Von: mk
Bozen – Absolventen einer vierjährigen Berufsausbildung können im Schuljahr 2017/18 erstmals über einen zweijährigen berufsbegleitenden Lehrgang die Matura machen.
Dank eines zweijährigen berufsbegleitenden Lehrgangs in Form eines Lehrvertrags erhalten Absolventen einer vierjährigen Berufsausbildung im kommenden Schuljahr erstmals die Möglichkeit, sich in der Berufsschule auf die Matura vorzubereiten, ohne aus dem Berufsleben aussteigen zu müssen. Die Grundlage für diese besondere Form der Lehre ist eine Sonderbestimmung für Südtirol, die 2015 in die staatliche Arbeitsmarktreform (“Jobs act”) eingefügt wurde. Bildungslandesrat Philipp Achammer hat das Pilotprojekt heute vorgestellt.
“Ziel dieses Angebotes ist, dass sich Jugendliche nach der Mittelschule nicht zwischen Lehre oder Matura, praktischer Ausbildung oder Matura entscheiden müssen, sondern dass ein Sowohl-als-auch möglich ist, falls sie dies wünschen”, sagte Landesrat Achammer. Durch diesen neuen Lehrgang gebe es nun die Möglichkeit, in insgesamt sechs Jahren Lehre die Matura zu erreichen. “Dies ist ein Meilenstein in der Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der Ausbildung”, betonte Achammer, “denn damit kann die Matura berufsbegleitend gemacht werden, ohne aus dem Berufsleben aussteigen zu müssen.”
Der Direktor des Bereichs deutsche Berufsbildung Gustav Tschenett erinnerte daran, dass es die Berufsmatura in Südtirol mittlerweile seit drei Jahren gibt. Der Maturalehrgang über einen Lehrvertrag sei nun ein zusätzliches Angebot, das für Schülerinnen und Schüler, die im Berufsleben stehen, eine interessante Alternative darstellt.
Die Direktorin des Amtes für Lehrlingswesen und Meisterausbildung Cäcilia Baumgartner stellte anschließend das Konzept vor.
Bei dem Angebot handelt es sich vorerst um ein Pilotprojekt, das sich an Personen mit einem Lehrabschluss in folgenden Berufen des Bereichs Handwerk und Industrie richtet: Elektrotechniker, Kommunikationstechniker, Maschinenbaumechaniker, Maurer, Mechatroniker, Mediengestalter (Techniker sowie digital und Print), Schlosser, Schmiede, Steinbildhauer, Tischler, Werkzeugmacher und Zimmerer. Der Lehrgang findet an der Berufsschule für Handwerk und Industrie in Bozen statt. Zugangsberechtigt sind Personen, die bis zu 24 Jahre alt sind, in Besitz eines Berufsbildungsdiploms der Lehre bzw. einer Berufsschule sind oder dieses im Schuljahr 2016/17 erlangen werden und einen gültigen Lehrvertrag vorweisen. Zudem müssen sie das vorgesehene Aufnahmeverfahren bestehen. Dieses besteht aus einer schriftlichen Prüfung in Deutsch und Mathematik, einem Gespräch zur Überprüfung der Kenntnisse in Italienisch, Englisch und Betriebswirtschaft sowie einem Gespräch zur Feststellung der Motivation der Kandidaten.
Der Lehrgang umfasst insgesamt 1.232 Unterrichtsstunden, die auf zwei Jahre – d.h. vier Semester – aufgeteilt sind. Der Unterricht findet in den ersten drei Semestern freitags und samstags statt, im 4. Semester zusätzlich auch donnerstags. Die Inhalte des Lehrgangs umfassen den Bereich der allgemeinbildenden Fächer, einen Projektbereich sowie fachspezifische Fächer.
Interessierte können sich bis 15. März 2017 bei der Berufsschule für Handwerk und Industrie in Bozen (Tel. 0471 540703, E-Mail: Rosy.Piaia@schule.suedtirol.it) anmelden. Detaillierte Informationen sind außerdem auf folgender Website abrufbar: www.provinz.bz.it/berufsbildung/ausbildung/1914.asp.
Zum Abschluss dankte Landesrat Achammer dem bisherigen Direktor des Bereichs deutsche Berufsbildung, Hartwig Gerstgrasser, der maßgeblich an der Entwicklung sowohl der Berufsmatura als auch der Matura über die Lehre beteiligt war und wünschte dem neuen Bereichsdirektor, Gustav Tschenett, viel Erfolg mit seiner neuen Aufgabe.
ASGB: Grundsätzlich erfreut über die zur Matura führende Lehre
Die zur Matura führende Lehre ist laut dem Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB) äußerst begrüßenswert.
„Dass die Lehre letzthin oftmals als Einbahnstraße stigmatisiert wurde ist eine Tatsache. Dem entgegenzuwirken setzt die zur Matura führende Lehre mit Sicherheit die richtigen Akzente. Das Ausbildungsmodell der Lehre hat sich als ein Erfolgsmodell in Südtirol gefestigt, das damit die richtige Aufwertung erfährt“, zeigt sich der Vorsitzende des ASGB, Tony Tschenett, über die zur Matura führende Lehre erfreut.
„All dem Lob zum Trotz muss ich aber auf einen Schwachpunkt aufmerksam machen, der das Potential hat, Berufskategorien erster und zweiter Klasse zu schaffen: einerseits ist die Berufsmatura nicht für alle Berufskategorien vorgesehen und zum anderen kommt sie für die Absolventen der dreijährigen Lehrzeit gar nicht in Frage. Im Sinne der Gleichbehandlung aller Berufszweige muss hierfür schleunigst eine Lösung gefunden werden. Ansonsten riskiert man die hausgemachte Abwertung von Lehrberufen aufgrund nicht vorhandener Weiterbildungschancen“, gibt Tschenett zu bedenken.