Von: APA/AFP/dpa/Reuters
In der Türkei haben Millionen an den Vorwahlen der oppositionellen CHP teilgenommen und für den inhaftierten Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu als Präsidentschaftskandidaten gestimmt. Trotz seiner Festnahme erreichte er rund 15 Mio. Stimmen. İmamoğlu sitzt wegen mutmaßlicher Korruption in U-Haft und wurde von seinem Amt suspendiert. Zehntausende Türken protestierten gegen seine Festnahme, welche international auf Kritik stößt und als Angriff auf die Demokratie gilt.
İmamoğlu wird als wichtigster Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei den Präsidentschaftswahlen gehandelt. Reguläre Präsidentenwahlen in der Türkei sind für 2028 angesetzt. Erdoğan könnte sie jedoch vorziehen, um eine Begrenzung auf zwei Amtszeiten zu umgehen, falls er wieder antreten will.
İmamoğlus Verhaftung ist der vorläufige Höhepunkt einer monatelangen juristischen Kampagne gegen Oppositionelle, die als Versuch kritisiert wird, deren Wahlchancen zu schmälern und abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen. Die Regierung weist die Vorwürfe zurück.
Hunderttausende bei Massenprotesten
Laut seiner Partei hatten sich am Wochenende insgesamt Hunderttausende Menschen an den Massenprotesten beteiligt. Die Untersuchungshaft gegen İmamoğlu hatte das Istanbuler Caglayan-Gericht Sonntagfrüh wegen mutmaßlicher Korruption verhängt. Die von der Staatsanwaltschaft angestrebte Anordnung von U-Haft auch wegen “Terrorismus”-Vorwürfen lehnten die Richter hingegen ab. Neben İmamoğlu wurde gegen weitere Mitbeschuldigte Untersuchungshaft verhängt, darunter einer seiner engsten Berater.
Nach Angaben der CHP wurde der 53-Jährige Sonntagnachmittag in die Haftanstalt Silivri bei Istanbul verbracht. In der Haftanstalt sind oder waren mehrere prominente Oppositionelle und Journalisten inhaftiert, unter ihnen auch zwischen 2017 und 2018 der deutsche Journalist Deniz Yücel. Einer von İmamoğlus Anwälten sagte, dass per Haftbeschwerde juristisch gegen die Untersuchungshaft vorgegangen werden solle.
Wenige Stunden nach Verkündung der Untersuchungshaft gab das Innenministerium bekannt, İmamoğlu seines Amts als Bürgermeister enthoben zu haben. İmamoğlu sei “von seinen Aufgaben suspendiert worden”, hieß es in einer Erklärung.
CHP spricht von “politischem Staatsstreich”
İmamoğlus Partei CHP sprach von einem “politischen Staatsstreich” und rief dazu auf, “weiterzukämpfen”. Der Oppositionspolitiker selbst gab sich am Sonntag weiter kämpferisch. “Ich stehe aufrecht, ich werde mich niemals beugen, alles wird gut”, erklärte er über seine Anwälte im Onlinedienst X.
Den Slogan “Alles wird gut” hatte İmamoğlu bereits im Jahr 2019 verwendet, nachdem seine Wahl zum Istanbuler Bürgermeister zunächst annulliert worden war. Bei der Wiederholung des Urnengangs siegte er dann deutlich, 2024 wurde er in das Amt wiedergewählt.
Ungeachtet der Festnahme von İmamoğlu hielt die CHP am Sonntag die Vorwahl für die Präsidentschaftskandidatur der Partei ab. Wegen der hohen Teilnahme wurde die Abstimmung bis in die Abendstunden verlängert. Rund 15 Millionen Menschen stimmten schließlich für İmamoğlu , wie das Rathaus von Istanbul mitteilte. Unter ihnen seien 13,2 Millionen Menschen ohne Parteibuch der CHP, die “ihre Solidarität” mit İmamoğlu zum Ausdruck gebracht hätten. İmamoğlu war der einzige Kandidat bei der Vorwahl.
Das Abstimmungsergebnis mache ihn “sehr glücklich”, erklärte der inhaftierte Bürgermeister laut einer Mitteilung des Rathauses. Millionen Menschen seien zu den Wahlurnen geströmt, “um Erdogan zu sagen: Es reicht”. İmamoğlu war am Mittwoch festgenommen worden. Am Samstagabend wurde er zu mehrstündigen Verhören durch die Staatsanwaltschaft in den Istanbuler Caglayan-Justizpalast gebracht.
Zusammenstöße mit der Polizei
Bei den neuerlichen Protesten gegen die Regierung am Sonntagabend in Istanbul kam es erneut zu Zusammenstößen. Die Polizei setzte wie schon am Vorabend Tränengas ein.
Hunderte Menschen wurden seit Beginn der Proteste in mehreren Städten festgenommen. Der Onlinedienst X teilte Sonntagabend mit, dass die türkischen Behörden die Sperrung von mehr als 700 Nutzerkonten verlangt hätten. Der Kurzbotschaftendienst erklärte, er lehne die Maßnahmen ab, die sich unter anderem gegen “Journalisten, Politiker, Studenten und anderen Personen” richteten.
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