von: Ivd
Berlin – Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten – und dennoch ist sie da. Am 3. Oktober jährte sich die deutsche Einheit zum 34. Mal. Einen Grund zu feiern gab es für viele nicht, denn die Unterschiede zwischen ehemals Ost und ehemals West sind nach wie vor gravierend. Schaut man auf einige Statistiken, verläuft weiterhin eine deutliche, wenn auch gedachte Grenze durch das Zentrum von Deutschland.
Während sich die alten und die neuen Bundesländer im Verlauf der letzten Jahre durch Maßnahmen wie Anhebungen des Mindestlohns anzunähern scheinen, bestehen in zentralen Fragen wie Einkommen, Investitionen und der Abwanderung weiterhin deutliche Unterschiede. Diese Diskrepanzen schüren nicht nur Unzufriedenheit in der Bevölkerung und ein Klassengefühl, sondern bieten hervorragende Nährböden für extremistische und populistische Parteien wie der AfD oder dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Lohngefälle: Zwei Deutschländer
Obwohl die Löhne im Osten im Laufe der Jahre gewachsen sind, verdienen Arbeitnehmer dort weiterhin deutlich weniger als ihre Kollegen im Westen. 2023 lag das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen im Westen bei 4.578 Euro, im Osten nur bei 3.754 Euro. Besonders auffällig ist dabei, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Osten kleiner ausfallen. Das ist auf die geschichtliche Rolle der Frauen innerhalb der DDR zurückzuführen, die genau wie Männer, Vollzeit arbeiten gehen mussten.
Rund 700 Euro weniger im Osten. 💸
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Durchschnittlich verdienten Menschen in Deutschland 2019 monatlich 3.401 Euro. Wenn sie voll angestellt waren und: nicht im Osten wohnten. Die Zahlen zeigen: Ost- und Westdeutschland unterscheiden sich massiv, wenn es um das Gehalt geht. pic.twitter.com/Zo60VTrEMJ— KATAPULT Magazin (@Katapultmagazin) June 4, 2021
Während Frauen heute in Ostdeutschland oft annähernd das Gleiche verdienen wie Männer, bleibt die Kluft im Westen deutlicher bestehen – in Baden-Württemberg etwa verdienen Frauen nur 78,6 Prozent des Lohns ihrer männlichen Kollegen.
Vermögensunterschiede: Im Osten gab es weniger zu erben
Besonders gravierend sind die Vermögensunterschiede. Ostdeutsche Haushalte verfügen im Durchschnitt über deutlich weniger Vermögen: Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte die ärmere Hälfte der ostdeutschen Haushalte 2022 nur rund 12.000 Euro Vermögen, während vergleichbare westdeutsche Haushalte etwa doppelt so viel besaßen. Die historischen Gründe hierfür liegen im sozialistischen Erbe der DDR, in der private Vermögensbildung im Vergleich zur BRD wenig Priorität hatte.
Rente: Eine vorsichtige Angleichung
Auch die Renten zeigen, dass die Unterschiede noch nicht vollständig überwunden sind. Zwar sollen bis 2025 gleiche Rentenpunkte für gleiche Erwerbsbiografien gelten, doch die Durchschnittsrenten bleiben unterschiedlich. 2021 betrug die durchschnittliche Rente für Männer im Westen 1.218 Euro, im Osten nur 1.141 Euro. Frauen im Osten hingegen beziehen oft eine höhere Rente, da sie häufiger durchgängig erwerbstätig waren.
Tesla statt Trabbi: Osten als Hoffnungsträger der Wirtschaft?
Während der Osten bei Einkommen und Vermögen zurückliegt, hat sich in den letzten Jahren eine positive Entwicklung in puncto Investitionen abgezeichnet. Große internationale Konzerne wie Tesla und Intel haben begonnen, in Ostdeutschland zu investieren. Diese Entwicklungen führen dazu, dass der Osten in den letzten Jahren ein höheres Wirtschaftswachstum (laut Ifo-Institut 1,1 Prozent) verzeichnet als der Westen (bundesweit auf rund 0,2 Prozent für 2024 geschätzt). Dennoch bleibt die Frage, ob diese Investitionen nachhaltig genug sind, um das wirtschaftliche Ungleichgewicht langfristig auszugleichen.
#Tesla hat in Grünheide das 400.000. #Elektroauto produziert https://t.co/SSo0PEOhGz pic.twitter.com/3gFZlzcOR3
— ecomento.de (@ecomento_de) October 9, 2024
Politische Konsequenzen: Nährboden für Populismus
Die wirtschaftlichen Unterschiede tragen auch dazu bei, dass viele Ostdeutsche das Gefühl haben, abgehängt zu sein – ein fruchtbarer Boden für populistische Parteien. Die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht nutzen die wachsende Unzufriedenheit und das Misstrauen gegen Institutionen, um sich als Gegenentwurf der etablierten Parteien zu inszenieren – und das mit großem Erfolg. Das hat sich besonders bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg vor gut einem Monat gezeigt.
Auch das Gefühl der inneren Einheit bleibt für viele frustrierte Ostdeutsche aus. Der Soziologe Steffen Mau erklärt: „Die Illusion, dass der Osten irgendwann genauso wie der Westen sein würde, ist nicht eingetreten. Stattdessen haben sich viele Unterschiede gefestigt, was auch die politischen Einstellungen beeinflusst.“ Die Folge: mehr Wechselwähler und eine größere Offenheit gegenüber radikalen Positionen.
Wird Deutschland die Teilung eines Tages überwinden
Während mit Nachdruck daran gearbeitet wird, eine populistisch geführte Landesregierung im Osten zu verhindern, wächst der Unmut in der Bevölkerung. Diese Kluft hat nicht nur Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse, sondern auch auf das politische Klima. Um die Einheit wirklich zu vollenden, bedarf es nicht nur wirtschaftlicher Angleichung, sondern auch eines stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalts, der die Unterschiede nicht nur akzeptiert, sondern aktiv überwinden möchte. Denn eins ist sicher: Sollten die etablierten Parteien daran scheitern, hätte der Populismus gute Chancen auf ein Allzeithoch nach Kriegsende.
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