Von: mk
Bozen – Eurac Research und das Landesinstitut für Statistik ASTAT haben erhoben, wie die Menschen in Südtirol emotional auf den Klimawandel und seine Folgen reagieren, und analysiert, welche gesellschaftlichen Spannungen und Konflikte sich daraus ergeben.
Die Sorge um die Zukunft unseres Planeten und unserer Lebensgrundlage ist auch in Südtirol weit verbreitet. Das zeigt das Ergebnis einer aktuellen Umfrage von Eurac Research und des Landesinstituts für Statistik ASTAT. 1.028 Südtirolerinnen und Südtiroler wurden im Sommer 2023 dazu befragt, welche Gefühle und Einstellungen sie mit der Klimakrise und den derzeitigen Bewältigungsstrategien verbinden. Es sind vor allem negative Emotionen, etwa Besorgnis und Angst, aber auch Frustration und Machtlosigkeit, die dabei am häufigsten genannt wurden. Es ist die erste Studie, die das Phänomen Klimaangst für Südtirol untersucht.
„Die Studienergebnisse zeigen: Es geht nicht mehr um die Frage, ob es den Klimawandel überhaupt gibt oder ob dieser menschengemacht ist. Es geht darum, wie wir gesellschaftlich und politisch damit umgehen sollen“, unterstreicht Felix Windegger, Sozioökonom am Center for Advanced Studies von Eurac Research. Er ist einer der Autoren der Studie, die heute im Palais Widmann vorgestellt wurde. 80 Prozent der Befragten blicken mit Sorge auf den Klimawandel und seine Folgen. Vor allem Trockenheit und Wassermangel sowie Starkregen und Überschwemmungen wurden im Zuge der Umfrage als besonders besorgniserregend hervorgehoben. 70 Prozent gaben an, dass ihnen die möglichen Folgen des Klimawandels Angst machen und knapp 40 Prozent der Südtirolerinnen und Südtiroler fühlen sich mit Schuldgefühlen konfrontiert, weil sie das Gefühl haben, sie könnten oder sollten mehr für den Klimaschutz tun. Angst und Schuld sind auch im internationalen Kontext vieldiskutierte Emotionen im Zusammenhang mit der Klimakrise. Erstmals wurde das Phänomen Klimaangst nun auch in einer Studie für Südtirol thematisiert. Es ist bereits die zweite Zusammenarbeit zwischen Eurac Research und dem Landesinstitut für Statistik ASTAT im Rahmen des ASTAT-Panels „So denkt Südtirol“.
„Was heraussticht, ist eine gewisse Klimamüdigkeit“, betont Windegger. „Ein Teil der Südtiroler Bevölkerung scheint negativen Meldungen zum Klimawandel überdrüssig zu sein. Zudem geben trotz des generell hohen Problembewusstseins mehr als 70 Prozent an, dass ihnen viele der Protestaktionen für mehr Klimaschutz zu weit gehen.“ Was nicht bedeute, dass sie sich nicht ein schnelleres Handeln in Klimafragen wünschen würden. Immerhin 56 Prozent gaben an, dass sie demokratische Verfahren (zumindest in Ausnahmefällen) vorübergehend aufheben würden, um im Klimaschutz schneller voranzukommen. Nur ein Drittel spricht sich in jedem Fall dagegen aus. „Diese Ergebnisse zeigen, dass die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Politik hat, den rasanten Veränderungen durch den Klimawandel bewusst und rechtzeitig entgegenzutreten. Das kann auch damit zusammenhängen, dass die Warnungen zunehmen, bei konkreten Maßnahmen aber wieder zurückgerudert wird“, betont Christoph Kircher, Soziologe am Center for Advanced Studies, ebenfalls Autor der Studie. „Ein weiterer Faktor können fehlende partizipative Möglichkeiten sein“, sagt Windegger. „Die Bürgerinnen und Bürger sind kaum in Entscheidungsprozesse involviert. Wenn hinter verschlossenen Türen diskutiert wird, aber keine Maßnahmen folgen, kann der Eindruck entstehen, dass das System zu langsam ist, um schnell genug zu reagieren.“ Nur 28 Prozent sind mit den derzeitigen Bemühungen zur Eindämmung der Klimakrise zufrieden. Ein wesentlich größerer Teil gibt an, sich machtlos (67 Prozent) oder frustriert (48 Prozent) zu fühlen. Hoffnungsvoll auf die Bemühungen blicken 51 Prozent, während sich die Angaben zur Wut mit 31 Prozent in Grenzen halten. Interessante Unterschiede konnten zwischen den Sprachgruppen festgestellt werden. Personen italienischer Muttersprache blicken deutlich hoffnungsvoller auf die derzeitigen Bemühungen gegen den Klimawandel (74 Prozent) als deutschsprachige Personen (43 Prozent).
