Von: ka
Bozen – Abendveranstaltung mit Vorträgen zur politischen Frauenvertretung und einem Runden Tisch über Frauen in der Landespolitik und Südtirols Weg in eine gleichberechtigte Gesellschaft.
„Frauen dürfen seit 80 Jahren wählen, aber bis zur gleichberechtigten Vertretung in den parlamentarischen Versammlungen Europas ist es noch ein weiter Weg. Dies wohl vor allem aus kulturellen Gründen, die immer noch ein Hindernis darstellen. Auch in den Geschichtsbüchern werden die Leistungen der Frauen nicht so stark hervorgehoben wie jene der Männer: Deshalb sind Vorbilder wie Waltraud Gebert-Deeg und Lidia Menapace wichtig; sie haben gezeigt, dass es möglich ist, gewählt zu werden und Zeichen zu setzen. Frauen haben einen anderen Blickwinkel auf die Dinge, der einen Mehrwert darstellt“: Mit diesen Worten begrüßte Landtagspräsident Arnold Schuler am heutigen Freitag (15. November) im Plenarsaal des Südtiroler Landtages Ehrengäste und andere Teilnehmende zur Abendveranstaltung der Tagung „60 Jahre Frauenvertretung im Südtiroler Landtag 1964 – 2024“. Das Event war anlässlich des Jahrestages der Wahl der ersten Südtiroler Landtagsabgeordneten Lidia Menapace und Waltraud Gebert-Deeg im Jahr 1964 organisiert worden.
Landeshauptmann Arno Kompatscher verwies in seiner Stellungnahme dann auf den Film „C’è ancora domani“ von Paola Cortellesi und die darin dargestellte Situation der Frauen und ergänzte, dass mit dem Gleichstellungsaktionsplan Südtirol versucht werde, Geschlechterstereotypen zu überwinden. „Bestimmte Sichtweisen werden sich erst ändern, wenn es mehr Frauen in der Politik gibt. Die Herangehensweisen von Frauen und Männern unterscheiden sich – doch beide sind notwendig.”
Willkommen geheißen wurden die Anwesenden auch von den Vertreterinnen der Einrichtungen, die die Tagung gemeinsam mit dem Landtag organisiert hatten. So stellte Gleichstellungsrätin Brigitte Hofer fest: „Der Weg zur Gleichstellung, vor allem in der Politik und in der Arbeitswelt, war für Frauen oft ein holpriger und es gilt nach wie vor, viele Hindernisse zu überwinden: Es ist die Unterstützung aller notwendig, um die Gleichstellung zu erreichen.” Ulrike Oberhammer, Vorsitzende des Landesbeirats für Chancengleichheit für Frauen, betonte indes, dass von den 243 seit 1948 in den Landtag gewählten Personen lediglich 36 Frauen waren – 14,8 Prozent, und dass lange Zeit keine Frau Mitglied der Landesregierung war. „Deshalb ist es wichtig, die vorhandenen Vorbilder aufzuzeigen, um zu vermitteln, was möglich ist.” Alessandra Spada, Präsidentin des Frauenarchivs Bozen, freute sich über die Anwesenheit zahlreicher ehemaliger Landtagsabgeordneter und machte deutlich, dass die heutige Veranstaltung auch dazu dienen sollte, darüber nachzudenken, was getan wurde und was noch getan werden muss, um die Geschlechtergleichstellung zu erreichen. Sie sei überzeugt davon, dass „es wichtig ist, niemals bereits Erreichtes zu vernachlässigen“. Katharina Crepaz vom Center for Autonomy Experience von Eurac Research, die die Veranstaltung moderierte, hob die Rolle der Vorreiterinnen Gebert-Deeg und Menapace hervor und wies auf den Gender Report der Eurac hin, der einen detaillierten Blick auf die Vertretung von Frauen in der Politik gewährt und Best-Practice-Beispiele aufzeigt.
