"Between War and Peace", 1995

“Aktueller denn je”: Jüdisches Museum Wien sucht “Frieden”

Montag, 06. November 2023 | 14:06 Uhr

Von: apa

Das Jüdische Museum Wien (JMW) will dem Kriegstreiben etwas entgegensetzen und spürt am Standort Judenplatz dem Frieden in einer gleichnamigen neuen Ausstellung nach. Gezeigt werden unterschiedliche Positionen und Bedeutungen anhand von Kunstwerken, historischen Objekten und politischen Ereignissen. Geplant unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges sei die Schau durch die Terrorangriffe der Hamas auf Israel “aktueller denn je”, sagte JMW-Direktorin Barbara Staudinger am Montag.

“Gerade in Zeiten des Krieges müssen wir einmal vom Krieg, der unsere ganze Aufmerksamkeit einnimmt, wegschauen und uns überlegen, was Frieden bedeuten kann”, so die Museumschefin in einer Presseführung. Gearbeitet wird in dieser von Tom Juncker und Adina Seeger kuratierten Ausstellung freilich mit viel Symbolkraft. So entdeckt man gleich im Foyer ein unscheinbares Pflänzchen. Es handelt sich um einen der inzwischen rund 300 gezogenen Setzlinge eines Kakibaums, der im August 1945 den Atombombenabwurf auf Nagasaki überlebte. Im Rahmen eines Kunstprojekts werden seit Jahren “Nachkommen” gezogen und weltweit an Schulen und Friedensinitiativen verteilt.

Im ersten der insgesamt drei Ausstellungsräume wird dann einmal den unterschiedlichen Definitionen von Frieden nachgegangen – sei es durch ein “ABC des Friedens” von A wie Abrüstung bis Z wie Zusammenleben oder der Herleitung des Wortes in diversen Sprachen und Kulturkreisen. Aufgebracht sind sie auf einer runden Tischplatte, auf der auch buntes Papier aufliegt. Besucherinnen und Besucher sind dazu eingeladen, nach Anleitung Kraniche – sie stehen in Japan für Glück und Langlebigkeit und wurden nach Hiroshima zum internationalen Friedenssymbol – zu falten oder auf runden Papierplättchen mit Friedenstauben ihre Vorstellungen von einem gewaltfreien Zusammenleben aufzuschreiben.

Ein spezieller Fokus liegt auf der Bedeutung des Begriffs im Judentum. Im Zentrum steht das Werk des Künstlers Larry Abramson. Gezeichnete Zweige bilden die hebräischen Schriftzeichen für “Schalom, Schalom”, das als Begrüßungs- und Abschiedsformel dient und in etwa “Friede sei mit Dir” bedeutet. Die Fragilität und Zerbrechlichkeit der Zweige verdeutliche nicht nur die Hilflosigkeit gegenüber Krieg, sondern auch die Phrasenhaftigkeit, die die Worte im Laufe der Zeit angenommen hätten, erklärte Kurator Juncker.

Im zweiten Raum wird die Rolle des Friedens im Verhältnis zu Politik, Krieg oder Feminismus nachgespürt. Anhand eines Blauhelms wird die Geschichte der UN-Friedenstruppen erzählt, ein Videomitschnitt von der Unterzeichnung der Beitrittserklärung Österreichs zur EU steht für das Friedensprojekt Europa. Deutlich höher fällt der Aktualitätsbezug aus, wenn man etwa vor einem Werkpaar aus der Serie “Before and After” der ukrainisch-israelischen Künstlerin Zoya Cherkassky-Nnadi steht. Links hängt eine Zeichnung aus dem Zyklus “Soviet Childhood”, in dem die Malerin Erinnerungen an ihre sowjetische Kindheit festgehalten hat. Hier sieht man Mutter und Tochter vom Balkon einer Wohnung auf eine friedliche Stadt mit schönen Häusern und viel Grün herabblicken. Auf dem rechten Bild hat Cherkassky-Nnadi dieselbe Szene noch einmal nach dem Angriffskrieg Russlands gemalt: Das Mädchen klammert sich an die Mutter, die Wohnhäuser brennen, die Straßen sind voll mit Panzern.

Wie ein Kommentar auf die aktuelle Lage in Nahost liest sich die Arbeit von Andi Arnovitz, die schon vor dem Hintergrund des Gaza-Konflikts entstanden ist. Unter einem Glassturz sind drei Klopapierrollen zu sehen. Auf das Papier gedruckt ist der Wortlaut der Osloer Verträge aus 1993 – jenem Friedenskonzept für den Nahen Osten, “das noch am aussichtsreichsten hätte sein können”, wie es Kuratorin Seeger formulierte. Was Arnovitz von den schönen Worten hält, wird spätestens mit dem Titel seines Werks klar: “The Only Thing Left To Do With The Oslo Accords”, hat er seine Klopapier-Installation genannt.

Eine “ganz traurige Art der Aktualität” ergibt sich schließlich im Kapitel über den Frieden im Zusammenhang mit der Frauenbewegung. Ein Video stellt die israelische Initiative “Woman Wage Peace” vor, die sich – ebenfalls nach dem Gaza-Konflikt – 2014 als breites, religionsübergreifendes Bündnis formiert hat und in erster Linie die Forderung erhebt, Frauen in alle politischen Friedensbestrebungen miteinzubeziehen. Eine der Aktivistinnen, Vivian Silver, wird seit kurzem vermisst. Es werde vermutet, dass sie als Geisel von ihrem Wohnort nahe Gaza verschleppt worden sei, erfährt man auf der Texttafel. Dass auf der gegenüberliegenden Wand eine 1978 von Friedensreich Hundertwasser konzipierte “Friedensfahne für das Gelobte Land” hängt, die unter einem blauen Davidstern einen liegenden und damit gewissermaßen lächelnden Halbmond vereint, wirkt angesichts der aktuellen Lage nur mehr als weltfremde Utopie aus längst vergangenen Tagen.

(S E R V I C E – Ausstellung “Frieden” von 7. November 2023 bis 26. Mai 2024 im Museum Judenplatz, Wien 1, Judenplatz 8, Katalog: 24,90 Euro, Sonntag bis Donnerstag, 10 bis 18 Uhr, Freitag 10 bis 14 Uhr (Sommerzeit 10 bis 17 Uhr) geöffnet. www.jmw.at )