Von: mk
Sellajoch – Am Beispiel Sellajoch und Langkofelscharte haben Alpin- und Naturschutzvereine auf die Verletzlichkeit der Natur hingewiesen. Es brauche mehr Ruhe statt Rummel und vor allem mehr Respekt für die Bergwelt. Die Grenzen der Belastbarkeit sind erreicht, so der allgemeine Tenor.
Die Maxime „immer mehr, immer weiter“ führe zu einer Übererschließung. Dies stellte AVS-Präsident Georg Simeoni anlässlich einer Pressekonferenz am Sellajoch fest. Am Fuße des Langkofels seien die Eingriffe und Fehlentwicklungen unübersehbar und weitere Erschließungen, Ausbauten und Vergrößerungen seien bereits geplant. „Der Druck auf das alpine Umfeld wird immer größer und der Respekt vor der Natur immer kleiner“, stellte Georg Simeoni fest. Als Präsident des Südtiroler Alpenvereins sei es seine Aufgabe, auf die „Verletzlichkeit der Natur hinzuweisen und die Politik und die Wirtschaft wachzurütteln, damit der alpine Raum endlich zur Ruhe kommen kann“.
So stand auch die Pressekonferenz unter dem Thema „Ruhe statt Rummel“. Und von Rummel war Donnerstag gegen Mittag nahe der Straße am Sellajoch jede Menge zu spüren. Simeoni erinnerte daran, dass die alpinen Vereine Südtirols und des Trentino eine zeitweilige Sperrung der Passstraßen, vor allem der Dolomitenpässe, seit 2005 fordern. Passiert sei in den vergangenen 18 Jahren so gut wie nichts, so der AVS-Präsident. Vorstellbar ist für Simeoni eine Sperrung der Passstraßen ebenso wie eine Kontingentierung des Verkehrs. Wichtig sei es, wieder Ruhe ins Gebiet zu bringen. Von einer Entlastung würden alle profitieren, Kletternde ebenso wie Wandernde, die Radfahrer und Erholungssuchenden und vor allem die Natur und die Tierwelt.
Respekt vor der Natur
„Zu allen Jahreszeiten drängen Bergbegeisterte und Ausflügler in die Berge. Dies ist in vielen Gegenden der Alpen so, aber auch im Apennin ist die Situation ähnlich prekär“, berichtete Antonio Montani, Präsident des nationalen CAI. Die Lösung sei sicher nicht, Aufstiegsanlagen, Wege und Hütten ständig zu erweitern und auszubauen. Neue und größere Infrastrukturen brächten neue Probleme mit sich, die Grenzen der Belastbarkeit seien erreicht – für die Natur ebenso wie für die ansässige Bevölkerung.
Aufs Sellajoch gekommen war auch Roland Stierle, Präsident des Deutschen Alpenvereins (DAV). Er forderte mehr Respekt vor der Natur und Genügsamkeit in den Bergen. „So wie die Alpenvereine seit Jahrzehnten die Erschließung des alpinen Raums für abgeschlossen erklärt haben, ist auch der weitere Ausbau zur kommerziellen touristischen Nutzung zu stoppen“, forderte Stierle. Der DAV betont und fördert stark die Eigenverantwortlichkeit eines jeden Bergbegeisterten im Sinne des Natur- und Umweltschutzes. Vor allem im Hinblick auf die Mobilität und die Nutzung nachhaltiger Verkehrsmittel sei der CO2-Ausstoß für den DAV eine Möglichkeit der Steuerung. Der DAV hat sich zum Ziel gesetzt bis 2030 klimaneutral zu sein.
„Die einzigartige Natur- und Kulturlandschaft Südtirols ist einerseits die wichtigste Ressource für den Tourismus, andererseits ist sie durch den ständigen Ausbau bedroht.“ Auf diesen Widerspruch machte Claudia Plaikner, Vorsitzende des Heimatpflegeverbandes, aufmerksam. „Mit enormen Grundverbrauch, Landschaftszerstörung, Ressourcenverbrauch, mit den architektonischen Auswüchsen, den erhöhten Bodenpreisen und den zahlreichen Zweitwohnungen, aber auch mit einer falschen Mobilität geht es an die Substanz des Landes, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes“, so Plaikner. Sie sieht alle gefordert, die Touristiker, die Gäste und die Einheimischen.
„Kipppunkt ist überschritten“
Vor der Gefahr für das Wesen der Natur des Landes warnt auch der Dachverband für Natur- und Umweltschutz Südtirol: Erschließung und Ausbau hätten in den vergangenen Jahrzehnten den Wohlstand in Südtirol sichergestellt. Inzwischen sei der Kipppunkt aber überschritten. „Bauprojekte und Overtourism bedrohen nicht nur die Umwelt, sondern auch die Lebensqualität: Unser Land steht kurz davor, zu einem Disneyland zu verkommen“, warnt Elisabeth Ladinser, Vizepräsidentin des Dachverbandes. „Das dürfen wir nicht zulassen, deshalb fordern wir jetzt ein Ende der Erschließung.“ Dazu komme, dass die Alpen eine der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen sind, gleichzeitig trage Südtirol mit seinen Infrastrukturprojekten, seinem Verkehr und dem Energieverbrauch für den Rummel auf den Bergen maßgeblich zum Klimawandel bei. Hier sei ein Umdenken nötig, so Ladinser.
Auf die aktuelle Situation am Sellajoch und rund um den Langkofel ging Heidi Stuffer von der Gruppe Nosc Cunfin ein. Bürgerinnen und Bürger der drei Grödner Gemeinden und Kastelruths haben sich zur Initiativgruppe zusammengeschlossen und fordern eine Unterschutzstellung des Gebietes am Langkofel. „Hier am Sellajoch, am Fuße der Langkofelgruppe haben wir ein außerordentlich wertvolles Landschaftsbild mit einer geologischen Einzigartigkeit und unvergleichbaren Schönheit vor Augen“, beschrieb Heidi Stuffer den Ort. „Gleichzeitig macht uns die massive Erschließung des Gebietes durch wiederholtes Erweitern der Strukturen auch seine ökologische Fragilität bewusst“. Im Umgang mit der wunderschönen, aber zugleich sensiblen Landschaft brauche es Weitblick. „Die Langkofelgruppe mit den Naturdenkmälern Confin-Böden und Steinerne Stadt in einen Naturpark einzugliedern würde bedeuten, ein grundlegendes Gemeingut zu erhalten“, so der Vorschlag von Heidi Stuffer.