Zum Auftakt der Tagung hatte am Vormittag im Landtag ein Workshop für Schulen stattgefunden. Die Abendveranstaltung begann dann mit einer Reihe von Vorträgen zum Thema Frauen in der Politik: Chiara Paris (Center for Advanced Studies – Eurac Research) beleuchtete zunächst die „Entwicklung der Geschlechtergleichstellung in Südtirol und Italien”. Im Anschluss berichtete die freie Journalistin Renate Mumelter über das Familienleben und das soziale und politische Engagement von Gebert-Deeg, die Landesleiterin der KVW Frauen war, in zwei Legislaturen zur Landesrätin bestellt wurde und als erste Frau das Amt der Landtagspräsidentin innehatte. Die ehemalige Landtagsabgeordnete Grazia Barbiero brachte bei dieser Gelegenheit persönliche Erinnerungen an Gebert-Deeg ein und unterstrich u.a. deren Diskussionsbereitschaft bei der Ausarbeitung des ersten Gesetzes zu den Frauenhäusern. Alessandra Spada, Präsidentin des Frauenarchivs Bozen, referierte über den Weg Menapaces, die die erste Landesrätin Südtirols war, – von den Partisanenbewegungen, an die sie sich angenähert hatte, nachdem zwei jüdische Mitschüler von der Schule ausgeschlossen worden waren, über den politischen Aktionismus in Landtag und Senat sowie die Unterstützung der Autonomie bis hin zu ihrem feministischen und pazifistischen Engagement. Und schließlich sprach Sara Boscolo (Institut für Public Management von Eurac Research) über Frauen in der Gemeindepolitik, wobei sie auch auf den jüngst gestarteten Lehrgang für Frauen in der Gemeindepolitik und auf die Notwendigkeit hinwies, Kandidaturen von Frauen zu fördern.
Zeugnis über Erfahrungen von Frauen an der Politik gaben schließlich Aussagen früherer Landtagsabgeordneter, die vorab gesammelt und den Anwesenden vorgetragen wurden. Aus diesen wurden u.a. unterschiedliche Positionen ersichtlich, etwa einerseits der Anspruch von Frauen, in ihrem politischen Handeln insbesondere die Bedürfnisse von Frauen zu vertreten, andererseits jener, für die gesamte Bevölkerung tätig zu sein. Fast alle, die Statements abgegeben haben, gaben an, mehr oder weniger offensichtliche Diskriminierungen aufgrund ihres Frauseins in der Politik erlebt zu haben; weitgehende Einigkeit herrschte ebenso bei der Zustimmung zu Quotenregelungen. Angesprochen wurden weiters die Zusammenarbeit zwischen Mandatarinnen unterschiedlicher politischer Ausrichtung sowie Vorsätze für die Zukunft: die Steigerung der Präsenz von Frauen in politischen Entscheidungsgremien durch die Einführung der geschlechtergerechten Vorzugsstimme bei Wahlen, eine Gleichstellung der Gehälter von Frauen und Männern sowie eine gerechte Aufteilung der Care-Arbeit.
Der Abend endete mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Frauen in der Landespolitik und Südtirols Weg in eine gleichberechtigte Gesellschaft“ mit den Landtagsabgeordneten Magdalena Amhof, Waltraud Deeg (die sich für die Organisation und das Interesse an der Tagung bedankte, die auch dem Andenken an ihre Mutter gewidmet war), Brigitte Foppa, Rosmarie Pamer, Maria Elisabeth Rieder und Madeleine Rohrer. Die Mandatarinnen sprachen u.a. über ihre Beweggründe für den Einstieg in die Politik, ihre Position zu und ihre Erfahrungen mit Quotenregelungen, die Wichtigkeit von Netzwerken unter Frauen, die Bedeutung von Ausbildung, gleicher Entlohnung für Frauen und Männer und sozialer Absicherung von Pflegearbeit, die Elternzeit, die Notwendigkeit, dass Frauen Frauen wählen, und ihre Ratschläge an Frauen, die politisch aktiv werden möchten.
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