Erhoben wurde auch das Bewusstsein der Südtiroler Bevölkerung im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit in klimapolitischen Fragen. 60 Prozent nehmen an, dass die Menschen ungleich von den Folgen des Klimawandels betroffen sein werden. Wohnort und sozio-ökonomische Aspekte wurden dabei als häufigste Faktoren genannt. Was die Kosten für die Eindämmung des Klimawandels angeht, so geben 47 Prozent der Befragten an, dass nach dem Verursacherprinzip jene verantwortlich sein sollten, die auch am meisten zur Problematik beitragen. Nur sehr wenige vertreten die Meinung, dass die Betroffenen selbst für die Kosten aufkommen sollten, was auf eine hohe Sensibilität für Gerechtigkeitsfragen hinweist.
Um ein differenzierteres Bild zur emotionalen Haltung der Südtirolerinnen und Südtiroler zur Klimakrise zu zeichnen, haben die Forschenden Befragte mit ähnlichen affektiven Haltungen in drei Gruppen zusammengefasst: die Besorgten, die Misstrauischen und die Gelassenen. In der Gruppe der Besorgten (39 Prozent) sind Besorgnis und Angst sehr stark ausgeprägt. In Bezug auf die bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels gaben sie an, sich besonders wütend, frustriert und machtlos zu fühlen. Die Gelassenen (36 Prozent) zeichnen sich durch eine relativ hohe Zufriedenheit aus und haben große Hoffnung, die Klimakrise gut zu meistern. Ihr Vertrauen richtet sich vor allem auf eine technologische Lösung. In der Gruppe der Misstrauischen (25 Prozent) wird der Klimawandel zwar nicht geleugnet, aber als zweitrangiges Problem betrachtet. Vorschriften und Appelle für klimabewussteres Handeln werden in dieser Gruppe strikt abgelehnt, Klimaproteste am häufigsten als unangemessen und übertrieben eingestuft.
Interessante Unterschiede zeigt die Studie nach Geschlecht und Bildungsstatus, aber auch im Hinblick auf wirtschaftspolitische und demokratiepolitische Einstellungen. So finden sich unter den Besorgten mehr Frauen. Männer und Personen mit Mittel- oder Berufsschulabschluss können häufiger der Gruppe der Misstrauischen zugeordnet werden. Auch, was die Sprachgruppe anbelangt, zeigt sich: Italienischsprachige Personen sind vermehrt in der Gruppe der Gelassenen, Personen deutscher Muttersprache mehr bei den Misstrauischen und Besorgten zu finden. Die Gruppe der Misstrauischen ist auch jene Gruppe, die in der Zuwanderung und Migration eine größere Herausforderung als im Klimawandel sieht. In Sachen Demokratie zeigen sich die Misstrauischen am wenigsten zufrieden. Auch gibt diese Gruppe an, sich kaum politisch selbstwirksam zu fühlen. Eine ambitionierte, konsequente und vor allem partizipative Klimapolitik könne dabei helfen, die Demokratie neu zu beleben und das Vertrauen in sie zu stärken, unterstreichen die Autoren der Studie. Soziale und ökonomische Lasten gelte es fair zu verteilen, um die gesellschaftliche Akzeptanz für Klimamaßnahmen zu erhöhen und der Entstehung von neuen Ungleichheiten entgegenzuwirken. Nicht zuletzt zeigen die Ergebnisse zu Klimaangst, dass auch Angebote zur Belastungsbewältigung wichtiger werden.
Die Umfrage erfolgte auf Basis einer probabilistischen Zufallsstichprobe und lässt daher Rückschlüsse auf die Gesamtbevölkerung zu. Die detaillierten Ergebnisse der Studie „So denkt Südtirol: Emotionen und Ungleichheiten in der Klimakrise“ stehen unter folgendem Link zum Download zur Verfügung: https://webassets.eurac.edu/31538/1717397373-2024-eurac-research-astat-emotionen-und-ungleichheiten-in-der-klimakrise.pdf